Interview mit Counter-World Experience im März 2007


Von der hohen Erzählgeschwindigkeit der Musik

Die Jazz-Metaller sind mit einem neuen, technisch überaus grandios eingespielten und vor Ideen sprudelnden Album am Start. Im letzten Jahr stand die Band in Würzburg während des Freakshow Artrock Festivals auf der Bühne und ließ die Songs von der Bühne krachen, wie machen die das nur? Wie merken die Jungs sich, wann welcher Break welches Motiv eröffnet? Und wer sind Counter-World Experience überhaupt? Benjamin Schwenen gab ragazzi ausführlich Auskunft.




ragazzi: "Wann habt ihr Counter-World Experience gegründet? In dieser Besetzung? Wie habt ihr euch gefunden?"
Benjamin Schwenen (guitar): "CWE wurde 2001 in Hannover gegründet. Thorsten Harnitz (drums) und ich lernten uns im Musikstudium in Hannover kennen. Ich studierte dort klassische Gitarre und Thorsten klassisches Schlagzeug. Da ich schon vor dem Studium seit 1992 eine Death Metal Band Namens "Execution" hatte (die sich 2000 auflöste), wollte ich unbedingt wieder eine Band starten, allerdings weniger hart und mehr Jazz-Rock. Nach einiger Zeit fanden wir in Sebastian Hoffmann (bass) einen geeigneten und aus dem Jazz/Fusion-Lager kommenden Bassisten, mit dem wir 2002 unser Debut "Always Home." aufnahmen, das weit mehr Jazz-Rock war, als der heutige Sound."
ragazzi: "War Jazz Metal von vornherein der Plan?"
Benjamin: "Nein, eigentlich eher Jazz-Rock. Ich hatte in meiner Death Metal Phase auch immer andere Musik gehört und komponiert, in dem Wissen, diese Stücke mit Execution nie umsetzen zu können. Außerdem war ich nun klassischer Student. Und klassische Musiker machen kein Death Metal! (Ha, ha...). So dachte ich zu Beginn des Studiums. Doch es sollte anders kommen..."
ragazzi: "Hattet ihr bereits vor CWE in anderen Bands das Musiker-Handwerk geprobt? Spielt ihr in Side-Projects? Oder ist CWE ein Side-Project? Ist das Musikerdasein euer tägliches Brot?"
Benjamin: "Wie gesagt: Zuerst acht Jahre lang "Execution", jetzt arbeite ich als Gitarrist in Berlin am Theater des Westens, wo ich Musicals, wie "Les Miserables", "Die drei Musketiere" oder "Tanz der Vampire" spiele. Zudem unterrichte ich einen Tag an einer Musikschule. Das ist der "Brot und Butter" - Job. Ich habe aber viel Zeit neben dem Theater für Counter-World Experience; und das ist für mich das aller Wichtigste! Thorsten (drums) und H.D. leben sind auch neben CWE als Berufsmusiker unterwegs."
ragazzi: "Ihr habt bereits zwei CDs veröffentlicht. Ist Eure Musik ein Kompromiss aus eurem gemeinsamen Nenner und euren Einflüssen, persönlichen Vorlieben oder euer aller heiß geliebtes, alles andere in den Schatten stellendes Ziel?"
Benjamin: "Eigentlich haben wir schon drei Alben aufgenommen. Thorsten und ich streiten uns manchmal, ob "Always Home." nun eigentlich ein Demo oder doch unser erstes Album ist. Zur zweiten Frage: CWE ist kompromisslos. Das ist unser Herzblut, kein Manager, kein Labelboss, keine Jugendkultur, die uns beeinflussen würde. Wer solche Musik macht wie wir, ist sowieso bekloppt. Man kann damit keine Frauen beeindrucken, keine Jazz-Fans auf seine Seite ziehen; den Metal-Fans fehlt oft der Gesang. Und doch gibt es da bei vielen Menschen, die sich Zeit nehmen und keine Scheuklappen haben, ein Aufmerken, ein Interesse."
ragazzi: "Jazz-Metal ist, bewusst betrachtet, kein leichtes Ziel, kein gängiges Genre. Eure Songs haben Parallelen zum Prog Metal - der technische Stil, der komplexe Songaufbau. Zum Jazzrock erkenne ich in euren Stücken weniger Parallelen. Wie meint ihr das: Jazz-Metal zu spielen?"
Benjamin: "Ja, Jazz-Metal. Das Kind brauchte einen Namen; und zwar einen Provozierenden. Du hast Recht: Es ist im Grunde weder Metal noch Jazz. Man könnte unsere Musik auch so bezeichnen:
Instrumentaler, nach Prinzipien der klassischen Musik komponierter Metal mit improvisatorischem Anteil
Nur das würde in Infosheets noch alberner aussehen!
Wenn ich nun also sagen würde "Classic Metal" dann würde man sicher noch weiter von unserem Sound entfernt sein als "Jazz-Metal". Es ist ein Kreuz mit der "Was-macht-ihr-für-Musik"-Frage!"
