Mit Bongos wär' das nicht passiert

Interview mit Stephan Groth (Apoptygma Berzerk)

Die Band mit dem unaussprechlichen Namen wird in Deutschland vergöttert wie nirgendwo anders in der Welt. Warum ist das so? Und wieso lief plötzlich ein Song von Apoptygma Berzerk auf Vox? ragazzi stellte diese und noch einige Fragen mehr Stephan Groth, dem Kopf der norwegischen Combo, deren Album - "You and me against the world" derzeit in vielen CD-Playern rotiert.





ragazzi: "Da es das erste Interview für ragazzi ist, würdest du zunächst euren ungewöhnlichen Bandnamen erklären?"
Stephan: "Es ist nur ein Name, hinter dem keine tiefere Bedeutung steckt. Als wir um 1989 herum starteten, war elektronische Musik noch etwas Ungewöhnliches in Norwegen. Und da dachten wir uns, dass wir für die ungewöhnliche Musik auch einen ungewöhnlichen Namen brauchen. ‚Berzerk' ist ein alter Wikingerbegriff, mit dem wir zeigen wollten, dass wir aus Norwegen sind. Er heißt so viel wie ‚to go crazy'. "Apoptygma" fand ich in einem holländischen Wörterbuch. Unser Bandname ist zwar schwierig auszusprechen, aber wenn du ihn einmal gesehen hast, vergisst du ihn nicht mehr."
ragazzi: "Zu eurem aktuellen Album. Den Titel "In this together" verwendete der Fernsehsender Vox als Trailermusik, um Filme anzukündigen. Das ist nicht unbedingt typisch für einen Apop-Song. Wie kam es dazu?"
Stephan: "Ich weiß es gar nicht genau, denke aber, dass ihnen der Song einfach gefiel und gut zur Filmankündigung passte. Unser Plattenlabel hat das angeschoben."
ragazzi: "Ihr als Band habt keine Probleme mit einer solchen Verwendung eurer Musik?"
Stephan: "Jede Promotion ist Promotion. Eine Band wie die Dandy Warhols wurden bekannt wegen der Vodafon-Werbung. Es gibt viele Möglichkeiten der Promotion, ich habe kein Problem damit. Ich weiß, dass viele Leute Vox schauen. Es hat uns viel Promotion gebracht."
ragazzi: "Siehst du durch solche Aktionen nicht die Gefahr eines Ausverkaufs eurer Musik?"
Stephan: "Um ehrlich zu sein, interessiert mich die ganze Sache mit der Plattenindustrie und dem Geld nicht wirklich. Ich mache Musik, weil ich Musik liebe, die Plattenindustrie bringt Musik auf den Markt, um Geld zu verdienen. Das sind zwei verschiedene Dinge. Die Plattenfirma nutzt eben alle Promotion-Möglichkeiten, um Geld zu machen."
ragazzi: "Aber es ist deine Musik…"
Stephan: "Das ist richtig, aber ich spiele nun mal dieses Spiel mit. Ich will, dass meine Musik verkauft wird und von so vielen Leuten wie möglich gehört wird. Wer das nicht möchte, braucht keine Platte herausbringen. Man kann es Ausverkauf oder was auch immer nennen - mich interessiert das nicht."
ragazzi: "Du willst also mit deinen Platten kein Geld verdienen?"
Stephan: "Ich muss meine Miete bezahlen und ich muss essen. Natürlich brauche ich Geld. Aber wenn ich wirklich aufs große Geld scharf wäre, würde ich etwas völlig anderes machen, z.B. in die Ölindustrie gehen. Um Geld zu verdienen, ist die Plattenindustrie nämlich der schlechteste Platz."
ragazzi: "Das aktuelle Album klingt anders als das, was Apop bisher gemacht hat. War das von vornherein beabsichtigt?"
