DAS ICH

Lava, Sturm und Das Ich

Eine Verabredung zum Interview mit Das Ich auf dem Zillo-Festival 2004 war ein leichtes im Vergleich zu den erschwerten Bedingungen, unter denen es dann stattfand. Erst war Chefkomponist Bruno Kramm unauffindbar in Richtung Hotel verschwunden. Und als Sänger Stefan Ackermann und Keyboarder Kain Gabriel Simon beschlossen, das Interview auch ohne ihn zu geben, zog bereits ein Gewittersturm auf, der die Sonnenschirme des Biergartens auf der Loreley wegwehte. Während die ersten Regentropfen auf uns herabfielen, erklärte Kain Gabriel seine Sicht auf die aktuelle Das-Ich-Veröffentlichung "Lava Glut" und "Lava Asche". Beide CDs enthalten dieselben Songs. "Glut" steht für die ursprünglichen, düsteren Versionen, "Asche" für die tanzbaren, geremixten Fassungen. Leider verhinderte das hereinbrechende Unwetter ein längeres, ausführlicheres Gespräch. Zu unserer eigenen Sicherheit brachen wir das Interview vorzeitig ab.

ragazzi: "Euer neues Album "Lava" enthält wieder viele unheimlich dunkle, spannungsgeladene und atmosphärische Songs. Wie schafft ihr es jedes Mal, diese ungeheure Dramatik in die Lieder zu packen?"
Stefan: "Gegenfrage: Ist das Leben nicht generell dramatisch genug, dass man solche Songs erschaffen kann, wenn man aus seinem Leben greift?"
ragazzi: "Natürlich kann das Leben dramatisch sein, und wenn ihr eure Musik und eure Texte aus eurem Leben und Erleben schöpft - dann sicherlich ja!"
Stefan: "Wenn du das so betrachtest, ist jede einzelne Textzeile und jede einzelne Note die wir zu Gehör bringen mit Sicherheit etwas aus unserem Leben. Die Frage ist nur, wie weit lassen wir es zu, dass der Zuhörer auch erkennen kann, was davon aus unserem Leben ist. Und das ist bei uns sehr vielschichtig zu deuten. Wir drücken uns nur ungern auf direkte Art und Weise aus. Denn das wollen wir nicht."
ragazzi: "Man muss bei euch zwischen den Zeilen lesen…"
Stefan: "Auf jeden Fall."
ragazzi: "Ihr seid seit über 15 Jahren im Geschäft. Ist das Musizieren für euch zu einem Selbstläufer geworden oder müsst ihr euch für jedes Album neu erfinden?"
Stefan: "Im Prinzip sollten wir uns neu erfinden und tun es auch. Denn jedes neue Album ist ein neuer Abschnitt unseres Lebens. Letztendlich ist aber alles auf einer Struktur aufgebaut, die es schon mal in irgendeiner Form gegeben hat. Insofern sind es nur umgestellte, neu definierte Sachen, die man textlich oder musikalisch zusammenbringen kann. Etwas ganz Neues machen, können wir nicht. Es hat alles schon einmal gegeben. Selbst die Zwölftonmusik. Also der nächste Schritt, den wir evolutionär erreichen könnten, ist auch schon ausgereizt."
ragazzi: "Was ist die Triebfeder hinter Das Ich?"
Stefan: "Bei den Texten ist es immer nur mein Erleben. Und was das musikalische angeht, wird es verdammt ähnlich sein. Als Musiker erlebst du so viel. Du bist in den USA und Mexiko, in ganz Europa unterwegs. Demnächst spielen wir in Tel Aviv. Überall passieren so viele Dinge, die dich zum Texten oder Komponieren inspirieren. Von daher sind wir unerschöpflich."
ragazzi: "Bruno meinte jüngst, dass er sich jetzt vorstellen kann, auch in zehn Jahren noch Musik zu machen, was bis vor kurzem noch nicht der Fall war. Wo seht ihr euch im Jahr 2014?"
