Interview mit Klaus Heymann, Labelinhaber von Naxos und Marco Polo

Die Label Marco Polo bzw. Naxos sind vielen klassisch interessierten Musikhörern bestens bekannt, den Namen ihres Gründers kennen deutlich weniger Menschen und die wenigsten wissen wohl, dass es sich bei Klaus Heymann, so sein Name, um einen Menschen handelt, der weit über den Tellerrand des Weißwurst-Äquators hinausblickt, immer auf der Suche nach dem substantiellen Charakter von Klängen in einer Welt, in der sich bei den klingenden Scheiben alles nur noch um klingende Münze zu drehen scheint. Kurzum, er ist ein Mann, der Musik l(i)ebt und nicht zuletzt gerade deshalb so erfolgreich.




ragazzi: "In Abwandlung eines Liedtitels von Sting könnte man bei Ihnen sagen "A German in Hongkong". Sind Sie bekennender Kosmopolit oder was verschlägt einen Deutschen in eine asiatische Großstadt?"
Klaus Heymann: "Direkt nach meinem Studium arbeitete ich für eine amerikanische Zeitung in Frankfurt, "The Overseas Weekly". Es war eine Wochenzeitung für die amerikanischen Streitkräfte in Europa; während des Vietnam-Krieges wurden viele der Leser nach Südostasien verlegt. Daher musste "The Overseas Weekly" ein Büro in Hongkong eröffnen, um Dinge wie Vertrieb oder Werbung zu regeln. Man schickte mich dorthin, um das Büro zu eröffnen. Ich war allerdings schon vorher ein international orientierter Mensch, so absolvierte ich beispielsweise mein Studium nicht nur an meiner Stamm-Universität in Frankfurt, sondern auch in Lissabon, an der Sorbonne und in London am King's College."
ragazzi: "Besitzen Sie irgendwelche Vor- oder Leitbilder auf ideeller oder personeller Ebene?"
Klaus Heymann: "Nicht wirklich."
ragazzi: "Welche (Arten von) Musik hören Sie privat?"
Klaus Heymann: "Die meiste Zeit höre ich Musik aus geschäftlichen Gründen. Zum einen sämtliche unserer neuen Aufnahmen, zum anderen sondiere ich Live-Aufnahmen potentieller neuer Künstler. Abgesehen davon besteht nur wenig Zeit, anderes zu hören, in der Regel ausschließlich Klassische Musik und manchmal Weltmusik."
ragazzi: "Was halten Sie von einer Kategorisierung der Musik in einen U- und einen E-Sektor? Als "Neu-Asiate" dürfte Ihnen ja weder die Dualität des Westens noch die Polarität des Ostens unbekannt sein."
Klaus Heymann: "U- und E-Musik sind die schlechtesten aller möglichen Kategorisierungen von Musik. Es gibt für mich nur gute und schlechte Musik. Ein großer Teil der klassischen Musik ist nicht "ernst", aber dennoch sehr gut; ebenso ist ein beträchtlicher Teil davon "unterhaltsam", ohne schlecht zu sein. Unglücklicher Weise gibt es viel mehr schlechte als gute Musik in der U-Musik-Sparte. Es gibt nicht viel gute Musik in Asien, abgesehen von ethnischer oder Kunst-Musik und beide Richtungen sind keine kommerziell bedeutsamen Faktoren."
ragazzi: "Sind Sie in irgendeiner Weise von Asien beeinflusst oder hätten Sie nach Ihrer Einschätzung alles genauso gemacht, wenn Sie in Deutschland leben würden?"
