OOMPH!

Den Fans verpflichtet

Rückblende: Zillo-Festival 2001. Es regnet in Strömen, als Oomph! auftreten. Die Fans stehen im Schlamm, sind durchgeweicht. Statt sich unter dem Bühnendach zu verkriechen, steht die Band am vordersten Rand der Bühne, wo auch sie nass wird. Und dann klettert Dero von der Bühne, suhlt sich kurz im Schlamm um seine Verbundenheit mit den Fans auszudrücken und singt dann schlammverkrustet weiter. Eine kleine Episode, die ausdrückt, wie Oomph! zu ihren Fans stehen. Drei Jahre später haben sie mit "Augen auf" einen Nummer-eins-Hit und sind wieder auf Tour. Mehr Fans, größere Hallen, fettere Show. Dennoch sind Sänger Dero sowie die Gitarristen Flux und Crap sie selbst geblieben. Wovon sich
ragazzi im Interview mit einem sehr gesprächigen Flux
überzeugen konnte.

ragazzi: "Im Vergleich zu euren alten Shows gibt es auf der aktuellen Tour viel mehr visuelle Reize. Welche Intention steckt dahinter?"
Flux: "Die Erwartungshaltung vieler Leute war nach unserem Top-10-Hit einfach sehr groß. Der Eintritt zu unserem Konzert ist auch nicht gerade billig. Die Hallen sind größer und durch mehr Publikum ist auch mehr Geld da. Man hat also plötzlich Möglichkeiten, die man vorher nicht hatte. Deshalb haben wir uns mit einem Licht- und Bühnendesigner namens Jojo zusammengetan, der auch schon für A-ha oder die Guano Apes die Licht-Shows entworfen hat. Wir wollten Licht zeigen, das eher untypisch für Rockbands ist. Also viel Licht von unten, ungewöhnliche Lichtquellen wie Neonröhren und Schwarzlicht, Projektionen. Aber das alles soll nicht von uns drei Charakteren auf der Bühne ablenken."
ragazzi: "Dazu tretet ihr ganz in Weiß auf. Ist das aufs Lichtkonzept abgestimmt? Oder wollt ihr euch von den überwiegend schwarz gekleideten Fans optisch unterscheiden?"
Flux: "Es soll keine Distanz zum Publikum geschaffen werden. Weder optisch, noch von der Show. Ganz im Gegenteil. Wir suchen die Nähe unseres Publikums. Wir wollen gemeinsam eine Party feiern. Deshalb geht Dero auch immer ins Publikum. Die weißen Klamotten kommen schon im Video zu "Augen auf" vor, sind aber auch Teil des Lichtkonzepts. Besonders bei Einsatz des Schwarzlichtes kommen sie voll zur Geltung. Wir wirken dadurch viel präsenter. Dunkle Sachen würden dazu nicht passen."
ragazzi: "Welchen Stellenwert hat für euch die Kommunikation mit den Fans?"
Flux: "Also vom einzelnen Fan hört man bei der Lautstärke auf der Bühne ja nichts. Und Dero ist auch nicht der Typ, der jeden Text erstmal erklärt, so wie Wolfgang Niedecken das machen würde. Wir wollen, dass das Tempo des Konzerts relativ hoch gehalten wird. Nach zehn bis fünfzehn Sekunden soll die nächste Nummer starten und weiterrocken. Kommunikation bedeutet für uns, dass wir alle gemeinsam Spaß haben. Dass wir auf das Publikum mit unseren Aktionen eingehen, es animieren mitzumachen. Das sind die oft gar nicht mehr gewohnt. Es gibt inzwischen so viele Alleinunterhalter auf der Bühne, die einfach auf die Reaktionen der Leute scheißen. Aber wenn es mir darum geht, nur meine Songs zu performen, dann kann ich das auch zu Hause im Keller tun. Ich will als Künstler aber auf der Bühne spüren, dass zwischen mir und dem Publikum was passiert. Nur dann habe ich auch Spaß daran."
ragazzi: "Eure Shows dauern recht lange und sind voller Action. Wie haltet ihr euch dafür fit?"
Flux: "Es sind eineinhalb Stunden, in denen wir ordentlich ins Schwitzen geraten. Wir trainieren aber nicht speziell dafür, denn wir treiben ohnehin Sport. Ich laufe zum Beispiel manchmal Marathon. Wäre das nicht so, müssten wir bestimmt ein Fitnesstraining vor der Tour absolvieren."
ragazzi: "Hat Dero sich beim Stagediven schon mal verletzt?"
