TYPE-O-NEGATIVE

"Wollten wir mehr Geld, würden wir uns mehr den Arsch aufreißen"

Wenn Type O Negative zum Interview laden, dann kann man diese Einladung nicht ausschlagen. Denn die Amerikaner haben das Genre des metallischen Gothics mitgeprägt und sind längst Kult. ragazzi-Frau Silke sprach mit Drummer Johnny.




ragazzi: "Warum hat es so lange gedauert, bis euer neues Album erschienen ist?"
Johnny: "Es hatte damit zu tun, dass wir mit "Worlds Coming Down", dem Vorgänger, viel getourt sind. Wir haben viel Material für das neue Album gehabt und darüber diskutiert. Vorher haben wir eine DVD gemacht und Sachen für Soundtracks. Und wir haben Kinder bekommen - Kenny, Josh und ich. Wir drei sind jetzt Familienväter. Und, wir verbringen nicht mehr soviel Zeit gemeinsam im Studio, nur immer mal wieder für ein paar Stunden."
ragazzi: "Aber ihr war schon eine ziemlich lange Zeit im Studio, oder?"
Johnny: "Ja, wir haben vor zweieinhalb Jahren angefangen, an dem Album zu arbeiten. Wir haben viele Songs in dieser Zeit geschrieben - und meine Tochter wurde in der Zeit geboren. Da haben wir mit dem Proben aufgehört…"
ragazzi: "Was hat sich in der Zeit von Aufnahmebeginn bis zum fertigen Album alles verändert?"
Johnny: "Na ja, das war alles ein Arbeitsprozess. Viele Sachen haben sich in der Zeit verändert - bis zur allerletzten Minute, bis wir eigentlich gar keine Zeit mehr hatten. Bis Kenny irgendwann sagte, jetzt lasst mich einfach nur noch allein, es reicht."
ragazzi: "Seid ihr denn jetzt zufrieden mit dem Werk?"
Johnny: "Naja, da sind einige Sachen drauf, da bin ich sehr stolz drauf und es gibt Sachen, die würde ich gerne, zum Teil zumindest, noch verändern. Es gibt Songs die ich mag ich und nach manchen Songs bin ich gar verrückt."
ragazzi: "Welchen Song magst Du denn besonders? Und warum?"
Johnny: "Das ist "Netty" (der Song, den Sänger Pete Steele für seine Mutter geschrieben hat, Anm. d. Red.). Ich mag die Melodie und die Einfachheit des Songs und ich mag, dass er kurz ist, haha."
ragazzi: "Dass ihr jetzt mehrere schnellere Songs auf dem Album habt, bedeutet das "back to the roots", also zurück zu den Anfängen von Type O Negative?"
Johnny: "Ja, irgendwie schon. Das erinnert an die ganz frühen Tage der Bandgeschichte. Ein bisschen wie unsere erste Scheibe, na ja, nicht ganz so "angry". Es geht mehr in die Richtung, dass wir über die Hardcore-Tage von damals lachen, vor allem Peter als Songwriter. Ein Song wie "I Like Girls" startet so ein bisschen hardcoremäßig und verändert sich, wenn wir ihn spielen..."
ragazzi: "Gutes Stichwort. Songs wie "I Like Girls", aber auch "Netty", sind alles sehr persönliche Songs von Pete Steele. Er verarbeitet seine Gedanken und Neigungen. Ist es manchmal ein Problem für die Band, einen so prägnanten Frontmann zu haben? Fragt heute noch jeder nach den Playgirl-Fotos?"
Johnny: "Na ja, du weißt eigentlich ziemlich genau, auf was Du dich bei Type O Negative einlässt. Wir spielen schon sehr lange zusammen in der Band. Und du kennst die einzelnen Akteure. Wenn ich zum Beispiel mehr Aufmerksamkeit haben wollte, dann würde ich versuchen, Sänger zu werden anstatt Drums zu spielen. Da spielst du mehr eine begleitende Rolle."
ragazzi: "Hast du jemals darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen?"
Johnny: "Ich habe mit anderen Bands gespielt, zum Beispiel mit Danzig. Kenny und ich arbeiten gemeinsam an anderen Sachen und ich liefere meinen Beitrag zu Type O Negative."