ragazzi: "Erlöst uns von unserer Neugierde und nennt uns bitte Vorbilder und Einflüsse, die Einwirkung auf eure musikalische Arbeit haben"
Benjamin: "Auf der einen Seite: Death, Cynic, Dream Theater, Meshuggah, und auf der Counter-World: Brahms, Stravinsky, Frank Martin, Schönberg, Zappa dann Allan Holdsworth, Pat Metheny, Tribal Tech, Scofield und noch viele andere."
ragazzi: "Jazz ist ein weites Feld und ist nicht unbedingt als technische Spielart zu verstehen, mal vom Jazzrock abgesehen. In den 50ern, 60ern und 70ern (des letzten Jahrhunderts) zeichnete Jazz vor allem eine elegische Spielart aus, dessen Themen, vor allem live, in langen Improvisationen progressive Weite fand. Wie viel oder was davon findet eure Vorliebe, welche Ideen daraus verarbeitet ihr?"
Benjamin: "Ich habe nie viel Jazz gehört, oder das, was man gemeinhin unter Jazz versteht. Das kann ich nicht genau begründen, aber ich liebe es, Momente zu komponiere, also festzuhalten, während im Jazz das Freie, Spontane im Vordergrund steht. Dann ist da der Gesamtklang, den eine Musik ausstrahlt. Der hat mich bei vielen Jazz-Konzerten oder Aufnahmen nie beeindruckt. Während eine Mahler-Symphonie oder eine Suite von Alban Berg in mir etwas berühren, nach dem ich als Musiker immer wieder suche: Den Moment, den man nicht versteht, der aber nichts als Wahrheit ist. Und man will immer mehr wissen.
Dennoch lieben wir es zu Improvisieren und hier unsere eigene Stimme zu finden. Unsere Musik besteht ungefähr zu 80% aus Komposition und 20% Improvisation."
ragazzi: "Spielt ihr live die Songs wie in der Studioversion oder gibt es Variation, Soli und Improvisation?"
Benjamin: "Es gibt einen Song von Thorsten Harnitz auf unserem ersten Album namens "Meridian 361" das wird Live zu einer 18min Improvisation. Andere Stücke, bei denen ein Sequenzer mitläuft, werden so wie auf dem Album vorgetragen, allerdings mit freien Soli."
ragazzi: ""Leaving Lotus" ist über weite Strecken sehr ruhig und lyrisch. Ist das der Stimmung zu verdanken, die euch antrieb, als ihr die Songs komponiert, geprobt und eingespielt habt, oder tendiert ihr generell dahin?"
Benjamin: "Die meisten Leute, mit denen ich gesprochen habe, halten unsere Musik eher für herausfordernd! Das heißt, man braucht Ruhe um sich das Album anzuhören. Wegen der hohen "Erzählgeschwindigkeit" unserer Stücke, haben wir Soundscapes, Inseln der Ruhe zwischen die Songs eingearbeitet, um kurz Luft holen zu können und sich auf den nächsten Song einzustellen. Zudem modulieren diese Interludes immer zur Tonart des nächsten Stückes."
ragazzi: "Wie überhaupt kommen eure Songs zustande? Schon jede Minute besteht aus vielen Ideen, die den Hörern nicht mit einem Mal offenbar und bewusst werden können und sich erst mit jedem weiteren Hören deutlicher machen. Wie fügt ihr diese diversen und zudem in vielen Fällen schwer komplexen Motive zusammen?"
Benjamin: "Die Stücke werden daheim komponiert. Also nicht - wie oft üblich - im Proberaum zusammengeschustert. Da wir keinen Gesang haben, ist das Formproblem stets evident: Wie komme ich von einer Idee zur Nächsten? Wie erhält einen instrumentale Komposition Sinn? Von daher bediene ich mich meistens der motivisch-thematischen Arbeit oder der von Brahms oft benutzten entwickelnden Variation als Kompositionsprinzip. D. h.: Ich habe eine Idee und denke mir Varianten aus, die sich aus dem Anfangsmotiv ableiten lassen. Dadurch bleibt das musikalische Material formal stets nachvollziehbar. Klingt schrecklich unromantisch, funktioniert bei dem Gros unserer Stücke aber wunderbar (z.B. Amygdala, Leaving Lotus). Andere Stücke sind eher assoziativ entwickelt (z.B. Ikaros, Interbeing)."
ragazzi: "Jazz mache ich zuerst im Bassspiel aus, wie überhaupt das melodische Geschehen stark und außergewöhnlich vom Bass geprägt wird. Ist H.D. die Jazzwurzel in der Band?"
