GOETHES ERBEN im Interview

"Unklischeehaft gruftig"

Man mag es kaum glauben, aber bereits 16 Jahre ist es her, dass Oswald Henke (damals noch mit Peter Seipt) die Idee zu deutschsprachigem Musiktheater hatten. Seitdem wurden mehrere Stücke aufgeführt und eine Reihe von Alben produziert. Stillstand war dabei immer ein Fremdwort für Goethes Erben. Das letzte große Projekt, "Schattendenken", wird mit zwei Veröffentlichungen verewigt. Im Oktober erscheint die Audio-CD "Dazwischen", 2006 folgt dann die DVD "Schattendenken". Aus diesem Anlass hat ragazzi Oswald Henke und Mindy Kumbalek in Leipzig getroffen, unmittelbar vor einer Henke-Lesung. Um den Beginn selbiger nicht zu verpassen, musste sich der männliche Kopf der Erben vorzeitig verabschieden, so dass Frau Kumbalek das Frage-Antwort-Spiel allein beendete.

ragazzi: "Was fasziniert euch nach inzwischen 16 Jahren auf der Bühne und in der Szene immer noch an den "Schwarzen"?"
Oswald: "Es ist spannend zu sehen, wie sich das Publikum verändert. Es altert mit uns, hat schon eigene Kinder, die zu den Konzerten mitgebracht werden. Und dann sieht man immer wieder neue, junge Gesichter, was wunderbar ist. Wir gehören ja mittlerweile auch schon zu der potentiellen Elterngeneration."
ragazzi: "Ihr werdet primär von der schwarzen Szene gehört/gesehen. Gibt es auch Erfahrungen mit Publikum außerhalb dieser Kreise?"
Owald: (etwas zögerlich) "Ja, wir haben nicht nur Hardcore-Gothic-Publikum. Auf unsere Konzerte kommen eher selten die kalkweiß geschminkten Leute. Dafür sind wir zu unklischeehaft gruftig. Wir erfüllen schon seit Jahren keine Klischees mehr, abgesehen von meinen langen Haaren vielleicht noch. "Schattendenken" war eigentlich sehr modern, auch von der Optik her und hatte mit der ganzen Ästhetik von Gothic nichts zu tun. Uns geht es ohnehin mehr um Inhalte als um den äußeren Anstrich. Trotzdem fühle ich mich noch immer der Szene zugehörig."
Mindy: "Mir ist es auch egal, welche Leute uns hören. Jeder, dem es gefällt und der mit uns etwas anfangen kann, ist willkommen."
Owald: "Unser Publikum ist ganz breit gefächert: Vom Schüler über den Punk bis zum Redskin. Goethes Erben hört der, der Lust drauf hat."
ragazzi: "Goethes Erben ist vom Ansatz her Musiktheater. Wie wichtig sind euch da klassische Songs/Singles wie "Glasgarten", das Duett mit Peter Heppner?"
Oswald: "Das war ein Versuch. Wir waren ja nie eine Singleband, wollten das mal ausprobieren."
Mindy: "Auf diesem Album gab es viele Experimente. Es hieß ja auch "Nichts bleibt wie es war"."
Oswald: "Wir versuchen immer, etwas Neues zu machen innerhalb einer Grenze, die wir uns selbst abstecken. Diese Grenze ist die deutsche Sprache, aber innerhalb dieser Grenze ist alles möglich. Musikalisch gibt es überhaupt keine Grenzen. Wir sind keine typische Electroband obwohl wir sehr elektronisch sind. Wir sind keine typische Rockband obwohl wir eine Rockbesetzung auf der Bühne haben."
ragazzi: "Ist im Jahre 2005 immer noch so viel Goethe in der Band wie zu Anfangszeiten?"
Oswald: "Die deutsche Sprache ist noch immer da und Goethe war ja nur die Assoziation zur deutschen Sprache, mehr hatten wir mit ihm nicht am Hut."
ragazzi: "Wie seht ihr die Entwicklung von Goethes Erben in den vergangenen 16 Jahren?"
Mindy: "Wenn keine Entwicklung da ist, stirbt man. Das ist genau der Grund, warum es uns auch nach 16 Jahren noch gibt. Wir lassen es zu, dass immer wieder neue Elemente dazukommen. Und wir lassen uns inspirieren von Leuten wie Peter Heppner."

