I/O Earth "I/O Earth" (Eigenproduktion, VÖ: 26.02.2010)

Fake Prog. Wohl gewiss nicht erst, aber ganz deutlich mit I/O Earth zeigt sich, dass Prog (oder was im Allgemeinen so dafür gehalten wird) mittlerweile eine Relevanz auch in der Alltagspopmusik hat. Was das Duo Dave Cureton und Adam Gough samt Mitarbeitern auf ihrer 2CD anbietet, offenbart zum einen die stilistische Inspirationsgemengelage der Briten als auch, was so geht, was passt, um einen nett kuscheligen Sound zu bekommen, der in seiner Schöngeistigkeit die überzuckertsten Kitschballaden im ambienten Wohlfühlkleid drauf hat, Walgesänge und Ambient-Esoterik-Keyboard-Streicheleinheiten als auch knackfrischen Rock, der gar progressive Komplexe in kleinen Dosen präsentiert und damit in allen Bereichen auf Nummer sicher Richtung Erfolg hungert. Ein Großteil der Songs kann als Filmmusik funktionieren, manches im Fernsehen als Hintergrundberieselung, anderes im Kaufhaus, auf das der Aufenthalt schön sei und lange währe.
I/O Earth wollen einen Jeden als Fan, das Technolager, die Popjünger, die Dance-Süchtigen, die Rockfreaks, die ambitionierten Komplexabhängigen - alle, die mehr Musik hören als nur im Autoradio. Bleibt die Frage, ob sie auch nur einen bekommen. Und doch: die Songs sind raffiniert, clever aufgebaut, charmant, nicht bieder oder billig, sondern angenehm und, wenn man so will, klug, überzeugend.
Mit orchestralem Bombast, schmachtendem Gesang, ambienten Keyboardbergen, zarten Streicheleinheiten, aber auch metallischer Härte, knackiger Rockfrische, saftigen Gitarrensoli umschmeichelt das verflixt gut komponierende Duo im dreiteiligen, rund 94 Minuten langen Werk (Water, Earth, Air) seine Zuhörer. Und doof ist anders.
Vieles geht im alten Enigma-Geist auf, gerade wenn die ambienten Schmachtballaden wie dickste Kuscheleinheiten über den Horizont streichen. Andere Stücke sind Dancepop als Prog verkleidet, da malt sich liebliche Eingängigkeit als Hardrock an - und nur die Bassdrum verrät, aus welchem verführerischen Lager der so flott und funky um die Ohren dröhnende Sound kommt. Computerspiel-Sounds, Filmmusikartiges für Ritterschinken und - ach, tausenderlei Niedlichsound mehr ist hier verfügbar. I/O Earth machen den Hollywood-Symphonic Sound, der ganz bewusst mit Techno- und Dancefloor-Typica spielt und die kritischen Progfans mit Jazzmotiven umflort. Aber Fans ausgefallener Klänge lassen sich ungern verarschen, vor allem dann nicht, wenn dies so augenfällig und konkret geschieht. Die gesamte Platte - und die Songs sind wie gesagt nicht schlecht, äußerst raffiniert und von einer harmonischen Schöngeistigkeit und lieblichen Verführungskraft, dass das butterweiche Schmelzen im schicken Sound lieblich am Hörsinn streichelt - ist die Pervertierung des ‚Progressiven' wie dies alles nur Kindergartenscheinheilige Liebedienerei ist. Blendwerk!

ioearth.com
justforkicks.de
VM



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