Ragazzi Interview mit Dave Kerman September 2005

Prog ist tot

David Kerman ist einer der Musiker, die mich neugierig machen. Wie ist er dahin gekommen, wo er heute ist? Welche musikalischen Kreuzungen hat er genommen? Dave spielt(e) in einigen der großartigsten Avant Prog Bands: Motor Totemist Guild, 5uu's, U Totem, Thinking Plague, Present, Ahvak, Blast. Einige Male traf ich ihn in Würzburg zu diversen Konzerten und Freakshows, aber nie war genug Muße, ausführlich mit ihm zu reden. Nachdem er im letzten Jahr im Exposé Magazin einen Artikel mit dem Titel "Prog ist tot" veröffentlicht hat, steigerte sich das Interesse noch einmal. Was genau meinte er damit? Auf dem diesjährigen Freakshow Art Rock Festival in Würzburg gab er mir seine aktuelle Email-Adresse und versprach brav, auf alle meine Fragen zu antworten. Schließlich kamen 8 voll gepackte DIN-A 4 Seiten mit Antworten zurück. Hier seine Statements:


ragazzi: "Hi Dave, wie geht's? Wie war die US Tour mit Present in diesem Sommer?"
Dave: "Mir geht's gut, danke. Die Present Tour war nett. Wie spielten Gigs in Frankreich, Belgien und Deutschland, und schlichen uns für einige Tage weg, um Aufnahmen für das kommende Album zu machen. Danach ging es an die Ostküste (der USA, d. Red.) für weitere Proben, wo wir das neue Material arrangiert haben. Das konnten wir neben den Touretappen in den USA tun. Wir spielten an einigen hübschen Orten für einige tolle Leute, waren auf dem NEARFest und hatten unser letztes Konzert für die Tour im Sommer 2005 in Montreal mit Miriodor. Wir machten das ganz gut, wenn man bedenkt, wie groß die Tourband war, und wie viel Zeit und Kosten nötig waren, das alles hinzukriegen."
ragazzi: "Erzähl bitte etwas zu deinem persönlichen Werdegang als Musiker. Womit und wann fing dein Interesse für Musik an? Welche Musik hat dich als Teenager interessiert und wie hat sich das über die Jahre verändert?"
Dave: "Ich begann als Kind Schlagzeug zu spielen, auf das Drängen eines Nachbars hin (dem späteren Grateful Dead Schlagzeuger Keith Godchaux). Musik war schon immer meine erste Passion, vor allem das Schlagzeug. Als ich Kind war, waren alle meine Helden Schlagzeuger, also wollte ich natürlich so sein wie sie und trat in ihre Fußstapfen. Ich spielte in Schulorchestern, städtischen Blaskapellen, Garagebands, gottgefälligen Bar-Bands… jeden Gig, den ich kriegen konnte und als ich 13 Jahre alt war, hatte sich in der Nachbarschaft die Legende verbreitet, dass ich ein böser Bube sei, der von der Schule abhaute um mit älteren Musikern abzuhängen, um es endlich zu schaffen, in ihren Rock n' Roll Bands zu spielen.

Als 12- oder 13-Jähriger bekam ich mit, was der so genannte "Progressive Rock" war. Ich liebte Supersister, Gentle Giant, King Crimson, Yes und alle Arten obskurer, europäischer Bands, deren Alben nur über Import zu bekommen waren. Als junge Teenager spielten meine Kumpels und ich alle möglichen Plattensammlungen ab, um esoterische Titel zu finden. Über diesen Prozess bin ich auf Henry Cow gestoßen, so um 1975. Von dem Augenblick an suchte ich rückwärts, um die starken Sachen zu finden, die ich in den 60ern vermisst hatte: Beefheart, Nico, Van Dyke Parks, jede Menge Artrock und experimentelle Musik, wie Bailey's Music Improvisation Company. 1977 kam ich aufs College, da hörte ich mir viel elektronische Musik und moderne Klassik an, Sachen wie Zazou & Racaille's ZNR und einige Titel, die ich bei Recommended Records über Mailorder kaufte. Über die Jahre hatte ich auch Phasen, wo ich exklusiv nur bestimmte Sorten Weltmusik anhörte. Die längste dieser Phasen hatte ich Ende der 90er, als ich Rembetika entdeckte, das war die Musik aus der griechischen Unterwelt vom Beginn des letzten Jahrhunderts. Das war die am meisten wahrhaft progressive Musik, die ich jemals gehört hatte, wenn man bedenkt, dass darin Drogengebrauch und Gewalt gebilligt werden, bereits ein halbes Jahrhundert vor dem Sommer der Liebe oder der sich anschließenden Punk Ära."
ragazzi: "Du spielst Schlagzeug. Auch weitere Instrumente?"
