Im ragazzi-Interview: Mortiis

Touren ist ein bisschen wie Achterbahn fahren

Gespräche mit dem Norweger Mortiis sind immer wieder sehr angenehm - ganz anders als seine optische Erscheinung, die nach wie vor auf Viele verstörend wirkt. Gerade von einer Probe zurückgekehrt und mit leicht angeschlagener Stimme berichtete der charismatische Künstler ragazzi von der Arbeit am neuen Album (VÖ: 13.09.04), von seinen Live-Erfahrungen und von seiner derzeitigen finanziellen Situation.





ragazzi: "Seit unserem letzten Gespräch und deiner letzten Albumveröffentlichung sind fast drei Jahr vergangen. Was ist inzwischen passiert, abgesehen von der Tatsache, dass Mortiis inzwischen eine echte Band ist?"
Mortiis: "Im Prinzip drei Dinge: Im ersten Jahr wurde aus Mortiis eine Band, im zweiten Jahr waren wir hauptsächlich auf Tour und im letzten Jahr haben wir das neue Album produziert und aufgenommen. Wir haben viel gemacht, waren sehr kreativ. Es ist also nicht so, dass ich drei Jahre auf der faulen Haut gelegen und nur an dem neuen Album gearbeitet habe."
ragazzi: "Auf dem neuen Album sprichst du von "Mortiis Era 3", das letzte Album, "The Smell of Rain", war mit "Era 2" bezeichnet. Was steckt hinter diesen Einteilungen?"
Mortiis: ""The Smell of Rain" hab ich mit "Era 2" bezeichnet wegen der musikalischen Veränderungen bei Mortiis. "Era 3" steht für noch mehr Veränderungen, da wir jetzt eine Band sind. Immer, wenn sich etwas Größeres verändert, ist es der Beginn einer neuen Ära. Es ist ein Zeichen dafür, dass es weitergeht, dass sich etwas entwickelt. Das nächste Album kann "Era 4", aber genau so gut auch noch "Era 3" sein."
ragazzi: "Während der letzten zwei Jahre habt ihr viel live gespielt. Was hat das Touren für dich persönlich gebracht?"
Mortiis: "Durch das Touren haben wir viele Erfahrungen gesammelt, um eine gute Live-Band zu werden. Das Negative daran ist, dass du manchmal in schäbigen Locations vor nur wenigen Leuten spielen musst. Und manchmal ist auch die Bezahlung nicht doll. Nach solchen Gigs hast du keine Lust mehr, möchtest am liebsten nur noch ins Studio. Dann spielst du aber wieder eine großartige Show und all das Schlechte ist vergessen. Touren ist da ein bisschen wie Achterbahn fahren..."
ragazzi: "In welchen Ländern hattet ihr die besten Shows?"
Mortiis: "In Skandinavien hatten wir viele tolle Gigs, in Deutschland hatten wir großartige Shows, aber auch schreckliche. Das liegt weniger an den Leuten selbst als daran, dass einfach jeder in Deutschland spielt. Es gibt hier so viele Konzerte, da müssen sich die Leute entscheiden. Sie können sich einfach nicht leisten, in jedes Konzert zu gehen. Und so sind manche Gigs einfach ganz schlecht besucht."
ragazzi: "Mortiis, lass uns über euer neues Album sprechen. Es ist noch immer Electro-Industrial, aber es klingt härter, zorniger und weniger harmonisch als die Vorgängerscheibe. Welche Gründe gibt es für diese Entwicklung?"
Mortiis: "Als "The Smell of Rain" entstand, befand ich mich in einer depressiven Phase. Das hört man in der Musik und besonders den Texten. Inzwischen haben sich meine Gefühle in Wut verwandelt. Vor einigen Jahren hatte ich geschäftlich und privat den falschen Menschen vertraut. Das hat mich zornig gemacht, dafür sollte jemand bezahlen. Das passiert mit Hilfe meiner Musik, worüber ich sehr froh bin. Das ist besser als Dinge zu zerstören oder zu McDonalds zu gehen und jemanden abzuknallen.
