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IO Earth "New Earth" (Eigenproduktion/Just For Kicks Music, 14.08.2015)


Metal-Riffs, knackiger, straff organisierter Symphonic-Pophardrock, zarter (technisch großartiger, stimmlich starker) Damengesang und eingängig leichte Komposition mit latent melancholisch düsterer Note treffen in progästhetischen Songs aufeinander, die in langer Epik lyrischen Schöngeist, stampfenden Symphonic-Gothic-Bombast, jazzige Intermezzi (Saxophonsoli), zarte Balladen und metallische Härte in tanzbaren, druckvollen, gut gespielten und raffiniert unterhaltsamen Tracks vereinen. Verträumt-epische Prog-Arrangements fließen lyrisch dahin, bis eine Latino-Trompete ein kurzes Solo darüber streut, und die Dame intoniert, als stände ihr Kate Bush vor dem inneren Ohr.
Hochmelodische Instrumentalflächen, die interessant und emotional tief ausgelotet sind, treffen auf eingängige, leicht nachvollziehbare, indes nicht billige Vokalparts. Die stete melancholische Note in den meisten Tracks und der nachdenkliche Ton sind sehr anziehend. Die wummernden, donnernden Intros sowie ebensolche Parts vor den Vokalteilen sind indes deutlich zu ordinär und poltrig, lassen Raffinesse vermissen und sind auf "Stimmungsfang" - im späteren Verlauf wird die Stimmung dann tatsächlich aufgefangen und positiv weiter geführt, was die oberflächlichen Partien ertragen lässt.
Trotz der langen Tracks, der melancholischen Epik und ausgedehnten Instrumentalflächen, der eingängig leichten Vokalparts und hochmelodischen, donnernden Wucht, der schönen wie der etwas anstrengenden Anteile der Songs ist das Geschehen im ganzen 2CD-Werk "New World" kurzweilig und in allen leichten und schweren Parts unterhaltsam und ansprechend.
8 Tracks füllen CD1 mit 49:41 Minuten. Alle Songs sind überwiegend instrumental orientiert, was den Gesang (wie die hochemotionalen Texte) nicht bedeutungslos macht, sondern neben der Vokalfacette, die selbstbewusst ausgeprägt ist, weit ins lyrisch Verzwickte entführt und symphonisch mitreißend anspricht.
Die Schlagzeugarbeit ist meines Erachtens etwa zu wenig technisch orientiert. Da wird zu viel ‚gehoppelt', ist auf Eingängigkeit fokussiert. Weniger Popseligkeit - in aller rockprogressiven Denkweise, die der Band durchaus auch im Rhythmus eigen ist, nur nicht expressiv - wäre hier mehr Unterstützung den progsymphonischen Epen. Bestes Beispiel für gute Schlagzeug- und Perkussionsarbeit ist im sechsten Track auf CD1 zu finden, wo Ed Mann (der einst für Zappa arbeitete) die Perkussionsarrangements schrieb und spielte, was das fast klassisch symphonische Stück samt Chor, Kinofilm- und Progmetal-Link eindrucksvoll macht. Da beweist sich, dass die Schlagzeugarbeit druckvoll, dynamisch, vital und komplex perfekt ausgeführt ist. Das schwungvolle Instrumental gehört absolut zum Höhepunkt auf "New World".
Die beiden Komponisten Dave Cureton (g) und Adam Gough (keys) zeigen sich von Progressive Rock, Filmmusik, ethnisch ambienten Sounds, Poprock, Progmetal und Klassik beeinflusst. Ein weites Feld, was es ihnen erlaubt, vielfach über den Tellerrand hinauszublicken. Zwar ist der Fokus auf Progressive Rock gelegt, doch unzählige Farbtupfer machen das ordentlich bis beeindruckend komponierte und versiert eingespielte Album zum Hinhörer. Für Freunde des Damengesangs mit Engelsstimme ist "New World" gewiss in mehrfacher Hinsicht besonders. Zwar gibt es auch hier Allgemeinplätze, manchmal gleich über 8 Minuten Songspielzeit, und es wird partiell deftig auf die Schmalztube gedrückt, aber die harmonischen Folgen sich reich, die handwerkliche Ausfertigung vielseitig, mit Chor, klassischen Instrumenten, beeindruckender Perkussion (Ed Mann) und Bläsern neben den Rockinstrumenten.
Auf CD2, 54:43 Minuten und wiederum 8 Songs lang, ist der instrumentale Ausbau ebenso üppig. Lyrisches, Balladeskes, harter Rock und die stete melancholische Symphonie-Epik entführen noch einmal fast eine Stunde lang.
Die Band übt auf ihre Zuhörer wenig von dem Druck aus, der sofort den "Gefällt mir" Button im Gehirn auslösen soll. Keine Frage, die Musik soll ankommen, und das tut sie auch. Aber IO Earth setzen ihre Fans nicht unter Druck, indem sie sich anbiedern. Es gibt die nötige Zurückhaltung, die Musik in sich selbst funktionieren und wirken zu lassen. Der stete Fingerzeig "guck mal, wie genial und geil mein Sound ist" findet nicht (oder kaum) statt.
In der Weite des Progressive Rock gehören IO Earth zu den melodisch und eingängig arbeitenden Bands. Schräges und Abgefahrenes findet nicht statt. Doch längst ist nicht nur hochmelodisch üppiger Schöngeist zu hören. Das Album und seine Texte haben es in sich.

ioearth.com
justforkicks.de
VM



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