Die Urmutter der Zappanale - Teil Eins


Das Arf-Office, die Zentrale der Macht, stellte nach Ausklang der Nachwehen der letzten Zappanale einen umfangreichen Fragenkatalog um das Festival auf, der mit fast wissenschaftlicher Akribie ins Detail ging. Wahllos wurden Besucher der Zappanale (Online-Vorbucher) angerufen und befragt. Jedes Telefonat dauerte über eine Stunde an, und davon gab es etliche. Viele Angerufene wollten die Fragen beantworten und brachten zahllose eigene Fragen ein. Auf eine davon soll an dieser Stelle eingegangen werden: Wer hatte die Idee zur Zappanale?
Wo fing alles an? Wann? Wie war das damals?

Und ja, es gibt sie, die Mutter der Zappanale. Sie ist sehr zurückhaltend, möchte nicht im Mittelpunkt stehen. Es kann vorkommen, das zu einer Party auf dem Land eingeladen wird und keiner weiß genau, ob sie lädt und aus welchem Anlass. Und darum bekommt sie ein Pseudonym: Petronella Gorecky.
Sie wohnt in Stralsund, die Stufen zu ihrer Wohnung sind legendär, fast ist es, als stiege man auf einen Kirchturm oder könne das Märchen von Rapunzel auf dem Weg nach oben rezitieren. Ebenso legendär ist ihr Laptop, er ist nicht aus Stein gemeißelt, und doch fast vorzeitlich alt. Ihre Musiksammlung besteht zu 75% aus Zappa-Material, sie braucht einen guten Tischler, der ihr ein großes Regal baut, die CD-Berge stapeln sich unübersichtlich in einem Viertel ihres Musikzimmers. Eine Wand in der schmalen Küche ist übervoll mit Bildern von Freunden, Musikern und Partys, jeder, der einmal in der Wohnung war, gut, fast jeder, ist dort zu sehen. Sie ist geschieden, hat einen Sohn ("Sheriff Metallica") und lebt ab und zu in einer Fernbeziehung. Nach einigen gesundheitlichen Nackenschlägen, die in der Tat lebensgefährlich waren, ist sie spindeldürre. Auf dem Kopf trägt sie schwarze Wuschelhaare, eine Miniatur-Nickelbrille ziert ihr Gesicht. Ein Jeder von Euch ist auf dem Festivalgelände schon einmal an ihr vorbeigegangen, ohne zu wissen, dass sie die Erfinderin der Zappanale ist. Sie ist immer da. Ihre klugen Augen und ihr wacher Geist haben viel Humor. Sie mit Fragen zu bombardieren, um zur Wurzel der Zappanale zu kommen, antwortete sie auf meine erste Frage…


Volkmar Mantei: Endlich haben wir die Möglichkeit, zu fragen, also sag uns bitte zuerst etwas zu deinem persönlichen Werdegang.

Petronella Gorecky: Ich bin ein Kind der DDR, mit allen guten und schlechten Mitbringseln aus dieser Epoche. Ich genoss eine grundsolide Schulbildung (hoffentlich begreifen die jetzigen Politiker irgendwann mal, dass jenes Bildungssystem zu 95% unschlagbar war - nicht umsonst hat Finnland den besten Pisastand; sie haben vor Jahrzehnten einfach das DDR-System übernommen. Und das sage ich, ohne auch nur ansatzweise ein DDR-Nostalgiker zu sein!), dann Berufsausbildung, dann jämmerlich vergeudete 1 1/2 Jahre bei der NVA(DDR-Armee), dann kam ein Kind (ein absolut grandioses!), die Heirat, Zappanale… That's it! (lach).

VM: Das war ja kurz und knapp (lacht). Erzähl uns nun, wie du deinen Musikgeschmack entwickelt hast, wie du auf Frank Zappa gestoßen bist, auf was du noch so stehst!