Benjamin: "Das stimmt! Als ich nach Berlin umgezogen bin, habe ich H.D. Lorenz kennen gelernt, der hier schon eine große Nummer ist (Jocelyn B. Smith, Kai Rautenberg Jazz-Trio). Er mochte "Always Home." und hat dann auch "Fraktal" und "Leaving Lotus" eingespielt. Metal ist eigentlich nicht so sein Metier, aber die Kombination in unserer Musik macht H.D. schon Spaß. Ihm verdanken wir das "Jazz-" vorm Metal!"
ragazzi: "Trotz der deutlichen Komplexität haben eure Songs eine Tendenz zum Groove, zur Eingängigkeit. Steuert ihr das bewusst oder seid ihr das einfach?"
Benjamin: "Meshuggah spielen rhythmisch hoch komplexes Zeug, allerdings hält das Schlagzeug alles zusammen, da hier oft ein Becken grade durchgeschlagen wird. Wir versuche stets eine Balance der Elemente zu erzeugen. Wenn es harmonisch interessant wird, darf der Groove etwas einfacher sein usw."
ragazzi: "Eure ambienten Klänge und vielen lyrischen Motive scheinen mir deutlich leichter und höreinfacher als die harten komplexen Sachen. Metal hat generell oftmals in leiseren Momenten diese gewisse Süßlichkeit, während im Jazz genau dann eher disharmonische und, Pardon, reichere Motive zum Tragen kommen. Zum letzteren habt ihr weniger Ambitionen?"
Benjamin: "Ja, ich kann mir auch keine Metal-Balladen anhören! Na gut, "Unforgiven" und "Nothing else matters" mal ausgenommen. Ich glaube, Du spielst auf "Isis the prism" an. Manchen sind solche an Metheny erinnernden Passagen zu süßlich, ja fast kitschig. Aber nach Eisbein muss man ja nicht unbedingt schwarze Herrenschokolade essen, sondern kann auch getrost zum Softeis greifen! Je nach Perspektive werden solche Parts als interessante Aufhellung oder als kitschig empfunden. Bei Bands wie Dysrhythmia sind Jazz und Metal mehr verschmolzen, bei uns sind es Gegenwelten."
ragazzi: "Wie war die Arbeit im Studio - locker und konzentriert? Wart ihr keinem Stress ausgesetzt? Seid ihr vom Resultat, der neuen CD, überzeugt? Wie seht ihr "Fraktal" heute aus der zeitlichen Distanz?"
Benjamin: "Das sind ja gleich vier Fragen auf einmal! Bei den Schlagzeugaufnahmen waren wir auf vier Tage limitiert, die Pre-Produktion dauerte fast ein halbes Jahr und Gitarre und Bass haben dann noch mal zwei Monate gebraucht. Diesmal haben wir uns eine klare Deadline gesetzt, denn sonst zieht sich alles ohne Plattenfirma im Rücken unendlich hin. Wir müssen vor den Aufnahmen davon überzeugt sein, dass es das letzte Album noch übertrifft, sonst strengt man sich nicht genug an. Genauso wie man bei der Konzeption eines Albums darauf achtet, dass die Songs zueinander passen, haben wir unser Augenmerk darauf gelegt, "Fraktal" weiterzuentwickeln, keine Wiederholungen zu produzieren und doch den Bandsound zu erhalten. Das waren gleich drei Vorhaben auf einmal!"
ragazzi: "Habt ihr Vorstellungen, Ideen oder Pläne zu noch ausgefallenerer Musik?"
Benjamin: "Hermann Hesse sagt: "Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte." Wir versuchen stets am Limit unserer Möglichkeiten Musik zu erschaffen."
ragazzi: "Wie sehen die Reaktionen der Presse aus? Wie die Eurer Familien? Habt ihr einen Fanclub für enthusiastische Fans?"
Benjamin: "Bisher sehr gut! Wir erhalten gute Kritiken und Unterstützung aus den einschlägigen Szene-Medien (Babyblaue-Seiten, Ragazzi, Laser-CD, Just for Kicks) und Musiker-Magazinen (Sticks, Gitarre&Bass...). Einzig reine Metal-Medien oder Jazz-Dogmatiker mögen uns nicht und suchen nach dem Haar und dem dazugehörigen Tier in der Suppe..."
ragazzi: "Was ist mit Euren Zukunftsplänen, jetzt nach der Veröffentlichung der CD - geht ihr auf Tournee, kann man euch in Deutschland live erleben?"
Benjamin: "Eine komplette Tour ist z.Z. nicht in Planung. Der flächendeckende Vertrieb, sowie weitere Rezensionen der Alben ist unser mittelfristiges Ziel. Auch soll "Always Home." re-released werden, da es zurzeit vergriffen ist. Die nächste Möglichkeit uns Live zu sehen, ist am 28.03.2007 auf der Musikmesse in Frankfurt, wo wir um 11.30 Uhr im Agora Zelt spielen werden.
Wir bedanken uns bei den Fans für die Unterstützung und Ragazzi für dieses Interview!"

VM




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