Dave: "Im Vergleich zum Schlagzeug weniger gut, spiele ich ein wenig Keyboards und Gitarre, das sind die Instrumente, mit denen ich komponiere. Ich habe mich dazu gezwungen, Bass in einigen meiner Songs zu spielen. Und, erinnere dich, ich habe ALLE Instrumente auf meiner letzten Cuneiform Veröffentlichung "Abandonship" gespielt."
ragazzi: "Woher kommt dieses extrem komplexe Schlagzeugspiel? Hast du Vorbilder? Wer hat Einfluss auf dein Spiel genommen?"
Dave: "Ich bin nicht davon überzeugt, dass mein Stil so sehr komplex ist. Weniger ist mehr gilt auch beim Schlagzeugspiel - nicht in der Art, wie kommerzielle Musik es braucht, dass der Schlagzeuger "den Beat hält", auf dass die Leute tanzen können. Vielmehr dass das Schlagzeug die Musik oder Komposition als integraler Teil "fit" hält.

Ich denke, meine Einflüsse sind solche, die einiges Großartige in diesem Bereich der Musik geschaffen haben. Drumbo, von der Magic Band, war so einzigartig wie hervorragend. Er entwickelte eine Art polyrhythmischer "Pattern", die von vielen Schlagzeugern, mich eingeschlossen, aufgenommen wird. Sein Einfluss ist offensichtlich in Daniel Denis' großartigem Spiel zu hören, und auch dem Typ von Devo (dessen Name mir gerade nicht einfällt). Die französischen Schlagzeuger Guigou Chenevier und Claude Marcoeur haben diesen Stil perfektioniert, beide entwickelten diese Art zu spielen in eine mehr melodische Richtung, die man normalerweise nicht unbedingt mit Schlagzeugspiel vergleicht. Und der tschechische Schlagzeuger Pavel Kudelka zeigt diese Einflüsse ebenso, nur auf wunderbar minimalistische Art und Weise.

Zudem bewundere ich Schlagzeuger mit großer technischer Fertigkeit, obwohl ich wahrscheinlich nicht in der Lage bin, auf diese Art zu spielen. Christian Vander kann in gewissen Momenten übermenschlich sein; Lenny White war ein Monster, ebenso Tony Williams. Wahrscheinlich der am meisten intensiv spielende Schlagzeuger, dessen Virtuosität meine Hochachtung hat, war Buddy Rich, obwohl Louis Bellson ihm den Rang hätte ablaufen können. Ich war eines Abends vor vielen Jahren mit Bellson in Disneyland, und bemerkte, dass er ein liebenswürdiger und bescheidener Mann war, ein Fels der Integrität. Ich bin total verrückt auf den Typen seitdem.

Aber das Schlagzeugspiel, das ich am meisten mag, ist die Art, die Grenzen einreißt und für sich selbst als künstlerisches Statement steht. Chris Cutler fällt mir da unmittelbar ein. Sein Schlagzeugspiel ist so vielseitig, dass er in vielen Jahren in zahllosen Bands gespielt hat, angefangen bei den Quasi-Art-No-Wavern Pere Ubu bis zur klassischen Welt des bulgarischen Komponisten Iancu Dumitrescu. Chris' Stil ändert sich ständig, und vielleicht ist das einzige verräterische Zeichen, mit dem du ihn am Schlagzeug erkennen kannst, der Klang seines Schlagzeuges selbst. Und es ist einfach ein Ding, ihm zuzusehen."
ragazzi: "Was für ein Schlagzeug spielst du?"
