Illuminate Interview im September 2004

"Ich bin und bleibe der knuffige Teddybär"

Johannes Berthold, Sänger und Songwriter von Illuminate, über Feigheit, Raubkopien, ein Kinderbuch und Werbung.









ragazzi: "Ein neues Illuminate-Album ist da und ich habe noch keine schlechte Kritik gelesen. Hast du diesmal alle Kritiker überzeugt?"
Johannes: "Nee, überhaupt nicht. Obwohl ich ja keine Probleme mit schlechten Kritiken habe, es gibt ein paar Profilneurotiker, die nur darauf warten, mir eine reinzuwürgen. Im Zillo sind wir beispielsweise beim Soundcheck auf dem allerletzten Platz. Wenn da ein Autor schreibt "unerträgliches Pathos und einfach nur schlecht" dann ist das sein gutes Recht und ich kann damit leben. Wenn aber jemand meint, meine Platte hätte "Homerecording-Niveau", dann ist das schlicht falsch. Die Produktion war teuer und ist saugut. Der Leser wird durch solche Falschaussagen getäuscht. Wenn wir wirklich so schlecht wären, wie einige immer sagen, dann würde es Illuminate jetzt nicht schon seit elf Jahren geben."
ragazzi: "Neu erfunden habt ihr euch aber auch nicht. Eigentlich ist alles beim Alten geblieben…"
Johannes: "Das war auch nicht die Intention. Ich wollte wieder zu den Wurzeln Illuminates zurückkehren. Als ich die Remixe zu "10x10" gemacht habe, habe ich mir nach langer Zeit unsere ersten Alben wieder angehört. Und die Stimmung dieser Platten wollte ich noch einmal aufgreifen. Wir haben die Gitarren etwas zurückgenommen und dafür die Stimmen sehr in den Vordergrund gestellt. Denn die Stimme ist für mich das wichtigste Instrument."
ragazzi: "Die Musik Illuminates strahlt immer so eine Ruhe und Besonnenheit aus, egal worum es inhaltlich geht. Da frage ich mich: Kannst du eigentlich auch mal so richtig ausrasten, böse und wütend werden und das in deiner Musik umsetzen?"
Johannes: "Das ist eine schwierige Frage. Ich kann das bestimmt auch. Aber meine Hemmschwelle ist wahnsinnig hoch. Ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch und außerdem sehr feige. Bei einer Schlägerei renne ich weg und schlage nicht mit. Und das spiegelt sich natürlich in der Musik wider. Außerdem würde dieses Destruktive auch gar nicht zu Illuminate passen, weil ich mich dann verstellen müsste. Ich bin nun mal kein lauter und aggressiver Typ. Ich bin und bleibe eben der knuffige Teddybär."
ragazzi: "Also auch ein Typ, der alle Probleme in sich hineinfrisst?"
Johannes: "Wie ich schon sagte. Das hat viel mit Feigheit zu tun. Ich bin deswegen auch kein guter Geschäftsmann. Alles was mit finanziellen und rechtlichen Dingen zu tun hat, habe ich deshalb an Leute abgegeben, die das besser können. Denn ich bin in solchen Belangen viel zu gutmütig. Ich stecke eben eher zurück, als dass ich hart bleibe."
ragazzi: "Das macht es einem nicht gerade leichter im Leben…"
Johannes: "Ganz gewiss nicht. Aber vielleicht passiert eines Tages der Supergau und ich laufe mit einer Pumpgun durch die Straßen."
ragazzi: "Es gibt zwei neue Musiker in der Band. Warum?"
Johannes: "Bei unserer ehemaligen Sängerin waren es persönliche Gründe, die zur Trennung führten. Unser alter Keyboarder hat dann dummerweise diese Sängerin in seine eigene Band aufgenommen, die er neben Illuminate betreibt. Und damit hatte ich ein Problem, zumal die Band eine ähnliche Musik wie wir macht. Also haben wir uns einvernehmlich getrennt. Jetzt spielt der Johannes Knees Keyboards und mit Conny Schindler haben wir meiner Meinung nach die beste Stimme seit Bestehen Illuminates an Bord."
ragazzi: "Wie viele andere Künstler auch hast du nur gekürzte Versionen deiner Songs an die Presse gegeben. Die Gründe sind klar - nur - wie sehr bist du von Raubkopien und Online-Piraterie betroffen?"
Johannes: "Ich habe keine 50prozentigen Einbußen wie andere, aber ich merke das auch. Und über dieses Thema könnte ich stundenlang referieren. Es ist ein Fass ohne Boden. Das Problem ist: Musik ist materiell nicht greifbar. Musik hat im Besitzstandsdenken der Leute keinen großen Stellenwert. In unserer Szene musst du heute drei- bis viertausend CDs verkaufen, um auf Null zu kommen. Wenn du aber nur 2500 verkaufst, weil 500 schwarz gebrannt wurden, dann hast du Verlust gemacht. Ist dir das ein Mal passiert, überlegst du dir, ob du dieses Risiko ein zweites Mal eingehst. Auf lange Sicht blutet die Szene mit ihrer Vielfalt und Kreativität dadurch aus. Und nicht nur die Gothic-Szene, sondern jede andere auch. Ich habe in dieses Album 60.000 Euro gesteckt und wenn ich die nicht wieder reinkriege, bin ich bankrott."
