Mein Name ist einfach mit Klischees verbunden...

Im ragazzi-Interview: SNAKESKIN / Tilo Wolff (27.09.2004)

Lange Zeit war es ein Mysterium: Wer steckt hinter dem neuen, ungewöhnlichen Electro-Projekt Snakeskin? Jetzt wird der geheimnisvolle Schleier gelüftet. Und zum Vorschein kommt ein alter Bekannter: Lacrimosa-Kopf Tilo Wolff. Ragazzi war neugierig, was denn hinter der ganzen Geheimniskrämerei steckt und befragte den Schweizer zu seinem neuen Eisen im dunklen musikalischen Feuer. Natürlich war auch Lacrimosa Thema des Gesprächs.




ragazzi: "Wie kam es zu der Idee, ein Projekt wie Snakeskin, das sich ja deutlich von Lacrimosa abhebt, ins Leben zu rufen? Langeweile kann in deinem Fall kaum der Auslöser gewesen sein…"
Tilo: (lacht) "Nee, das wirklich nicht. Snakeskin ist vielleicht auf den ersten Blick anders als Lacrimosa, im Prinzip sind sich beide schon ähnlich. Lacrimosa ist entstanden, damit ich meine Texte in ein musikalisches Kleid fassen konnte. Bei Snakeskin habe ich einfach nach einer anderen Ausdrucksform gesucht. Ich habe die Idee gehabt, Texte und meine Stimme so umzusetzen, dass beides bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und der Gesang zu einem echten Instrument wird."
ragazzi: "Warum gab es anfänglich die Rätsel um den Macher hinter Snakeskin?"
Tilo: "Wenn ein Produkt von Tilo Wolff erscheint, wird es anders wahrgenommen als wenn einfach ein unbekannter Name wie Snakeskin darauf steht. Mein Name ist einfach mit Klischees verbunden - im Positiven wie im Negativen. Es gibt Leute, die sagen, wenn da Tilo Wolff draufsteht, dann kauf ich mir das ungehört und es gibt Leute, die sagen, wenn da Tilo Wolff draufsteht, dann kauf ich mir das nie im Leben. Die Musik sollte einfach für sich stehen..."
ragazzi: "Warum gibst du dann jetzt die Anonymität auf? War das von Anfang an Teil des Konzeptes? Schließlich gibt es auch ein Foto von dir im Booklet..."
Tilo: "Am Anfang war ich mir nicht sicher. Eine lange Zeit wollte ich es für immer anonym halten. Das hätte mich aber eingeschränkt. Ich weiß noch nicht, wie es mit Snakeskin weitergehen wird, ob ich vielleicht mal ohne Verzerrer singen werde, was nicht möglich gewesen wäre in der Anonymität. Außerdem gefällt mir das Album so gut, dass es mir fast wehgetan hätte, wenn da nicht mein Name draufgestanden hätte."
ragazzi: "Snakeskin ist ein reines Ein-Mann-Projekt. Wird dies auch in Zukunft so bleiben?"
Tilo: "Jein. Lacrimosa ist ja eigentlich auch ein Ein-Mann-Projekt, wobei ich auf Kompositionen von Anne oder andere Musiker zurückgreife, beispielsweise wenn ich ein Orchester dabei haben will. Ich könnte mir schon vorstellen, dass ich mir den einen oder anderen Gastmusiker oder -sänger mal dazuhole."
ragazzi: "Auffallend auf "Music for the Lost" sind die Vocals. Welche Intention steckt hinter dem mehrfachen Verfremden deiner Stimme, wodurch der Zugang zu dem Album für unbedarfte Hörer nicht gerade leicht gemacht wird?"
Tilo: "Das stimmt. Darum heißt es auch "Music for the Lost". Unbedarfte Hörer sollen die Platte gar nicht hören. Der Gesang ist natürlich ganz anders als das, was man sonst kennt. Das hat auch mit Lacrimosa zu tun, wo der Text ja im Mittelpunkt steht. Wenn wir mit Lacrimosa im Ausland unterwegs sind, sagen mir die Leute, es ist gar nicht so schlimm, dass ich kein Deutsch verstehe, weil die Musik alles zum Ausdruck bringt, was du mit den Texten sagen willst. Bei Snakeskin ist es noch extremer. Der Text ist gar nicht mehr verständlich und die Musik muss alles allein tragen. Der Gesang und das Album drücken puren Schmerz aus."
ragazzi: "Du hast es bereits erwähnt, die Texte auf "Music for the Lost" sind kaum verständlich. Warum dann überhaupt noch Texte? Die Alternative könnte eine Phantasiesprache sein, wie Mila Mar sie beispielsweise benutzen..."