Stefan: "Wir sehen uns in zehn Jahren dort, wo die Scorpions jetzt sind (lacht)."
ragazzi: "Reich, satt und zufrieden?"
Stefan: "Reich weniger, aber zufrieden insofern, dass wir die Verständigung zwischen uns und den Fans weltfern aber doch verständlich gemacht haben."
ragazzi: "Zum Konzept eurer aktuellen zwei Alben "Lava Glut" und "Lava Asche" mit denselben Songs in unterschiedlichen Versionen…"
Kain Gabriel: "Das ist ja nicht wahr. Es sind keine zwei Alben. Das siehst du völlig falsch. "Lava" ist von sich aus sehr emotional. Es geht um das eigene Empfinden und das bedeutet, dass du ein Gefühlsspektrum hast, welches von rot zu grün geht. Du bist auf plus drei und auf minus drei. Es ist Liebe, Hass, Schmerz und alles, was du am Leben fühlst. Man kann alles von zwei Seiten sehen. Wenn du unglücklich verliebt bist, bist du total beschissen drauf, obwohl du verliebt bist. Geht es dir gut dabei, hast du die größten Glücksgefühle. Und die zwei Versionen eines Albums sind der Ausdruck dafür."
ragazzi: "Man hätte ja auch ein Doppelalbum draus machen können. Ihr habt diese zwei Versionen, wie du es nennst, aber auf zwei getrennte CDs gepackt…"
Kain Gabriel: "Das ist doch genau das, was ich gesagt habe. Es ist eine emotionale Trennung. Das Problem ist, dass du als Musiker nur zwei Möglichkeiten hast: Text und Musik. Und den Text kannst du immer wieder anders durchkauen. Musikalisch ist das viel schwieriger. Du hast einen Text, bist aber emotional auf zwei verschiedene Weisen unterwegs. Du hast Jekyll und Hyde in dir. Und das verkörpert dann eher die Musik als der Text. Denn der Text ist immer ein Verstand-Ding. Die Musik kann aber die Emotionen ausdrücken. So sehe ich die Platte."
ragazzi: "Vor zwei Jahren erzählte Bruno mir, dass er die Einzigartigkeit der Gothic-Musik gefährdet sieht. Wie ist eure Meinung dazu?"
Stefan: "Im Großen und Ganzen sehe ich das auch so. Wobei ja jeder für sich versucht einzigartig zu sein. Nur wenn einem fundiertes Wissen darüber fehlt, wozu Musik im Stande sein kann, dann ist dieser Versuch zum Scheitern verurteilt. Weil viele eben keine Ahnung von Musik haben. Und viele angebliche Musiker bilden sich darauf auch noch was ein. Das ist das heutige Problem der Szene an sich."
ragazzi: "Bedarf es einer Neudefinition?"
Stefan: "Nein. Die Szene wird sich wieder auf ihre Ursprünge zurückbesinnen."
Kain Gabriel: "Heute gibt es überall denselben mainstreamigen Grundbeat, rums rums rums. Aber wir sind kein Mainstream, wir sind nicht rum rums rums. Und wir sind schon gar keine Tanzelite, die nur im Dreivierteltakt tanzen kann. Wir sind flexibel und offen für neue Dinge. Eigentlich sollten wir sogar tolerant sein. In der Musik sollte sich genau das spiegeln. Aber wenn ich den ganzen Abend Blutengel hören muss (die gerade im Hintergrund auf der Zillo-Bühne spielen, Anm. d. Red.) oder Mesh, dann denk ich ‚Warum muss ich mir so'ne Scheiße anhören'!"
Stefan: "Wir sitzen hier gerade in einem gewaltigen Sturm. Es bläst um uns herum aber ihr könnt's nicht sehen."
ragazzi: "Ich denke, wir machen lieber Schluss, bevor es richtig anfängt zu gießen. Vielen Dank für das Interview!"

LARS




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