Iona "Another Realm" (Open Sky 2011)

Vor 5 Jahren veröffentlichten Iona ihr letztes Studioalbum "The Circling Hour", im gleichen Jahr erschienen zwei DVDs: "Live in London" und "Iona", zwei Jahre darauf folgte als bislang letztes Lebenszeichen der keltischen Folk Prog Kapelle "Live in London" als 2CD. Da sind sie wieder, "Another Realm" umfasst zwei CDs, 15 Tracks insgesamt, die erneut von der großen Kraft der Band berichten, von ihrer Einzigartigkeit, der emotionalen Tiefe ihrer Songs. Die Band kann rocken und Gitarrist Dave Bainbridge (e-g, acc-g, p, key, Bouzouki, autoharp, beer shakers) weiß exzellente Gitarrensoli zu spielen, die wie scharfes Küchenmesser durch Papier gehen und jeden Song adeln. Frank van Essen spielt differenziert Schlagzeug und Perkussion, weiß mit Zurückhaltung und Vorpreschen die richtigen Akzente zu setzen, spielt zudem Violine und Viola, elektrische Violine und Keyboards - und singt. Phil Barker (b, electric upright bass) gibt dem Rhythmus das Fundament, untermauert den melodischen Raum mit dunklem Gegenpol durch weich rollende Bässe und scharfkantig brechende Töne, Martin Nolan spielt Uilleann Pipes, Low Whistles, Tin Whistles und singt, Frontstimme Joanne Hogg steht nicht für Gesang allein, auch für "vocal loops", Piano, Keyboard und beer shaker.
Die Qualitäten der britischen Band haben sich erhalten und sind in zahllosen Ideen fabelhaft ausgebaut. Da sind besonders zwei Qualitäten auszumachen. Zum einen die liedhaften, dabei instrumental reich ausgebauten Vokalparts, die ausgedehnt Platz haben, viele Minuten füllen und vom zarten Gesang Joanne Hogg's leben, in denen oftmals zart mahnende christliche Texte gesungen werden, worin es um Sensibilität, Verstand, das Mysterium des Daseins und wahrhaften Glauben geht. Die Stimme Joannes ist besonders, kraftvoll, zart, lyrisch. Rocker-Ohren müssen sich auf die Zartheit einstellen, hin und wieder sind einige Arrangements so reich, weich und zart gewebt, dass die hohe, zarte weibliche Stimme an Schlager erinnert - ohne indes Schlager zu sein. Der Grad zum Kitsch wird nicht überschritten, obschon Iona oftmals dicht daraufhin arbeiten.
Die andere Qualität sind die vielfachen instrumentalen Passagen aller Songs. Iona weben keltische Folklore, symphonischen Rock, ambiente Lyrik auf Breitwandkeyboardbasis bombastisch großflächig aus, lassen zarte Lyrik schmelzen und die Tonflächen epische Dimensionen annehmen. Manche Idee will kaum enden, zieht sich in leichten Harmonien dahin, wird vom folgenden Song aufgenommen. Die Keyboardarbeit ist von großem Einfühlungsvermögen, sehr sensibel, sehr intim erscheinen die instrumentalen Bauten, schwebende Keyboardklänge wie im esoterischen Ambientbereich, nur einen - deutlichen - Zacken markanter, kräftiger, weniger auf einlullenden Kitsch gesetzt, mit raffinierten Disharmonien aufgebaut, die dafür sorgen, dass der falsche Eindruck schnell erlischt. Aus dieser manchmal tief schwermütigen Lyrik baut die Band kraftvollen Celtic Prog, der in himmelwärts stürmende, schneidend zarte Gitarrensoli gipfelt, die lang ausgebaut sind und kein wenig kürzer sein dürften.
Kaum zu spüren, wann ein Song endet und der folgende beginnt. Viele Stücke fließen ineinander über, ob sie nun zwei oder 15 Minuten lang sind. Es gibt keinen Popsong, obschon viele Stücke sehr eingängig sind. Die scheinbare Leichtigkeit liegt in der dichten Harmoniefülle der Songs. Im Popradio würde das Publikum aus dem alltäglichen Rhythmus gerissen und kaum verstehen, was hier gerade passiert. Iona sind besonders. Und sie bauen ganz auf den ihnen eigenen Effekt. Zartheit, auffahrender donnernder Bombastrock, intime Lyrik.
Hört es euch an:

iona.uk.com
VM



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