Oswald verabschiedet sich zur Lesung.
ragazzi: "Die im Oktober erscheinende CD "Dazwischen" ist ein Teil von "Schattendenken". Funktioniert eine reine Audio-CD überhaupt angesichts eures Musiktheateransatzes?"
Mindy: "Es ist nicht "Schattendenken", das darf man nicht erwarten. "Dazwischen" ist etwas Eigenständiges, natürlich mit Elementen von "Schattendenken". Es sind aber komplett neue Aufnahmen. Die Stücke sind verdichtet, klingen anders. Die Titel auf "Dazwischen" kann man durchaus als abgeschlossene Kapitel sehen."
ragazzi: "Wie entstehen Werke wie "Schattendenken"?"
Mindy: "Oswald und ich arbeiten immer getrennt. Er sammelt Ideen, ich sammle Ideen. Dann bauen wir eine gemeinsame Grundstruktur. Danach beziehen wir die Band mit ein. Schließlich gehen wir wieder auseinander und arbeiten an den Feinheiten - Oswald textlich und ich musikalisch. Es ist ein Prozess, der bei "Schattendenken" drei Jahre gedauert hat."
ragazzi: "Ihr arbeitet beide noch in anderen Jobs. Welchen Anteil nehmen Goethes Erben in euren Leben ein?"
Mindy: "Inhaltlich reflektiert Goethes Erben unser gesamtes Leben. Tatsächlich an Zeit ist es natürlich weniger."
ragazzi: "Gab es da nicht mal den Punkt, wo ihr gesagt habt: Eigentlich sind die Erben unser Leben und wir wollen damit auch unser Geld verdienen?"
Mindy: "Das ist ein Interessenskonflikt. Mit dem, was wir machen, können wir kein Geld verdienen. Wir haben künstlerisch sehr hohe Ansprüche, wollen auf der Bühne mit vielen Musikern arbeiten und große Theaterproduktionen machen. Das kostet nicht wenig. Deshalb lieber weniger Geld haben, aber dafür alles so machen, wie wir es wollen."
ragazzi: "Auf "Dazwischen" heißt es an einer Stelle: "Ist nicht sich an etwas zu gewöhnen schlimmer, als im Leben aktiv von Zeit zu Zeit zu scheitern?" - Gab es Situationen, in denen Goethes Erben gescheitert sind?"
Mindy: "Jedes Scheitern schafft Platz für etwas Neues. In dem Sinne gibt es für mich kein Scheitern und keine Fehler. Es sind alles Lernprozesse, die auch Goethes Erben durchgemacht haben.
Um ein Beispiel zu geben: Wir haben zweimal in Mexiko gespielt und gehofft, dass wir dort etwas aufbauen und unserer Platten verkaufen können. Leider hat das mit den Menschen dort nicht funktioniert. Andererseits haben wir aber in Mexiko gelernt, dass es im Ausland funktionieren kann, auch wenn man unsere Texte nicht versteht. Die Leute haben sich von den Gefühlen inspirieren lassen und sind richtig mitgegangen."
ragazzi: "Also funktionieren Goethes Erben auch im nicht deutschsprachigen Ausland?"
Mindy: "Ja, wir könnten sogar mehr Konzerte im Ausland geben. Es gibt Angebote aus Russland, Griechenland… Aber es ist einfach zu teuer für die Veranstalter, weil wir immer mit 10 Leuten kommen."
ragazzi: "Wie sieht es mit Live-Auftritten von Goethes Erben hierzulande aus? Wird man vielleicht sogar noch einmal in den Genuss von "Schattendenken" kommen können?"
Mindy: "Von "Schattendenken" wird es keine weiteren Aufführungen geben, weil es einfach nicht mehr machbar ist. Der Aufwand wäre zu groß, die beteiligten Musiker sind auch anderweitig beschäftigt. Wir spielen dieses Jahr ein paar Festivals."
ragazzi: "Wie steht es um die Zukunftspläne von Goethes Erben? Es gibt ja immer wieder die Gerüchte um ein Ende der Band…"
Mindy: "Nach dem Erscheinen der DVD zu "Schattendenken" im nächsten Jahr wird es etwas ruhiger werden. Wir werden pausieren, uns aber nicht auflösen. Wir müssen uns ein wenig erholen, um unsere künstlerische Stärke wiederzufinden."

Stefan




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