Dave: "Ich benutze ein elektrisches Yamaha hier in meinem Büro zum Üben. Für Konzerte in Europa bitten wir normalerweise um ein einfaches Set. Ich bin an keinem Sponsoring irgendeiner Firma interessiert, es ist mir völlig gleichgültig, welche Marke oder Größe ich mir aussuche für Liveshows. Eine Schlagzeugerin, die das gleiche denkt, ist Marylise Frecheville von der französischen Band Vialka. Ihr technischer Anspruch an das Gerät klingt etwa so: "Wir werden wahrscheinlich mit einem Zug oder Bus am eurem Veranstaltungsort eintreffen, bitte habt ein Schlagzeug und Becken bereit zum Spielen für mich". Und ich muss sagen, dass sie eine der am meisten beeindruckenden Talente heutzutage ist.

Für mich ist es ganz ok, immer wieder auf verschiedenen Sets zu spielen, der Klang der unterschiedlichen Schlagzeuge an sich kann mein Spiel beeinflussen, und ich mag es, soviel wie möglich zu mixen. Wenn ich fühle, dass ich leibliches Wohl brauche, frage ich normalerweise den Bassisten von Present, Keith Macksoud, der mir sein Mix & Match Kit vorbeibringt. Er glaubt nicht, dass ich es wie Keith Moon mache, und sein Schlagzeug auf der Bühne zertrümmere."
ragazzi: "Und benutzt du spezielle technische Ausrüstung?"
Dave: "Ich bin dafür bekannt, dass ich aus allem möglichen einen Rhythmus heraushole, von Barbie Puppen bis Küchenutensilien. Ich nehme auch schon mal meinen Eisen-9-Golfschläger für die Becken. Ich verstärke Aufziehspielzeuge, schlage einen Dub Beat auf Waschbrettern… Hölle, ich weiß nicht, das ist jede Nacht unterschiedlich."
ragazzi: "Spielst du auch Percussion, Vibraphone und Marimba?"
Dave: "Hammerinstrumente (Vibraphone, Marimba, d. Red.) nicht so sehr, ich bin Schlagzeuger, bei Gelegenheit kann ich das imitieren. Es scheint, als würde das menschliche Ohr eher Rhythmus und Metren annehmen als Tonreihen mit melodischem Sinn. Percussion, sicher, immer und überall, worauf auch immer. Wie gesagt, ich bin nicht wählerisch."
ragazzi: "Bitte sag was über deine ersten Tage als Musiker, bevor du zu Bands wie Motor Totemist Guild und 5uu's gestoßen bist - was hast du damals gemacht? Normale Rockmusik?"
Dave: "Nach den Schul- und Blasorchestern gab es einen Schwenk zu Rock n' Roll Coverbands, die Hendrix, Montrose und Zeppelin gecovert haben - diese Art von Zeug. Dann kam eine Periode mit New Wave Bands. Die wichtigste darunter war Curt Wilson's "Maps to the Stars' Homes", woraus 5uu's entstanden ist. Curt und ich haben unsere ersten Sporen verdient damals, wir spielten im Troubadour, FM Station, Whiskey, Madam Wong's und wahrscheinlich in jedem anderen Club in Hollywood. Wir versuchten, einen Plattenvertrag zu bekommen und hofften, große Rockstars zu werden. Aber Hollywood ist ein falsches Geschäft, es dauerte nicht zu lange, bis mir das bewusst wurde und ich die Entscheidung traf, die Band weg von der glamourösen Schande des Ruhmes und von der fatalistischen Hausbesetzer-Kultur der Punkszene zu führen, was auch eine mögliche Option für uns gewesen wäre, wir waren Kumpels der Black Flag Typen. Ach, stattdessen wendeten wir uns der "Rock In Opposition" zu, und endeten in der fatalistischen Hausbesetzerszene der Umgebung. Währenddessen, klar, brachte das Internet einiges Interesse an 70er Platten zurück, von Dinosauriern wie Yes und Genesis. Das brachte außerdem eine ganze Reihe junger Bands dazu, ihre Erfüllung in schlechter Imitation dieser Vorbilder zu suchen. Seitdem wurde unsere Schule der Musik vor die Hunde geworfen, weil wir "Prog" genannt waren, das tötete jede Chance ab, Rock n' Roll Stars zu werden und die allgegenwärtigen hormonellen Attribute hinreißender, junger Groupies anzulocken."
ragazzi: "Gab oder gibt es geheime interessante Projekte, von denen stapelweise heiße Aufnahmen vergessen auf staubigen Böden herumliegen?"