Stephan: "Vor drei, vier Jahren, nach "Harmonizer" und der Welttournee, war ich ausgebrannt. Als ich wieder zu Hause war, fühlte ich mich nur müde und überhaupt nicht an Musik interessiert. Ich beschäftigte mich mit allem Möglichen - nur nicht mit Musik. Irgendwann arbeitete ich an meinem Nebenprojekt Fairlight Children. Das war richtig gut, weil es da keinerlei Erwartungen gab. So kam ich in die richtige Stimmung, ein neues Apop-Album anzugehen. Ich begann wieder Songs zu schreiben, experimentierte mit alten, analogen Synthesizern, aber auch mit Gitarren, weil ich etwas Neues, Frisches wollte. Ich konnte einfach nicht da weitermachen, wo ich aufgehört hatte. Dann sprachen wir mit mehreren Plattenfirmen. Schließlich landeten wir bei GUN."
ragazzi: "Es gab also schon die Intention, etwas völlig Anderes zu machen als "Harmonizer"?"
Stephan: "Nein. Es war nicht so, dass ich mich hinsetzte und mir sagte: Jetzt machst du etwas Anderes. Es passiert einfach so. Ich wollte Dinge ausprobieren, was einen Riesenspaß gemacht hat. Für mich ist es am allerwichtigsten, Spaß zu haben. Nur so kann ich kreativ sein und gute Songs schreiben. Wenn ich keinen Spaß mehr hätte, würde es kein Apop-Album mehr geben.
Hinzu kommt, dass die anderen Bandmitglieder mehr in die Arbeit involviert waren als vorher. Ich habe plötzlich gemerkt, dass ich eine richtig coole Band habe."
ragazzi: "Wart ihr am Ende vom Ergebnis eurer Arbeit überrascht?"
Stephan: "Nein, nicht wirklich. Das Ding ist, dass die Songs gar nicht so anders sind als frühere Stücke. Sie sind alle typisch Apop. Was anders ist, ist der Sound. Wir haben den Songs nur ein neues Kleid verpasst."
ragazzi: "Stephan, du hast den Spaß an der Arbeit erwähnt. Der Titel des Albums - "You and me against the world" - klingt aber nicht lustig..."
Stephan: "Er widerspiegelt zum einen das Gefühl, dass wir als Band hatten, als wir im Studio waren. Wir spürten, dass wir eine Einheit waren. Es war schwierig, dieses Album rauszubringen und wir wussten, dass es viele alte Fans nicht verstehen würden. Aber es war uns egal, was die Leute denken. Wir sagten uns: Ihr könnt uns alle mal.
Dann drückt es aber auch dieses ‚Wir und die Fans gegen den Rest der Welt' aus. Und es ist über Beziehungen: Du und deine Freundin, ihr wisst, dass ihr zusammen gehört, aber niemand Anderes versteht es. Aber genau das macht euch stark. So ähnlich ist es ja auch mit der Gothic- und Electro-Szene."
ragazzi: "Ihr liebt es, Songs zu covern. Warum habt ihr euch auf dem neuen Album gerade für ein Stück von Kim Wilde entschieden?"
Stephan: ""Cambodia" kam in den frühen 90ern heraus. Ich wuchs in dieser Zeit auf, mit Musik der 80er Jahre. Als ich es mit 10, 12 Jahren hörte, hatte ich keine Ahnung, was elektronische Musik ist. Für mich war es einfach ein Top-10-Hit. Wenn ich zurückblicke, ist dieser Song aber der Grund dafür, dass ich heute diese Art von Musik mache. Mit der Coverversion wollte ich dem Stück Anerkennung zollen, weil es eben sehr wichtig war für mich."
ragazzi: "Mit Anders ist so etwas wie die alte Bandstruktur zurückgekehrt. Wie kam es dazu, dass er nach so langer Zeit wieder mit im Boot ist?"
Stephan: "Er stieg nach ‚7' aus, weil er mehr Zeit brauchte für seine anderen Projekte, die Death-Metal-Band Cadaver und Magenta. Er hat mit ihnen auch einige Platten herausgebracht. Wir sind aber immer Freunde geblieben. Als er einige der neuen Stücke hörte, kam er zu mir und sagte: Ich muss unbedingt dabei sein. Er verstand sofort die Vibes. Es ist toll, wieder mit ihm arbeiten zu können.