ragazzi: "Kannst du dir vorstellen, auch in zehn Jahren noch in der Band zu spielen?"
Johnny: "Ich denke, die Möglichkeiten sind offen. Ich kann mir vorstellen, in zehn Jahren noch dabei zu sein. Ich bin jetzt schon zehn Jahre dabei. Also warum nicht weitere zehn?"
ragazzi: "Ganz andere Frage: Gerüchteweise war zu hören, Pete und Josh hätten Probleme miteinander?"
Johnny: "Nein, das stimmt so nicht. Jeder liefert seinen Beitrag zu der Band. Und Peter ist der primäre Songwriter - aber wenn jemand was zu einem Song zu sagen hat, warum soll man das nicht einbringen? Aber du brauchst nur im Internet schauen. Da schreibt zum Beispiel jemand, dass bei uns irgendwas schief geht. Und das wird dann in diesem Medium verbreitet."
ragazzi: "Ist das Internet denn ein wichtiges Medium für euch?"
Johnny: "Ja, das ist es. Es ist für jede Band wichtig. Das ist der Weg, wie Leute heutzutage miteinander kommunizieren, wie sie Ihre Informationen bekommen. Wir nehmen auch Einfluss auf unsere Website. Josh und ich wurschteln viel mit Steve, unserem Webmaster, herum. Ich kenne Steve schon viele Jahre und er macht das umsonst für uns. Wir haben "die alleinige Kontrolle" über unsere Website."
ragazzi: "Und was denkst du über MP3s?"
Johnny: "Na ja, es macht schon einiges kaputt. In Zeiten, wo es so einfach ist, sich Musik umsonst aus dem Netz zu ziehen. Früher musstest du zumindest noch zu einem Freund gehen und die CDs kopieren. Heute brauchst du nur noch auf dem Hintern zu sitzen und zu klicken. Für manche Bands ist es schon eine Hilfe, sie können so ihre Scheibe promoten. Bands wie uns tut es weh. Wir sind nicht richtig groß, wir brauchen die Plattenverkäufe. Sie sichern unseren Lebensstandard."
ragazzi: "Wo verkauft ihr die meisten Platten?"
Johnny: "Definitiv in den USA, aber dann kommt schon Deutschland Aber eigentlich ist es mir egal, wie viele Leute die Platte kaufen. Es gibt einige Leute, die kennen und lieben uns. Und es gibt genug Leute, die noch nie von uns gehört haben. Sagen wir mal ein Typ in den besten Jahren, der dringend einen Haarschnitt braucht (hahaha)."
ragazzi: "Wenn man sich eure Fans so anschaut, sie sind sehr jung, Peter zum Beispiel ist um die 40. Steht das irgendwie im Gegensatz, habt ihr damit ein Problem?"
Johnny: "Das ist toll! Wir schaffen es, Fans verschiedenster Alterklassen anzusprechen, vor allem auch Jüngere. Das heißt für die Band, nicht stigmatisiert zu werden. Wenn ich junge Leute in unseren Konzerten sehe, heißt das, dass wir fähig sind, eine Grenze zu überschreiten. Ich fühle mich dann nicht alt und die Fans denken bestimmt: Der Drummer ist aber jung, hahaha."
ragazzi: "Ihr sprecht speziell Gothic-People, düstere Leute an..."
Johnny: "Ja und das gefällt uns. Würden wir das nicht wollen, hätten wir das in zehn Jahren Bandgeschichte geändert. Wir wollen nicht in den Mainstream abdriften. Wir finden das gut, was wir machen, sonst würden wir's nicht tun."
ragazzi: "Mainstream kann aber auch heißen, mehr Geld zu verdienen. Habt ihr nie daran gedacht?"
Johnny: "Nein. Wenn wir mehr Geld wollten, würden wir uns mehr den Arsch aufreißen. Wenn wir nur Geld wollten, würden wir öfter Platten rausbringen, würden öfter touren, nach Hause gehen und wieder eine Platte aufnehmen."
ragazzi: "Was denkst du denn über das fast schon wieder tote Genre "Nu Metal"?"
Johnny: "Ich kann damit nichts anfangen. Vielleicht könnte ich es, wenn ich jünger wäre. Ich stehe auf Led Zeppelin und die Stones. Das ist mehr meine Musik."