PG: Eigentlich aufgrund der tollen Poster, die im Kinderzimmer meines Freundes Hardy und dessen großen Brüdern hingen (und ihrem vorgelebten Musikgeschmack), war ich/wir schnell zu ROLLING STONES-Liebhabern avanciert, welche dann aber bald von LED ZEPPELIN und BLACK SABBATH abgelöst wurden, da es für unsere Teeny-Ohren damals nicht laut und heftig genug sein konnte. Alsbald erreichten uns dann die Klänge der (alten) YES und GENESIS, welche den experimentellen Hörer in uns weckten und dann gesellte sich auch der Jazzrock von John McLaughlin dazu. Das war alles so in der Zeit von 1973 bis 1977. Zappa habe ich das erste Mal 1975 tatsächlich im DDR-Radio gehört: Donnerstags war gegen 19:00 Uhr immer die Sendezeit der "Beatkiste", wo es auch stets eine Rubrik mit westlicher Musik gab. Der Moderator begeisterte sich in seiner Ankündung darüber, wie fantastisch ein gewisser Zappa mit dem Publikum umgeht und das folgende Stück einfach super wäre. Es wurde dann "Be-Bop-Tango" von "Roxy & Elsewhere" gespielt, womit ich rein gar nichts anfangen konnte. Es stellte sich keinerlei Begeisterung bei mir ein - eher Kopfschütteln und Zappa wurde von mir als Mist abgehakt! Punkt. 1979 dann die musikalische Wende, denn über einen Freund lernte ich Jemanden kennen, der über 10 Zappa-LPs besitzen sollte und da wollte ich nochmals riskieren reinzuhören, denn wenn einer mit gleich 10 Platten von Zappa frei herumläuft, dann muss doch irgendwas dran sein - an diesem Zappa. Er ("Knochen") gab mir dann zum Einstieg "200 Motels" und der Eindruck meines "Beatkisten"-Erlebnisses wurde leider nur noch bestärkt: Mist! Glücklicher Weise kam aber auch gerade "Sheik Yerbouti" heraus, dann "Joe's Garage", Studio Tan und und und, welche "Knochen" auch in kürzesten Abständen - Dank seiner absolut fitten Oma - bekam und nun stellte sich doch endlich Begeisterung ein. Dieser Gesamtklang der Aufnahmen, diese tiefe Stimme, diese unglaublichen Gitarrenklänge und diese absolut ungewöhnliche Masse an Veröffentlichungen in so kurzer Zeit. Alles einfach unglaublich! "Roxy & Elsewhere" hörte ich dann das erste Mal auf einer schrillen Party in Kühlungsborn und da war ich bereits vom ersten Song ("Penguin In Bondage") und den einführenden Zappa-Monologen total fasziniert und erhob diese Platte ganz schnell zu meinen Top-Alben. (An "Be-Bop-Tango" kam ich dann mit mehr Verständnis heran, wenn auch immer noch "belastet" durch das erste Kennenlernen - lach). Tja und dann machten Alben wie "Zappa In New York", "Bongo Fury", "One Size Fits All" oder "Over Night Sensation", "Shut Up 'N Play Yer Guitar" uns zu Fans…. Schlicht zu Zappa-Fans! Ich erinnere mich auch noch gut & gerne an das fantastische erste Hörerlebnis zu "Ship Ahoy", wie wir mit Gänsehaut diesen außerirdisch-"klebrigen" Gitarrentönen lauschten und feststellten: DAS IST ES!!! GENAU DAS WOLLTEN WIR SCHON IMMER HÖREN!!! WAAAHNSINN!!!

VM: Ja, das sind natürlich auch Platten zum "Verlieben" (schmunzel). Und was hörst Du heute sonst so?

PG: Um ganz ehrlich zu sein, dann den Stoner-Rock vom ELEKTRO-HASCH-Label-Gründer Stefan Koglek. Ich liebe den Sound und die Power seiner Band COLOUR HAZE und bin meinem Freund "Stone" (tatsächlich) absolut dankbar, dass er mir diese Band und Musikrichtung nahe gebracht hat.

VM: Ah ja, interessant. Und wie war das damals, es gab in der FZ sei Dank aufgelösten DDR keine LPs von Zappa. Wie bist du an die Musik überhaupt herangekommen? Und wie bekamst du Informationen, wer LPs hat, wo Sammler wohnen? Hast du Briefe geschrieben? Angerufen? Hat sich ein Netz Gleichgesinnter gefunden, wie das so oft im kulturell unterversorgten Osten war?

PG: In DDR-Zeiten hatte jeder Sammler einen kleinen oder großen Fundus an Westmaterial (LPs) gehabt, die Grundlage für Tauschangelegenheiten waren. Sei es, um die Platten zu überspielen oder direkt Schallplatten zu tauschen. In jeder Stadt gab es da mehrere kleine Zirkel und irgendwie wollten manche auch nicht, dass der Eine oder Andere daran teilnahm. War schon seltsam, aber in vielen Nacht- und Nebelaktionen bekam man oft die Sachen, die einen interessierten - so sie überhaupt verfügbar waren. In Bezug z.B. auf Zappa schien es zu DDR-Zeiten schlichtweg illusionär zu sein, jemals "Freak Out" in den Händen zu halten. Ich habe so um 1981 in Budapest das "Freak Out"-Album in einem Underground-Laden gesehen und Fotos mit dem Verkäufer gemacht, damit man mich daheim nicht als Spinner bezeichnen konnte. Später habe ich mir in Budapest meine teuerste Platte gegönnt: "Just Another Band From L.A." (original USA-Pressung mit fettem Vinyl und richtig schwerem Papier für das Cover) für satte 350 DDR-Mark. Sammlerfreunde habe ich außerhalb von Stralsund auch durch die Anzeigen in der "Wochenpost" gefunden sowie in Berlin (dem Dreh- und Angelpunkt in der DDR) durch Freunde dort, die einen von Bischofswerda (der Uwe von dort sollte später ACE 9 zur 1. Zappanale mobilisieren - Wo bist Du heute?), Dresden, Schwerin, Magdeburg oder auch nach Bad Doberan führten…. Auch hatte ich ganz liebe und hilfsbereite Sammlerfreunde in Norwegen (später auch in Holland, Westdeutschland und USA), die mich dann indirekt auf die Idee für einer Ost-Zappa-Party brachten.