Das neue Album ist wie zwei Schritte in eine neue Richtung, aber auch ein Schritt zurück. Wir sind jetzt irgendwie wieder an dem Punkt von ‚7' angekommen, natürlich auf einem anderen Level. Als wir ‚7' machten, waren wir inspiriert von Nirvana, Pixies, Smashing Pumpkins, aber auch Depeche Mode und Front 242. Wir haben das alles miteinander verbunden, ähnlich wie auf der neuen Platte."
ragazzi: "Stephan, gerade viele weibliche Fans freuen sich, dass du abgenommen hast. Hast du eine spezielle Diät gemacht?"
Stephan: "Ich höre das manchmal, habe aber gar nicht so viel abgenommen. Ich denke, dass es etwas mit meiner schwarzen Haarfarbe zu tun hat. Und ich kleide mich jetzt anders. Früher trug ich sehr weite Sachen im Skater-Stil. Jetzt ist es umgekehrt, die Sachen sind ein bisschen zu eng."
ragazzi: "Ich habe euch auf dem Wave-Gotik-Treffen gesehen, wo ihr große Probleme mit euren Computern hattet…"
Stephan: "Oh ja, das war schrecklich."
ragazzi: "Passiert das häufiger?"
Stephan: "Nein, bei 99 Prozent der Gigs klappt es. Leipzig war eine besondere Situation. Wir kamen einen Tag später an als geplant und konnten unser neues Computersystem nicht so checken, wie wir das eigentlich wollten. Aber so ist das nun mal, wenn man Musik mit Computern macht. Mit Bongos wäre uns das nicht passiert."
ragazzi: "Wie viel von eurer Musik wird live auf der Bühne gespielt?"
Stephan: "Das ist von Song zu Song unterschiedlich. Im Schnitt ist es vielleicht fifty-fifty."
ragazzi: "Wie laufen die letzten Minuten vor einem Konzert bei dir ab?"
Stephan: "Ich komme da in einen sehr speziellen Bewusstseinszustand. Ich bin zwar nicht schizophren, aber in dem Moment werde ich fast ein komplett anderer Mensch. Nichts ist mehr wichtig, ich vergesse einfach alles. Wenn ich z.B. vor dem Auftritt noch dringend auf Toilette muss, es aber nicht schaffe - auf der Bühne ist es völlig vergessen. Mit Angel, unserem Gitarristen, ist es noch schlimmer. Du kannst mit ihm überhaupt nicht reden während des Gigs, er würde nichts verstehen.
Früher war ich immer sehr nervös und musste viel trinken, bevor ich auf die Bühne ging. Heute nehme ich höchstens noch einen Drink vor dem Konzert, weil ich mich stark konzentrieren muss. Und das funktioniert einfach nicht, wenn du betrunken bist. "
ragazzi: "Hast du eine Ahnung, warum euch besonders die Leute hier in Deutschland so sehr mögen?"
Stephan: "Da spielen vielleicht mehrere Gründe eine Rolle. Ich bin mit derselben Musik aufgewachsen, mit der auch die Leute meines Alters in Deutschland groß geworden sind. Das andere Phänomen ist, dass die Deutschen verrückt sind nach norwegischer Musik, besonders nach Metalbands. Aus welchen Gründen auch immer. Und die Deutschen mögen einfach Norwegen. Sie kommen sogar, wenn das Wetter schlecht ist."
ragazzi: "Zum Schluss die obligatorische Frage nach euren Zukunftsplänen? Weißt du schon, wie Apop in zwei Jahren klingen wird?"
Stephan: "Da habe ich überhaupt keine Ahnung... Im November touren wir in Deutschland. Dann drehen wir ein neues Video. Und Ende des Jahres wird es noch eine dritte Single geben. Viel zu tun also.
Nächstes Jahr werden wir dann in Amerika und dem Rest von Europa sein. Ich denke, dass wir danach mit den Aufnahmen eines neuen Albums beginnen."
ragazzi: "Seid ihr nur in Europa und Amerika unterwegs?"
Stephan: "Ich würde gern mal nach Asien, aber das hat bisher noch nicht geklappt. Wir haben allerdings Angebote von überall: Australien, Mexiko, Israel, Russland. Wir werden so viel wie möglich machen."

Stefan




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