Dave: "Es gibt einige unveröffentlichte Sachen aus jeder Periode meiner Karriere. Aber in einigen Fällen ist das sicher auch besser so. Im Moment arbeiten wir an Aufnahmen in einer Band, in der ich Ende der 70er war, Maps to the Stars' Homes. Einiges Material der Band wurde umarrangiert als 5uu's veröffentlicht. Aber das Gros wurde nie aufgenommen. Als Joe Herpin, unser damaliger Gitarrist, mich 25 Jahre später kontaktierte, trafen wir uns so schnell wie möglich, das Material auf Tape einzufangen, aber mit der Scharfsinnigkeit und musikalisch fortschrittlichen Neigung, die wir jetzt viele Jahre später haben. Wir haben keine Ahnung, wo der originale Bassist abgeblieben ist, so hat Dave Willey von Hamster Theatre und Thinking Plague seinen Platz im Studio eingenommen, wir haben die Jams in Rekordzeit absolviert. Wir haben die Aufnahmen bald fertig, voraussichtlich werden sie auf meinem eigenen Label erscheinen."
ragazzi: "Wie ist der Kontakt zu Motor Totemist Guild und der Avantgarde Szene zustande gekommen?"
Dave: "1984 gab es eine kleine Avantrock Szene in Los Angeles. Einige von uns haben sich zusammengetan und eine Organisation namens California Outside Music Association, kurz COMA, gegründet. Wir hatten ein Mitglied namens Titus Levi (der mit Lynn Johnston, Emily Hay, David Crisman und mir in einer Band namens "You'll Go Blind" Cello spielte). Titus holte Gelder für die Organisation rein, damit unsere Bands proben und auftreten konnten, oftmals von sehr unbequemen Bettgefährten - wie zu der Zeit, als wir mit einer Handvoll 80-jähriger kambodschanischer, laotischer und vietnamesischer Musiker spielten.

Zu Beginn gab es 10 Bands in dieser Organisation und alle waren in diesem Bündnis verpflichtet, alles zu tun, was Promotion und Distribution betraf und jeder anderen Band half. Natürlich hatten wir auch ein Plattenlabel, James Grigby's Rotary Totem Records, aber wir wussten nur wenig darüber, wie man Produkte auf einer weltweiten Skala vertrieb. Und so versuchten wir wie jeder Amateurlevel, uns mit perfekten Professionalisten zusammenzutun (in diesem Fall den großen Hollywood Plattenlabels), und die Organisation verblühte. Aber bevor das so weit war, waren Alben von Motor Totemist Guild, 5uu's, Steaming Coils, Kubist Tier, Cruel Frederick und einigen anderen produziert worden. Es schien das Beste zu sein, einen Sampler mit Aufnahmen der 10 originalen Bands zu vertreiben, Radiosendungen anzuschieben und Konzerte zu organisieren. Eine der am meisten erfolgreichen Sachen, da kannst du jeden fragen, der dabei war, war ein Motor Totemist Guild Konzert im Safari Sam's in Orange County 1985. Ich hatte sie nie zuvor live erlebt und sie waren spektakulär. Bis heute kann ich sagen, dass es eines der besten Konzerte war, die ich je erlebte. Eine andere erfolgreiche Sache war, dass U-Totem und Thinking Plague Konzerte im Programm der L.A.C.E. (Los Angeles zeitgenössischer Ausstellung) gaben, obwohl es ein Alptraum an musikalischen Lernens für mich war, weil ich das Schlagzeug für beide Bands spielen sollte."
ragazzi: "Was für ein Flair herrschte damals vor? Warst du nur der Schlagzeuger oder hast du auch musikalische Einflüsse eingebracht?"
Dave: "Bei Motor Totemist Guild war ich ausschließlich der Schlagzeuger. James Grigsby war der Komponist. Aber ich war der Hauptkomponist für 5uu's, und als wir weniger wurden und die beiden Bands in U-Totem kombinierten und so auf dem Frankfurt Artrock Festival spielten, wurden wir beiden Komplizen. Auch Sanjay Kumar machte sich an den dubiosen und schwierigen Job der Komposition für diese Konfiguration. Nach dem Festival blieb die Band zusammen, machte zwei CDs und gab über einige Jahre mehrere Konzerte und spielte auf Festivals in Europa, Kanada und in den USA. Es war eine musikalisch fruchtbare Zeit für uns, aber finanziell brachten uns nur unsere täglichen Jobs weiter."
ragazzi: "Du bist/warst praktisch der Schlagzeuger einiger der bekanntesten und interessantesten Progbands: Present, Thinking Plague, 5uu's…"
Dave: "He, du hast das "P" Wort benutzt! Keine der Bands ist Prog, meiner Einschätzung nach."
ragazzi: "Wie ist es zu deiner Mitarbeit in Present gekommen?"