Klaus Heymann: "Hongkong war ein wichtiger Einfluss; die Leute hier sind die geborenen Unternehmer und sehr anpassungsfähig. Die Verwaltung arbeitet sehr effizient und ist unbestechlich. Die Steuern sind niedrig, es gibt nur wenig Bürokratismus und keine Gewerkschaften. Außerdem ist Hongkong selbst nur ein verschwindend kleiner Markt für uns, weshalb unsere Aktivitäten von Anfang an auf den Weltmarkt zielten, was uns zu der am internationalsten agierenden Firma der Welt werden ließ. Wir nehmen in mehr als 30 Ländern auf - von Neuseeland und Australien bis hin zu Schweden und Norwegen - und wir haben Vertriebsstrukturen in Nordamerika, Deutschland, Großbritannien, Skandinavien, Japan, Korea und Australien aufgebaut."
ragazzi: "Wer sind Ihre Lieblingskomponisten, wer Ihre Lieblingsinterpreten?"
Klaus Heymann: "Dies sind Fragen, die Sie jemandem, der über 150 CDs pro Jahr mit Dutzenden verschiedener Künstler produziert, nicht stellen sollten. Im Großen und Ganzen höre ich neue Sachen und bin weit mehr daran interessiert, neue Musik und Komponisten zu entdecken, als mich mit meinen Favoriten vergangener Tage zu beschäftigen."
ragazzi: "Sind oder waren Sie selbst musikalisch aktiv; falls ja, wie verlief Ihre musikalische Sozialisation?"
Klaus Heymann: "Ich kann keine Noten lesen und spiele auch kein Instrument. Meine Eltern machten mich mit klassischer Musik vertraut; sie hörten nichts anderes. Im Alter von neun Jahren besuchte ich mein erstes klassisches Konzert und war von diesen Klängen in Bann gezogen. Aber erst, als ich in den frühen 70er Jahren begann, in Hongkong klassische Konzerte zu organisieren, lernte ich wirklich vieles über klassische Musik, was dazu führte, dass ich in die Gründung des professionell arbeitenden philharmonischen Orchesters von Hongkong involviert war. Mein musikalischer Geschmack erhielt den erforderlichen Feinschliff durch meine Frau, die japanische Geigerin Takako Nishizaki, die ich im Rahmen ihres Gastspiels bei den Philharmonikern von Hongkong im August 1974 kennen lernte."
ragazzi: "Wann und aus welchen Beweggründen riefen Sie Naxos ins Leben?"
Klaus Heymann: "Ich hatte das Marco Polo - Label als eine Art Hobby 1982 gegründet. Als das CD-Format Mitte der 80er Jahre auf dem asiatischen Markt erschien, waren die Preise hoch und so konnte dieses Format zunächst nicht Fuß fassen. Ich sah - im wahrsten Sinne des Wortes - eine günstige Gelegenheit darin, CDs zum Preis von LPs zu verkaufen, was auch die ursprüngliche Geschäftsidee hinter Naxos war. Nie hätte ich gedacht, dass dieses Label in nicht allzu ferner Zukunft zum Marktführer im Bereich der klassischen Musik aufsteigen würde."
ragazzi: "In welcher Beziehung stehen die Label Marco Polo und Naxos?"
Klaus Heymann: "Marco Polo war der "Vater" von Naxos. Allerdings liegt das Hauptaugenmerk bei Marco Polo auf Raritäten und ist vom Preisniveau höher als Naxos angesiedelt. Heutzutage ist Marco Polo eher so etwas wie ein "Stiefkind" von Naxos mit höchstens ein oder zwei Veröffentlichungen pro Monat, verglichen mit 15 bis 20 auf Naxos."
ragazzi: "Bei Marco Polo gibt es die "Chinese Composers Series", von der leider momentan etliche Exemplare nicht erhältlich sind. Wie wäre es mit einer "Chinese Classics" Serie auf Naxos, denn interessante Komponisten gibt es im Reich der Mitte zuhauf, wie nicht zuletzt Ihre Veröffentlichungen von Bright Sheng oder "The Butterfly Violin Concerto" und "The Yellow River Concerto" zeigen."
Klaus Heymann: "Es wird in der Tat bald eine "Chinese Classics" - Serie auf Naxos geben."
ragazzi: "Sind weitere Länderserien bei Naxos geplant; besonders interessant erscheinen mir in dieser Hinsicht Indien, Indonesien, Korea oder Mittel- und Südamerika (Mexiko, Chile, Argentinien)."