Tilo: "Es gibt sogar 2 Titel, denen gar kein Text zugrunde liegt, wo ich einfach gesungen habe, was mir gerade eingefallen ist. Aber eigentlich lege ich meinen Kompositionen etwas Verbales zugrunde. Für mich war es eine Herausforderung, Texte, die tatsächlich existieren, so einzubauen, dass sie nur noch ihre Farbe abgeben. Das finde ich spannender, als wenn kein Text da wäre. Das Geheimnis der Stücke liegt genau darin verborgen."
ragazzi: "Du hast erwähnt, dass der Albumtitel die potentielle Hörerschaft von Snakeskin widerspiegelt. Wer sind die "Verlorenen"?"
Tilo: "Menschen, die keine konventionelle Musik hören wollen. Menschen, die in der Musik Sehnsucht, Schmerz, Verzweiflung erleben. Menschen, die sich ihrer Gefühle sehr bewusst sind. Ich will niemanden mit der Musik quälen. Diese Musik ist wirklich nur für jene, denen genau wie mir beim Hören die Seele aufgeht. Ich weiß eigentlich nicht, ob es überhaupt jemanden außer mir gibt, dem es so geht. Vielleicht bin ich ja nur der "Lost"... Andrerseits ist Snakeskin mit den bisherigen beiden Singles erfolgreicher gewesen als Lacrimosa in all den Jahren seit Bestehen."
ragazzi: "Auf dem Album sind drei Bonustracks, zwei stammen von Kollegen. Welche Intention steckt hinter den Remixen von KIEW und COMBICHRIST?"
Tilo: "Die Remixe habe ich machen lassen, weil ich es interessant fand zu sehen, wie Leute, die aus der Electroecke kommen, ein Electro-Stück bearbeiten, das von jemandem gemacht wurde, der aus der Gitarrenecke kommt. KIEW und COMBICHRIST machen auf ihre Art ja auch unkonventionelle Musik, Musik, die sich nicht anbiedert oder einem Trend folgt."
ragazzi: "Welche Bedeutung haben die Visuals bei Snakeskin? Hast du das Coverfoto, das ein nacktes weibliches Wesen zeigt, ausgewählt weil "sex sells"?"
Tilo: "Ich glaube nicht, dass es sexy ist, sondern vielmehr abstoßend und "scary". Ich bin ein sehr visueller Mensch und wenn ich Musik mache, sehe ich automatisch immer Bilder. Ich habe mich mit Künstlern und Fotografen darüber unterhalten und so sind die Bilder entstanden. Das Ganze eingebunden in ein Layout, das noch einmal den Namen und die Idee von Snakeskin zum Ausdruck bringt. Ingo Römling hat es umgesetzt. Ohne ihn wäre das Artwork auf keinen Fall so schön geworden."
ragazzi: "Wie wird es mit Snakeskin weitergehen? Sind bereits Live-Auftritte oder weitere Platten in Planung?"
Tilo: "Es wird sicherlich weitere Produktionen geben, nur kann ich noch nicht sagen, wann und in welcher Form. Live aufzutreten wäre toll. Ich weiß aber noch nicht, ob ich es zeitlich und organisatorisch auf die Reihe kriege. Ich sollte ja auch mit Lacrimosa viel öfter auf der Bühne stehen und schaffe es nicht."
ragazzi: "Das war ein gutes Stichwort. Was gibt es Neues von deinem Hauptprojekt?"
Tilo: "Ich habe schon einige neue Songs für Lacrimosa geschrieben, von der Anzahl her wäre das nächste Album sogar schon fertig. Aber es ist noch nicht der Punkt gekommen, wo ich gespürt habe: Jetzt habe ich alles zum Ausdruck gebracht, was ich hören will und jetzt kann ich ins Studio gehen. Irgendwann wird er kommen und dann packe ich meine Koffer und fahre ins Studio. Das wird auf jeden Fall nächstes Jahr passieren. Nächstes Jahr wird es auch eine große Welttour geben. Wir versuchen dann in wirklich jedem Land zu spielen, in dem Lacrimosa gehört wird. Wir haben da großen Nachholebedarf, eine richtige Lacrimosa-Tour gab es seit 2001 nicht mehr."
ragazzi: "Was hat Anne eigentlich gemacht während du dich Snakeskin gewidmet hast? Wandelte sie vielleicht auch auf Solopfaden?"
Tilo: "Nein, sie hat kein musikalisches Projekt am Start, aber sie designt und schneidert ja auch Kleider und hat sich ausgiebig damit beschäftigt."

Stefan




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