Flux: "Ja, in Berlin ist er mal auf den Rücken gefallen. Da hat er sich mit freiem Oberkörper von der Bühne gestürzt. Durch den Schweiß war er aber so glitschig, dass die Leute ihn nicht festhalten konnten."
ragazzi: "Eure Single "Augen auf" war ein phänomenaler Erfolg. Wie habt ihr als Band das erlebt?"
Flux: "Die Meldung "wir sind Platz eins" war wie ein Schlag ins Gesicht. Damit hatte niemand gerechnet. Wir haben gehofft, dass es in die Top 10 geht. Aber die Nummer eins war so abstrakt und unwirklich. Und das fünf Wochen lang. Allein die Vorstellung, dass du solange mehr Singles als jeder andere in Deutschland verkaufst, ist unfassbar. Selbst drei Monate nach der Veröffentlichung gibt es immer noch Käufer. Die Single hat eine ganz eigene Macht entwickelt und so gut "Brennende Liebe", die zweite Single auch wird, der Erfolg von "Augen auf" ist nicht mehr zu toppen."
ragazzi: "Könnt ihr den Erfolg trotzdem rational erklären? Ihr habt ja nichts anders gemacht als bei früheren Songs. Und dennoch wird gerade "Augen auf" so ein Hit?"
Flux: "Man versucht es zu erklären. Aber so richtig kann man es nicht. Es heißt, wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Oder: Die Leute hätten die Schnauze voll von dem Casting-Scheiß. Oder: Es wurde mal wieder Zeit, dass eine Band kommt, die handgemachte Musik macht und die Emotionen rüberbringt, die sie selbst erlebt hat und nicht nur die Träume eines Dieter Bohlen singt. Vielleicht hat das in der deutschen Musiklandschaft wirklich gefehlt, dass mal wieder eine Band kommt, die deutsche Texte hat, mit der Musik ordentlich in den Arsch kickt und das Ganze eben auch verkörpert."
ragazzi: "Ist irgendetwas anders in eurem Leben seit diesem Hit?"
Flux: "Zum Glück nicht viel. Das ist das Schöne. Man hat den Erfolg, kann aber trotzdem durch die Straßen rennen ohne ständig von Autogrammjägern verfolgt zu werden. Besonders bei uns zu Hause. Da gibt es Leute, die sagen sich "Ich kenn den Idioten schon seit Jahren, warum soll ich plötzlich kreischen, wenn ich ihn sehe?" Außerdem wissen wir unseren Erfolg zu würdigen, da wir das Geschäft lange genug kennen. Hätten wir diesen Hit mit 19 gehabt, wären wir wohl auch abgehoben und hätten gemeint, Rockstar spielen zu müssen."
ragazzi: "Ihr habt bei "The Dome" gespielt. War das für euch eine fremde Welt zwischen all den Casting- und Popstars oder ein ganz normaler Auftritt?"
Flux: "Das ist schon eine andere Welt, wenn man beispielsweise "The Dome" mit dem Meraluna-Festival vergleicht. Obwohl das "Meraluna" auch strange ist, wenn man da mal übers Gelände geht und sich die Leute anguckt. Das kann ich nur jedem empfehlen! Bei "The Dome" ist das genau andersrum. Es ist total komisch, wenn dir Natural entgegenkommen und sagen "'Augen auf', cool song guys". Oder wenn die Leute von der Fame Academy ganz aufgeregt sind, weil sie den Backstageraum neben uns haben. Wir machen diese Auftritte aber aus einem ganz bestimmten Grund: Wenn wir nicht in solche Shows gehen, wo das junge Publikum ist und bei denen sich das junge Publikum über Bands informiert, dann wird dieses Publikum bald auch keine Rockmusik mehr kennen und mögen, weil sie nur noch Castingbands sehen und hören. Die Kids informieren sich nun mal nur in solchen Shows oder in der Bravo über aktuelle Bands. Die lesen kein "Rock Hard" oder "Zillo". Und man begehrt halt nur, was man täglich sieht und deshalb gehen wir dahin."
ragazzi: "Euer aktuelles Album "Wahrheit und Pflicht" wurde an die Presse nur als Kassette rausgeschickt. Ein Schutz vor vorzeitigen Downloads im Netz?"
Flux: "Genau das war der Grund für unsere Plattenfirma."
ragazzi: "Welche Meinung habt ihr zum Thema illegale Downloads und Raubkopien?"