Klaus Heymann: "Wir werden definitiv eine Serie "Latin American Classics" herausbringen. Leider gibt es nicht genug Material aus Indien, Indonesien oder Korea (obwohl wir kürzlich die erste Aufnahme mit Werken von Isang Yun veröffentlicht haben)."
ragazzi: "Warum sind einige Werke von Komponisten Ihrer Serie "American Classics" wie z.B. Herbert, Scarmolin, Sousa und Sowerby nur in den USA erhältlich? Wieso gibt es beispielsweise von Antheil, Harris, Hovhaness, Rochberg oder William Schuman nur wenige ausgewählte Werke; sind weitere Werke dieser Komponisten in Vorbereitung?"
Klaus Heymann: "Herbert, Scarmolin, Sousa und Sowerby wurden ursprünglich auf Marco Polo für den internationalen Markt veröffentlicht, auf Naxos nur in den USA. Möglicherweise werden sie in absehbarer Zeit weltweit auf Naxos erhältlich sein. Wir arbeiten gerade an den Gesamteinspielungen der Sinfonien von Harris, Rochberg und Schuman und machen dabei große Fortschritte - all diese Projekte sollten 2009 abgeschlossen sein. Außerdem wird es weitere Veröffentlichungen von Hovhaness geben, aber nicht alle Sinfonien, es sind einfach zu viele!"
ragazzi: "Nach welchen Kriterien wählen Sie generell aus, welche Werke eines Komponisten veröffentlicht werden? Gerade bei jungen Künstlern stellt eine Veröffentlichung doch ein unkalkulierbares Risiko dar."
Klaus Heymann: "Das Repertoire wird nach folgenden Kriterien ausgewählt (in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit): 1. um die Lücken in unserem Katalog zu schließen (z.B. fehlen uns noch Messen von Mozart, Haydn und Schubert), 2. um laufende Serien zu komplettieren (die Schubert-Lieder, die Scarlatti-Sonaten, die Klaviermusik von Liszt), 3. um sämtliche Hauskünstler und -orchester mit Arbeit zu versorgen (Wir müssen ihnen allen jeweils mindestens ein bis zwei Projekte im Jahr zukommen lassen, um sie bei Laune zu halten und uns ihrer Loyalität zu versichern.), 4. um die Hörer verschiedener Länder anzusprechen (britische Musik für England, französische Musik für Frankreich etc.) und 5. um die Ausgewogenheit unseres Programms im Blick zu behalten (beispielsweise wenigstens ein Instrumentalkonzert-Projekt pro Monat).
Junge Künstler tun sich normalerweise leichter, wenn sie Werke abseits des Standard-Repertoires aufnehmen, weil sie sich dann nicht an den Einspielungen etablierter Musiker messen lassen müssen. Ebenso ist es auf diese Weise einfacher, von der Presse beachtet zu werden."
ragazzi: "Sie haben erfreulicherweise sehr viele junge und/oder unbekannte Komponisten im Programm. Wie kompensieren Sie das wirtschaftliche Risiko? Was treibt sie um stets nach Neuem zu suchen oder rennen Ihnen die Künstler "die Bude ein"?"
Klaus Heymann: "An den Aufnahmen junger oder unbekannter Komponisten verdienen wir normalerweise nichts, aber sie sind gut für unser Image. Geld verdienen wir mit Samplern (The very best of Mozart), durch Lizenzierungen und den Vertrieb in digitaler Form. Komponisten und Künstler rennen uns tatsächlich "die Bude ein"."
ragazzi: "Seit geraumer Zeit veröffentlichen Sie auf Naxos auch Jazz und Weltmusik. Welche Gedanken stehen hinter dieser Ausweitung Ihres Sortiments?"