Nachdem ich die neue Platte gemacht hatte, ging es mir viel besser. Es war eine gute Möglichkeit, die negativen Gefühle rauszulassen."
ragazzi: "Bezieht sich der Albumtitel "The Grudge" (dt.: Groll, Missgunst) auf bestimmte Leute?"
Mortiis: "Das Stück "The Grudge" bezieht sich tatsächlich auf einen bestimmten Menschen. Aber das Album dreht sich nicht um eine einzige Person. Es geht um verschiedene Leute, aber auch ein wenig um die gesamte Welt. Ein, zwei Stücke richten sich gegen das schnelle Verurteilen von Außenseitern, von Leuten, die anders sind."
ragazzi: "Wie lange hat die Produktion der Platte gedauert und was würdest du bei der nächsten Scheibe anders machen?"
Mortiis: "Wir haben für das Album ungefähr ein Jahr gebraucht. Es ist jetzt noch zu früh, um sagen zu können, was man besser machen könnte. Ich sage nicht, dass es die perfekte Platte ist, aber im Moment bin ich sehr glücklich damit. Wenn du mich in sechs Monaten fragst, könnte ich dir wahrscheinlich 'ne lange Liste geben, was alles verbessert werden könnte."
ragazzi: "Kannst du eigentlich vom Musikmachen leben?"
Mortiis: "Nicht wirklich, ich werde von meinem Label sehr schlecht bezahlt. Im Moment lebe ich eher von der Hand in den Mund. Alles Geld, was ich verdiene, gebe ich sofort wieder aus. Es ist frustrierend und muss sich schnell ändern.
Glücklicherweise hat meine Freundin einen Job und hilft mir, weil sie an mich glaubt."
ragazzi: "Denkst du, dass das neue Album etwas an der Situation ändern wird?"
Mortiis: "Ich bin überzeugt, dass die Platte kommerzielles Potential hat. Viel hängt natürlich vom Marketing und vom Label ab. Ich habe meine Arbeit gemacht, mache sie noch immer, indem ich Interviews gebe und das Album promote. Ich hoffe, dass auch die Tour im Herbst zum Erfolg des Albums beitragen wird. Jetzt ist das Label dran. Wenn mein Label an mich glaubt, wird es auch bereit sein, für die Promotion der Platte, für Anzeigen etc. Geld auszugeben."
ragazzi: "Welche Künstler - vielleicht auch Filme oder Bücher - inspirieren dich?"
Mortiis: "Meine Lieblingsbands, die nach wie vor Ministry, Nine Inch Nails, Skinny Puppy und Enigma sind. Ich sehe gern Filme, nehme aber keine Inspirationen daraus.
In letzter Zeit habe ich Bands wie Prodigy gehört, die mich da mehr inspirierten, z.B. was Breakbeats betrifft."
ragazzi: "Mortiis, was ist die perfekte Situation, in der man die neue Scheibe hören sollte?"
Mortiis: "Sie sollte auf jeden Fall laut gehört werden. Es ist eine sehr komplexe Platte mit vielen übereinander liegenden Schichten. Du wirst wahrscheinlich beim ersten Hören nicht alles hören. Einige Songs sind auch sehr gut für den Clubeinsatz geeignet."
ragazzi: "Im Herbst geht ihr wieder auf ausgedehnte, neunwöchige Tour. Wie motivierst du dich da jeden Abend aufs Neue?"
Mortiis: "Du kannst nicht davon ausgehen, dass jeder Abend großartig wird. Aber du gibst dein Bestes, wenn du professionell arbeitest. Selbst wenn nur 2 Leute vor der Bühne stehen. Wir gehen einfach raus und rocken los."
ragazzi: "Was wird im Herbst bei Mortiis auf der Bühne passieren?"
Mortiis: "Ich würde gern sehr viel machen, aber es ist natürlich eine Frage des Geldes. Die Leute werden auf jeden Fall jede Menge Wut, Hass und Aggression erleben. Und vier dreckige Typen, die ihre Instrumente vergewaltigen. Die Leute werden uns lieben!"

Stefan





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