Dave: "Daniel Denis wollte Present verlassen, um Univers Zero zu reformieren, versprach aber zu bleiben, bis Roger und die Band einen Ersatz gefunden hätten. Sie sahen sich 1993 alle ein U-Totem Konzert in der Universität von Brüssel an, anschließend näherten sie sich mir mit dem Vorschlag, Daniel zu ersetzen. Univers Zero und Present waren zwei meiner favorisierten Bands damals und so hatte ich kein Problem damit zu sagen: Ja, wenn ihr meint, bitte zählt mich dazu."
ragazzi: "Wie ist der Kontakt zu Mike Johnson und Thinking Plague zustande gekommen?"
Dave: "Eden Ben Epstein, ein Mailorder-Betreiber, der freiberuflich als DJ bei KCRW arbeitet, spielte Thinking Plagues "In This Life" eines Nachts in seiner Radioshow, als U-Totem daneben saßen, um live in der Sendung zu spielen. Er meinte mir gegenüber, dass die Band sehr nach 5uu's klingen würde. Ich dachte das nicht SO sehr, aber ich fand die Musik interessant und es war absolut offensichtlich, dass sie sehr talentierte Musiker waren. Das nächste, was ich von ihnen hörte, war, dass der Bassist von Plague, Bob Drake, nach LA gezogen wäre, um dort als Sound Ingenieur zu arbeiten. Wir trafen uns und er fragte mich, ob ich nicht mitmachen wollte. Erst als wir uns in einem Proberaum in Shane Hotles (der Keyboarder) Keller trafen, bemerkte ich wirklich, wie heiß die Band war. Wir wurden fast so was wie eine inzestuöse Familie… Ich spielte in Thinking Plague seit 1989, bis ich 11 Jahre später nach Israel zog. Hier und dort waren Bob (Drake, d. Red.), Mike (Johnson, d. Red.) und Susanne Lewis an Aufnahmen von 5uu's beteiligt. Sanjay (Kumar, d. Red.) war auch eine Weile in Plague. Und jetzt scheint es, als hätten James, Bob und ich eine neue, "krank-kommerzielle" Band zusammen, die wir "Nimby" genannt haben."
ragazzi: "Betreibst du 5uu's noch?"
Dave: "Es hat sich zum Studioprojekt entwickelt, ist praktisch mein Soloprojekt. Die extrem verantwortungsvolle Position eines jeden Bandleaders fordert ihren Tribut nach einer Weile. So ist es beinahe immer besser, dass jeder Mann/jede Frau für sich selbst sorgt. Und abgesehen von Present und Blast (eine holländische Band, bei der ich spiele) machen die anderen das auf ähnliche Weise. Ok, Ahvak, die israelische Band, die du erwähnt hast, arbeitet auch als erfolgreiches Bandprojekt zusammen."
ragazzi: "Wie siehst du die Entwicklung der 2. Prog und Avantgarde Szene (nach den 70ern) in den 90ern bis heute?"
Dave: "Es ist kein Geheimnis, dass ich die Musik nicht so sehr mag, oder dass ich treu zur Szene stehe. Die Bands, in denen ich spiele, haben mehr mit altem Punk-Stil gemein als mit Progressive Rock, obwohl einige unserer Fans es ablehnen, das so zu sehen. Ich denke, Prog ist "bequem" und unaufdringlich geworden, eine sentimentale Art von Musik für Leute, die ihr Herz auf der Zunge tragen. Keine der Bands, mit der ich spielte, war jemals an dieser Art interessiert, stattdessen kommt es mir darauf an, Musik zu spielen, die aus einer weniger erhaben und spirituell schallenden Ecke kommt. Wir bemühen uns, Verzweiflung, Bescheidenheit und Qualen zum Ausdruck zu bringen, eben das reale Leben - und nicht Fröhlichkeit und aufgeweichten Spaß, wie in der Fantasie."
ragazzi: "Welche der vielen Alben, an denen du mitgespielt hast, magst du heute noch?"