ragazzi: "Welches ist deiner Meinung nach der beste Type O Negative Song, den ihr je gemacht habt?"
Johnny: "Das weiß ich nicht, echt nicht. Das ist eine heftige Frage. "Black Number One" ist es garantiert nicht, auch wenn es einer der populärsten Songs ist. Auf jeder unserer Platten gibt es Momente, bei denen irgendwie alles zusammenpasst. Auf unseren ersten Platten mag ich den Song "Pain". Bei "Bloody Kisses" denke ich, dass "Christian Woman" ein klasse Song ist. Und "Love You To Death" von der "October Rust" Scheibe ist auch ein toller Song. Der hat eine tolle Melodie. Von der aktuellen CD liebe ich "Netty", das hab ich ja schon gesagt und "World Coming Down" vom Vorgängerwerk, das ist ein langer Song, der vor sich hin gleitet."
ragazzi: "Wie sieht es denn privat bei euch in der Band aus, seid ihr mehr Kollegen oder Freunde?"
Johnny: "Beides! Kenny und ich wohnen fünf Minuten voneinander entfernt und wir verbringen gemeinsam viel Zeit mit unseren Familien. Darüber hinaus sind Kennys und Joshs Ehefrauen Schwestern. Wenn ich zu Hause bin, spielen wir in einer Led Zeppelin Coverband und haben viel Spaß. Peter kommt mit Freunden vorbei und hängt bei uns rum. Wir machen halt ganz normale Dinge daheim. Und ich bin ja nun Vater - und verbringe ganz viel Zeit damit, meine Tochter heranwachsen zu sehen. Bald geht sie zur Schule."
ragazzi: "Haben sich dadurch deine Prioritäten im Leben verschoben, tritt die Musik in den Hintergrund?"
Johnny: "Absolut! Meine Tochter ist jetzt der absolute Mittelpunkt in meinem Leben. Aber ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Musik spielt auch zu Hause eine große Rolle. Auch meine Tochter liebt Musik. Sie mag unsere Songs, sie liebt "October Rust" und unsere neue CD. Ich spielte etwas für sie und sie tanzte und sagte, dass es sie es mag. Und ich sagte: "Das ist Daddys Song". Da bin ich schon stolz."
ragazzi: "Wenn deine Tochter "October Rust" mag, ist es dann das beste Type O Negative Album für dich?"
Johnny: "Das kann man so nicht sagen. Jede Platte hat Teile, die klasse sind und Teile, die ich nicht abkann. Aber bei "October Rust" war die Stimmung in der Band schon klasse. Es war eine tolle Zeit damals. Keiner hatte Sorgen - wir haben gesagt: Die Welt gehört uns! Und ich denke, das reflektiert die Platte. Für uns ist das eine tolle Erinnerung. Bei "World Coming Down" gingen dagegen einige Sachen schief, auch privat und auch das hört man auch."
ragazzi: "Aber eure Scheiben klingen immer etwas depressiv…"
Johnny: "In den Songs und Texten von Type O Negative sind schon Sachen drin, mit denen ich mich identifizieren kann. Das sind Dinge, die ich mit mir herumtrage. Aber mit Songs wie "Girlfriend´s Girlfriend" kann ich mich gar nicht identifizieren, weil ich noch nie in einer solchen Situation war, haha. Mit den ganzen sexuellen Fantasien von Peter hab ich nichts am Hut. Aber Songs, bei denen es zum Beispiel darum geht, einen geliebten Menschen zu verlieren - ich glaube, damit können sich nicht nur ich, sondern sehr viele Menschen identifizieren. Doch Type O Negative hat auch viel mit Sarkasmus und Comedy zu tun. Wir können bei vielen Songs lachen, schon im Studio, wenn wir sie aufnehmen."
ragazzi: "Was würdest du dir denn wünschen, wenn du einen Wunsch frei hättest?"
Johnny: "Ich wünsche mir, dass meine Tochter nie herausfindet, dass ich nicht Superman bin. Und Glück..."
ragazzi: "Vielen Dank für das Interview."

Silke




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