ragazzi: "Du bist vor einem Jahr Vater geworden. Hat sich das auf dein künstlerisches Schaffen niedergeschlagen?"
Johannes: "Auf alle Fälle! Ganz speziell bei einem Song wie "Sonnenkind". Auf Illuminate bezogen muss ich sogar sagen, es hat mich negativ beeinflusst. Denn mein ganzes Leben hat sich durch die Geburt meines Sohnes natürlich verändert. Plötzlich ist da so ein kleines Wesen, das man wie kein anderes liebt. Unglückliche Liebeslieder zu schreiben, ist in dieser Situation total schwierig. Und immer nur Lieder zu schreiben, die meinen Kleinen betreffen, wäre auch Quatsch."
ragazzi: "Das wäre doch aber eine Idee. Illuminate machen eine CD mit Kinderliedern…"
Johannes: "Das stimmt. Aber ich habe ja schon ein Kinderbuch geschrieben. Und dabei will ich es mal belassen."
ragazzi: "Wie heißt das Buch?"
Johannes: "Der kleine Schwede Rübenson."
ragazzi: "Gibt es das schon? Und wovon handelt es?"
Johannes: "Es ist noch nicht veröffentlicht, hat aber schon einen Verlag. Es ist eine Mischung aus Bilderbuch und Geschichte und handelt von einem kleinen Mädchen, das gerne Wikinger wäre. Sie baut sich aus dem Waschzuber ein Schiff und träumt von Abenteuern."
ragazzi: "Es gibt mittlerweile viele Beispiele aus der Gothic-Szene von Musikern, die geheiratet und Kinder bekommen haben. Tilo Wolff und Anne Nurmi von Lacrimosa, Alex Krull (Atrocity) und Liv Kristin (ehemals Theatre Of Tragedy), um nur zwei zu nennen. Dabei galt beides doch lange Zeit als Inbegriff der Spießigkeit. Hat da ein Wertewechsel stattgefunden?"
Johannes: "Ich denke wirklich, dass da viele alte Werte, um das Wort mal aufzugreifen, wiederentdeckt wurden. Und das hat überhaupt nichts mit Spießigkeit oder Konservatismus zu tun. Gerade in einer Zeit, wo viel Angst vor der Zukunft, vor Arbeitslosigkeit und sozialer Kälte haben, besinnt man sich auf die Familie, auf Treue und Freundschaften. Für mich war immer klar, dass ich eine Familie wollte. Und ich freue mich für jeden, gerade bei Kollegen, wenn jemand sagt, dass er geheiratet oder ein Kind bekommen hat."
ragazzi: "Bei X-tra, dem Gothic-Ausstatter Nummer eins, gibt es ja auch schon Kinderklamotten. Würdest du deinen Sohn in so ein Kinder-Grufti-Outfit stecken?"
Johannes: "Aus Spaß würde ich das schon mal machen. Ich würde aber keine schwarzen Strampler kaufen. Man muss auch aufpassen, dass man seine Kinder nicht zu sehr mit seinen eigenen Idealen überrumpelt. Die sollen sich schließlich normal entwickeln. Aber ich finde es natürlich auch ganz süß, wenn ich, wie auf dem Wave-Gotik-Treffen, kleine Mädchen mit T-Shirts sehe, auf denen "Kleine Hexe" oder "Kleiner Vampir" steht. Man sollte nur nicht übertreiben."
ragazzi: "Kleidest du dich auch in Szeneläden ein. Oder darf es auch mal H&M sein?"
Johannes: "Früher habe ich auch mal bei X-tra gekauft und für die Werbung gemacht. Genau wie viele andere Künstler, die die Klamotten dann günstiger bekommen. Die Szene ist ein Dorf. Eine Hand wäscht die andere. Inzwischen haben wir eine eigene Schneiderin, die unsere Bühnen-Outfits macht."
ragazzi: "Wie stehst du zum Thema Werbung und Musik."
Johannes: "Viele Musiker haben z.B. Verträge mit Instrumentenherstellern und müssen die dann im Booklet erwähnen. Mein Gitarrist macht auch Werbung für eine Saiten-Firma und bekommt dafür seine E-Gitarren-Saiten gratis. Ich finde das legitim. Der Typ arbeitet zwölf Stunden am Tag und hat am Monatsende keinen Cent übrig. Durch die Werbung hat er wenigstens seine Saiten von oben. Das ist doch völlig okay. Solange am Keyboard von Das Ich keine McDonalds-Reklame klebt."
ragazzi: "Wofür würdest du werben?"
Johannes: "Für etwas, das Sinn macht. So was wie die Krebshilfe, SOS-Kinderdörfer oder Greenpeace. Für Produkte eher nicht. Doch man sollte niemals nie sagen. Wenn einer käme und würde mir eine Million bieten würde… Aber Illuminate ist für die Werbeindustrie nun mal völlig uninteressant. Also stellt sich die Frage gar nicht."
ragazzi: "Ich stelle jetzt auch keine Fragen mehr, sondern bedanke mich vielmals für das Gespräch."

LARS




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