Dave: "Nun, seit ich normalerweise eine Hand in der Albumproduktion habe, habe ich die Musik etliche Male bis zum finalen Mix gehört, oder bis zur aktuellen Veröffentlichung. Demzufolge kann ich mich über nichts so richtig freuen nach so viel langweiliger Arbeit. Ich habe meine eigenen Platten von 5uu's, U-Totem oder Thinking Plague seit Jahren nicht mehr gehört. Ahvak hat eine besondere Frische, nach meinem Empfinden und ich habe die CD in den letzten Tagen, bevor die Band auf dem Tritonale Festival in Paris im letzten Sommer gespielt hat, etliche Male gehört."
ragazzi: "Welche Musiker und Musik magst du heute?"
Dave: "Ich bin ein großer Fan von Witold Lutoslawski, der russischen Komponistin Sophia Gubaidulina und dem Serben Erno Kiraly. Rembetika ist immer noch ein Favorit. Einiges harte Zeug, wie Mudvayne und Helmet. Musique Concrete, vor allem Tod Dockstader, der jetzt gerade einer meiner "Helden" ist. Ich liebe Latin Big Bands, wie Xavier Cugat und Desi Arnaz. Zudem höre ich mir oft altes Zeug von den Beatles, Faust, Art Bears und This Heat an. Ich mag elektroakustische Musiker wie Thom Dimuzio, Lutz Glandien, Kiko Esseiva und Michael Vogt, Pianomusik von Percy Grainger und Conlon Nancarrow und Jon Rose' Violinmusik. Für mich sind Magmas "Mekanïk Destruktiv Kommandöh" und Beefhearts "Lick My Decals Off, Baby" zeitlose Rockmeisterwerke. Kürzlich war ich ergriffen von einer schwedischen Band namens "Fortrangt Hushallsarbete", deren Album "Offret Om At Alaska" ich jeden Tag in den letzten Wochen ohne Ausnahme gehört habe."
ragazzi: "Und welche Art Musik kannst du nicht leiden?"
Dave: "Während ich denke, dass ich die meisten musikalischen Typen mag, ohne irgendwelche stilistische Bedenken, bin ich nicht gerade verrückt auf Country & Western. Hin und wieder kann ich mir die Carter Family anhören. Und Tennessee Ernie Ford war toll, vor allem "Shotgun Boogie" und "Sixteen Tons", das letztgenannte Stück werde ich einiges Tages covern, wenn mir nicht einer zuvor kommt und eine Avantgarde Version davon spielt. Und Jimmie Rodgers, der mit seinem Jodeln Country veränderte, während er mit Tuberkulose voll verseucht war. Aber stilistisch hat sich Country & Western in den letzten 100 Jahren nicht sehr entwickelt, seit es die ersten kommerziellen Aufnahmen gab. Wahrscheinlich war vor 150 Jahren die wichtigste Periode, als die Hutchinson Family die ersten erfolgreichen Protestsänger in den USA waren. Sie wurden zu famosen amerikanischen Superstars Mitte des 19. Jahrhunderts, die gegen Sklaverei protestierten. Ihre Tradition war wichtig für den ursprünglichen Country & Western. Sie konnten die Musik den Leuten nahe bringen, sangen strikt nur amerikanische Landessprache und spielten Songthemen mit überlieferter Tradition europäischer Musikmodelle, das war der Beginn der populären amerikanischen Folk- und Protestmusik. Wenn es auch einige Parameter des Stils gibt, die ich nicht zu versöhnlich sehe, versuche ich, vieles positiv zu sehen. Wie auch immer, ich gestehe, dass ich völlig unversöhnlich der jetzigen Progressive Rock Szene gegenüberstehe."
ragazzi: "Du hast einen Artikel mit dem Titel "Prog ist tot" verfasst. Was wolltest du damit sagen? Kannst du einen kurzen Abriss geben?"