VM: Das Plattensammeln und Tauschen war schon ein sehr spannendes und aufwändiges Unterfangen zu DDR-Zeiten und man wusste die Alben noch sehr zu schätzen.

PG: Auf jeden Fall! Da hast Du absolut Recht. So war's damals. Für uns - Du weißt das selber sehr gut - waren das alles richtige kulturelle Schätze. Niemals ein Massenprodukt, wie leider oftmals heutzutage….

VM: …ja - leider!

VM: Die Zappanale fand erst zu Wendezeiten statt, wenn ich mich recht erinnere. Was machtest du vorher im Sommer? Partys mit Zappa aus dem Kassettenrekorder? Oder gab es bereits erste Wochenendtreffen mit Bands?

PG: Jeden Montag gab es bei uns in Stralsund einen "Herrenabend" mit fast ausschließlich Zappa-Musik (Beefheart war auch noch "zugelassen" - lach), da dann die Freundinnen bei ihrer Pop-Gymnastik (heute heißt das wohl Jazz-Dance, Zumba oder was auch immer - lach) waren und da gab es dann viel Schnaps (zum Glück richteten der "Blaue Würger" & Co nicht so desaströse Schäden an, dass wir völlig unseren Verstand verloren, aber einige Lücken im Gehirn hat der Fusel doch hinterlassen - seufz!) und gute Musik. Meist vom Tonband, denn die Original-LPs wollte man ja schonen und höchstens zum Überspielen von den aggressiven Plattenspielernadeln malträtieren lassen. Diese "Gang" bezeichnete ich in meinen Briefwechseln in Richtung Westen immer als "Arf-Society", um unserer kleinen Interessengemeinschaft auch nach außen irgendwie ein "Gesicht" zu geben. Viel später - als zur 2. Zappanale in Stralsund die MUFFIN MEN vor Ort waren und wir gemeinsam durch Stralsund streiften, waren sie total baff/fasziniert darüber, dass die Autonummernschilder mit den Buchstaben ARF versehen waren. Stralsund war damals the realy arf-town on earth… unglaublich, aber wahr! (aus diesem Grund schickte ich Zappa zu dessen 50. Geburtstag auch ein Original Nummernschild mit ARF 21-12 darauf, welches tatsächlich in seinem Heimstudio angebracht wurde. Crazy! Bands, die vor der Wende Zappa live spielten, kannte ich allerdings nicht. Auch sonst Niemand. Leider. Oft waren dann auch zappalastige Partys in anderen Städten angesagt und für mich war damals in dieser Hinsicht eine absolute Kulturoase Kühlungsborn. Beste Grüße an Ali, "Finger", Rosemarie - die "Gräfin vom Karpfenteich", "Bartchen", "Grille", "Knochen" und und und…. Irgendwann lernte ich dann auch zwangsläufig die Nachbargemeinde aus Bad Doberan kennen und dort waren die Haus-Gartenpartys von Sale schon total legendär. Auch jetzt noch zolle ich seiner mit uns so unendlich geduldigen Mom allerhöchsten RESPEKT. Überhaupt an dieser Stelle ein herzliches DANKE an unsere, durch uns so oft stressgeprüften Mütter (schmunzel).

VM: Ja, ja unsere geduldigen Mütter….(lacht) Aber nun zur Zappanale: Stammt der Name ‚Zappanale' von dir?

PG: Nein, er kam von dem eben erwähnten Sale aus Bad Doberan. Eine Idee für die Ewigkeit, wie sich herausstellen sollte - oder noch soll? (schmunzel) Ich danke Dir, Sale! Auch hatte er damals ein entsprechendes T-Shirt angefertigt. Großartig! Ein zweites T-Shirt kam damals von Matthew aus Portland/Oregon/USA, der eigens zur Party angereist kam und etwa 10 Überraschungs-Shirts mitbrachte, die man auch heute noch auf der Zappanale sieht - nach 23 Jahren!

Bilder: Petronella Gorecky

VM




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