Flux: "Wenn es das nicht gäbe, würden wir auf jeden Fall mehr Platten verkaufen. Aber das ist nun mal ein Symptom der Zeit. Ich hab das früher mit Kassetten auch so gemacht. Heute geht das nur leichter und schneller und das macht die Sache problematisch. Uns ist wichtig, dass es legale Plattformen gibt, wo man für einen günstigen, adäquaten Preis Songs downloaden kann. Bands, die gute Songs und gute Alben machen, wo ich uns mal mitzuzähle, werden dann auch mehr Downloads verzeichnen können und dadurch mehr Geld verdienen als Bands, die nur einen Hit auf einem ansonsten schlechten Album haben. Und das wird hoffentlich die Entwicklung der Zukunft sein."
ragazzi: "Meinst du, dass würde das illegale Downloaden wirklich eindämmen?"
Flux: "Verringern würde es sich auf jeden Fall. Was aber wirklich Käufer kostet, sind gar nicht mal die Downloads sondern das Kopieren. Einer kauft sich 'ne CD und kopiert sie für alle Kumpels. Ich kenne einen Fall, wo in einer Firma Bestelllisten rumgehen, auf denen man die Hits ankreuzen kann, die man gebrannt haben möchte. Das ist viel schlimmer als Downloads."
ragazzi: "Wie würdest du mit wenigen Worten die Entwicklung Oomphs! vom ersten Album bis heute beschreiben?"
Flux: "Wir sehen das ganz egoistisch. Wir machen Musik, die uns selber gefallen muss. Dabei muss sich natürlich immer etwas ändern, deshalb klingen unsere Alben auch alle anders. Es gibt immer Wellenbewegungen was die Lastigkeit der Gitarren oder der Elektronik angeht. Als wir Ende der Achtziger anfingen, waren wir von AC/DC oder Motörhead beeinflusst. Dann kamen elektronische Einflüsse von DAF, Kraftwerk, Einstürzende Neubauten oder Depeche Mode hinzu. Das haben wir dann kombiniert. Mit der Grunge- und Rockwelle der Neunziger haben wir uns wieder mehr den Gitarren zugewandt. Nach dem sehr vertrackten Album "Wunschkind" von 1996 hatten wir davon genug. Folglich wurde es elektronischer. "Wahrheit und Pflicht" ist aber wieder eine sehr rockige Platte geworden."
ragazzi: "Eure Texte waren schon immer sowohl deutsch als auch englisch. Wie entscheidet ihr, in welcher Sprache ein Song gesungen wird?"
Flux: "Das passiert meistens spontan. In der Regel bestimmen die Rhythmik und die Geschwindigkeit des Songs die Sprache. Unsere stärksten Songs sind allerdings deutschsprachig. Sie sprechen ohne Umwege Herz und Seele an. Es gibt aber auch Lieder, die funktionieren auf Deutsch einfach nicht."
ragazzi: "Rammstein geben euch als Inspirationsquelle an, hatten aber vor euch den großen Durchbruch. Wie ist es, von seinem eigenen Stil überholt zu werden?"
Flux: "Wir gönnen Rammstein den Erfolg. Es gibt keinen Neid oder Konkurrenz. Schließlich haben sie den Weg für diese Musik geebnet. Und wir sind eben erst jetzt soweit. Rammstein benutzen aber nur dieselben Elemente wie wir. Das Endergebnis ist bei denen ein ganz anderes. Außerdem spielen sie mit Images, mit denen wir nie spielen würden. Und was ich richtig Scheiße an Rammstein finde ist, dass sie mit dem Spiel dieser Images, dieser Symboliken wie der Leni-Riefenstahl-Ästhetik oder dem rollenden "R" einen großen Teil ihres Erfolges begründen."
ragazzi: "Letzte Frage: Im Angesicht des momentanen Erfolges und rückblickend auf 15 Jahre Oomph! - was fällt dir dazu spontan ein?"
Flux: "Wir haben sehr, sehr treue Fans, die uns unseren bescheidenen Lebensstandart als Musiker ermöglicht haben. Und das wollen wir auf unseren Konzerten zurückgeben. Es waren 15 schöne und lehrreiche Jahre, von denen ich nicht eines missen möchte. Jetzt sind wir menschlich und musikalisch da, wo wir ohne die Erfahrung dieser Jahre und ohne unsere Fans nicht wären."
ragazzi: "Vielen Dank für das Interview!"

LARS




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