Dave: "Das wurde in 5 Segmenten als Leitartikel im Expose' Magazin veröffentlicht, wie die 5 Stadien der Trauer, metaphorische Trauer über den Verlust der Experimente, die es populärer Musik ermöglichen, groß zu werden und stilistisch zu wachsen seit den 50ern, 60ern und 70ern. In seiner eigentlichen Natur und Definition sollte "Progressive" auf einer Ideologie beruhen, die Innovation und Förderung einschließt und komplett auf Prinzipien baut, die zusammen einzigartige Vorstöße entwickeln. Aber heute erlauben wir dem Wort "Progressive" leider nur, dass es "ein wenig nach Pink Floyd oder Genesis klingt" oder "Ooooohhh, hör dir das Mellotron an." Für mich zeigt das nur vollkommene Ignoranz, das hat nichts mit der Terminologie "Progressive" zu tun. Die Fans dieser Sorte von Musik zeigen oftmals eine Schwäche ihres ästhetischen Geschmacks für das "Abseits" von der breiten Masse der Musikkonsumenten. Fakt ist jedoch, dass ihre Neigungen sich von anderen nicht unterscheiden. Obendrein denken sie, dass es eine Leistung ist, dass sie diese besonderen Sachen hören (Brain Salad Surgery, Close To The Edge, Thick As A Brick, etc.), die sich zu ihrer Zeit komplett darum bemüht haben, kommerziell zu sein, viele Millionen Platten an Teenager und junge Erwachsene verkauft haben und komplett frei von musikalischen Experimenten waren, wenn man diese Platten mit den Erfolgen ihrer Vorgänger vergleicht.

Um die Wahrheit zu sagen, diese Schwäche, den Verdienst der Künstler nicht genau nach modernen Maßstäben zu untersuchen, ist überwiegend ein amerikanisches Phänomen, was ich persönlich bestätigen kann. Als in Amerika die konservative Ära begann, circa 1980, habe ich gesehen, wie sich seine scheußliche Fratze zeigte, soweit Israel entfernt war, in vollem Umfang: musikalisch desillusionierte, zwanghafte junge, männliche Fans, oftmals selbst völlig verstörte Musiker applaudierten dem reaktionären Auftritt neuer Bands, die einen Stil der Rockmusik aus vergangenen Zeiten wieder belebten und dies als "Fortschritt" ("Progression") bezeichneten (gemeint ist der Beginn des Neoprog, d. Red.). Ich finde das lächerlich. Deshalb habe ich gesagt, "Prog ist tot". Wenn irgendwann etwas rauskommt, das wirklich progressiv ist, werde ich glücklich sein, sagen zu können "lang lebe Prog!", oder etwas in dieser Art."
ragazzi: "Du betreust ReR USA. Läuft es gut?"
Dave: "Es läuft ganz gut und wir sind froh, eine Menge Musik anbieten zu können, was bisher einigen wenigen zusagt, immer in der Hoffnung, das mehr Leute dazu stoßen und die Musik mögen. Wir haben auch ein neues Label, Ad Hoc Records, von dem wir hoffen, dass es diese Leute mit ebenso kontrastreichem und ausgesuchtem Programm erreicht."
ragazzi: "Kannst du davon leben?"
Dave: "Wir arbeiten dran, bisher ist es so, dass wir einige Monate fett sind, und die anderen mager."
ragazzi: "Mit welchen Bands spielst du aktuell?"
Dave: "Im Moment spiele ich nur mit Present. Ein Anruf kann jeden Moment kommen von anderen, nehme ich an. Aber ich werde alt und grau, und ich habe weniger Lust von zu Hause aufzubrechen und dem Geschäft hinterher zu reisen, wie ich das seit 10 bis 20 Jahren mache. Zudem will ich ein Gefühl für die Musik haben, und mehr und mehr bringt es die Art mit sich, dass ich immer mehr Vertrieb mache, natürlich werde ich aber weiterhin Platten und Konzerte spielen… wenn die Konditionen und Pläne es bringen."
ragazzi: "Mit wem willst du gern spielen?"
Dave: "Ich würde gern der Schlagzeuger der Holländer "The Black Sheep" sein. Theoretisch bin ich ihr Schlagzeuger, aber Touren zu organisieren ist problematisch geworden. Das ist ein Grund, warum ein Wechsel erfolgen musste."
ragazzi: "Wie sehen deine Zukunftspläne aus?"
Dave: "Ich bleibe dabei, extrem viel zu arbeiten, spielen, organisieren, schreiben, aufzunehmen, Werbung und Vertrieb für Musik zu machen, die ich interessant finde. Dieses Konzept war immer schon mein Motto."

VM




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