Klaus Heymann: "Sowohl Jazz als auch Weltmusik erreichen auf den gleichen Wegen dieselben Hörerschichten wie klassische Musik, weshalb es sich anbot, unser Sortiment dahingehend zu erweitern."
ragazzi: "Inwieweit sind sie als Chef eines prosperierenden Unternehmens ein (musikalischer) Idealist geblieben?"
Klaus Heymann: "Man kann nur erfolgreich in diesem Metier sein, wenn man liebt, was man tut und Projekte deshalb durchführt, weil man sie machen möchte (Man mag die Musik oder den Künstler.) und nicht nur, weil sie gewinnträchtig erscheinen. Das ist der Grund, warum die unabhängigen Klassiklabel erfolgreich sind, wo die großen Firmen versagen; die letzteren werden sehr häufig von Buchhaltern und Anwälten betrieben."
ragazzi: "Wie schaffen Sie es, die Produktionskosten so niedrig zu halten, dass Sie die CDs, obwohl Sie teilweise mit renommierten Leuten arbeiten, so preiswert anbieten können?"
Klaus Heymann: "Unsere Produktionskosten sind mehr oder weniger die gleichen wie die der anderen unabhängigen Klassiklabel, aber auf Grund unseres niedrigen Preisniveaus und unseres weltweiten Vertriebssystems verkaufen wir im direkten Vergleich viel mehr CDs und schaffen es auf diese Weise, profitabel zu arbeiten, da sich die Produktionskosten angesichts der weit höheren Verkaufszahlen relativieren."
ragazzi: "Wieso zieren die Fotos einiger Komponisten (Daugherty, Tavener, Torke), entgegen dem bei Naxos üblichen Prinzip, diverse CD-Cover?"
Klaus Heymann: "Im allgemeinen haben wir keine Fotos unserer Künstler auf den CD-Covern, da gute und kreative Fotos eine Menge Geld kosten; für jede Veröffentlichung würden wir dann auch ein anderes Foto benötigen. Andererseits ist es unwahrscheinlich, dass wir mehr als zwei oder drei CDs mit Werken dieser zeitgenössischen Komponisten veröffentlichen werden und somit verstößt die Tatsache, deren Fotos auf die Cover zu drucken, nicht gegen die Regeln."
ragazzi: "Tragen Sie sich mit dem Gedanken im Bereich der Percussionkonzerte weitere Werke zu veröffentlichen, vielleicht auch mit Drumset-Solisten (wie Terry Bozzio mit dem Metropole Orkest)?"
Klaus Heymann: "Nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt - es gibt so viele andere Projekte, die auf ihre Umsetzung warten."
ragazzi: "Haben Sie aufgrund Ihrer Kontakte die Möglichkeit, Werke nach gewissen Vorgaben in Auftrag zu geben? Haben Sie diese Möglichkeit schon genutzt? (Ich stelle mir ein von Graham Koehne komponiertes Percussionkonzert mit dem australischen Einmann-Percussionorchester Grant Collins am Drumset sehr abwechslungsreich und unkonventionell vor. Außerdem fände ich es sehr spannend, Werke für Gamelan-Orchester (Ost) und Sinfonieorchester (West) oder Kompositionen zu hören, in welchen Klangschalen oder Chakra-Gongs eine tragende Rolle spielen, da im letzteren Falle der unterhaltende mit dem therapeutischen Aspekt von Musik kombiniert werden könnte.)"
Klaus Heymann: "Wir vergeben Auftragsarbeiten an zeitgenössische Komponisten, beispielsweise beauftragten wir Peter Maxwell-Davies mit dem Komponieren der zehn Naxos-Streichquartette oder mehrere zeitgenössische chinesische Komponisten mit etlichen Werken. Ebenso lassen wir Orchestrierungen und neue Suiten anfertigen. Wenn wir mit den Naxos-Streichquartetten zu Ende sind, werden wir vermutlich jedes Jahr eine Auftragsarbeit eines aktuellen Komponisten auf CD veröffentlichen."

Frank Bender




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