After Crying Interview im März 2007


wenn wir Progressive genannt werden, sind wir halt Progressive

After Crying sind, darin werden diejenigen unter den Progressive Rock Fans, die die Musik der Band kennen, zustimmen, eine Ausnahmeerscheinung in der Szene. Vielleicht mit der Ausnahme ihres sechsten Albums, schlicht 6 betitelt, gibt es keine Anbiederungen an den (progressiven) Massengeschmack. After Crying mixen aus romantischer klassischer Musik, ungarisch-europäischer Folklore, Rock, Jazz und reicher, vielfältiger Phantasie ihr ureigenes Progressive Rock Gebräu mit ganz eigenen Markenzeichen, dem Cellospiel, den Pianoimprovisationen, dem Kontrast aus schneidend harten Gitarren und lyrischer Symphonik, auf dem letzten Album "After Crying Show" versetzt mit poppigen Strukturen, die dem einmaligen Sound der Band nicht ansatzweise geschadet haben, sondern die Musik nur reichhaltiger und einzigartiger machten. Schon zur Veröffentlichung ihres letzten Albums meinte Peter Pejtsik, Gründungsmitglied, Komponist, Arrangeur, Cellist und Bassist der ungarischen Band, dass Material für eine weitere CD vorhanden wäre, After Crying sich jedoch auf das Konzept der einen CD festgelegt hätten und die weiteren Ideen nicht für "Show" nutzen würden. Das ist beinahe 4 Jahre her. Was ist mit den nicht eingespielten Songs geschehen? Was überhaupt macht die Band? Ist eine CD im Entstehen? Von der Produktion einer DVD wurde gemunkelt. Was hat es damit auf sich? Diese Fragen und weitere gingen Peter Pejtsik zu Beginn Dezember 2006 zu. Und nun endlich, im März 2007 gingen seine Antworten ein.


ragazzi: "2006 existiert After Crying seit 20 Jahren. Wie habt ihr den Geburtstag gefeiert?"
Peter: "Wir begingen am 30. November ein großartiges Geburtstagskonzert im Palace of Arts, der berühmtesten, mit 1800 Plätzen ausgestatteten Konzerthalle in Budapest. Wir nutzten ein symphonisches Orchester (was in unserer Bandgeschichte keine Neuheit ist) und visuelle Elemente (was für unsere Konzerte eher unüblich ist). Das Konzert der ganzen Performance war eine 4D Show aus Sicht der Zukunft, die auf unsere jetzige Zeit blickt und versucht, die komplette Arbeit der Band aus den Bits und Stücken wieder zurückzuerobern, wie sie in der Zukunft gefunden wurden. Viele Missverständnisse und Fehlinterpretationen wurden in die Show eingebaut, und die traurigsten und bittersten musikalischen Stücke verursachten den meisten Applaus: einige hatten wir in der originalen Version gespielt, andere waren komplett rearrangiert und reorchestriert, zudem spielten wir einige neue Stücke. Wir planen, diese Show in der ersten Hälfte 2007 einige Male aufzuführen, zudem einige andere Gigs mit dem einfachen (8 Mitglieder) Line-Up aufzuführen."
ragazzi: "Seit "After Crying Show" ist eine Weile vergangen. Was hat die Band inzwischen gemacht?"
Peter: "Die Band - als Band - spielte Konzerte und schrieb neue Songs, aber die Bandmitglieder konzentrierten sich in den letzten Jahren hauptsächlich auf ihre persönlichen Karrieren. In einem langen Zeitplan - wie dem von After Crying - muss es solche Perioden geben, sonst würde die Band wegen der verschiedenen Interessen der einzelnen Musiker auseinander brechen. Wir haben früher oft darüber gesprochen, als wir bemerkten, dass viele Rockbands sich nach 6 bis 8 Jahren auflösen. Aber wir wollen die Band nicht auseinander brechen lassen, also mussten wir uns Zeit für persönliche Dinge nehmen, die anders orientiert sind als die von After Crying (AC).
Unabhängig davon haben wir in der Vergangenheit oft darüber gesprochen, die Band aufzulösen und haben es nicht als unumstößliches Gesetz gesehen, dass die Band für alle Zeiten zusammen bleiben muss. Es passierte nur stets, dass diese Gespräche damit beschlossen, dass wir weiterhin gemeinsam arbeiten wollen. Als wir begannen, an der neuen Show zu arbeiten (die wir am 30. November aufgeführten), bemerkten wir freudig, dass wir neue und überraschende Ideen füreinander haben, und dass die Quelle für ACs Musik immer noch lebendig und frisch ist."
ragazzi: "Ist das Bandpersonal dasselbe wie 2003? Bringt eigentlich jedes Bandmitglied Einflüsse und Kompositionen in die Band ein, oder gibt es nur einen Kern Musiker, der komponiert und arrangiert?"
Peter: "Das Line-Up ist seit 2003 unverändert, oder eigentlich seit 2002, als unser neuer Sänger zu uns kam. Das war der einzige Wechsel seit 1998. Der Einfluss der neuen Mitglieder hat den Kern der Komponisten in der Band wachsen lassen, so wie wir zusammen gereift sind. Jeder bringt seinen persönlichen Stil ein, so dass ein fertiges Stück aus lauter unabhängigen Ideen zusammengesetzt ist."
ragazzi: "Nach einem Konzert in Würzburg sagtest Du mir, dass AC für das bisher letzte Album "After Crying Show" genug Material für eine Doppel-CD gehabt hätte. Was ist aus den Kompositionen geworden, die ihr nicht aufgenommen habt? Sind die Ideen verloren oder werden sie Teil eines kommenden Albums sein?"
Peter: "Sie sind nicht verloren. Sie können Teil eines kommenden Albums sein, wir werden sehen. Wer weiß! Wir waren völlig überrascht, zu sehen, welches alte Material seinen Weg auf die jüngste Set-List gefunden hat. Einer der Songs, den wir in die Show aufnahmen, hatten wir seit 1989 nicht mehr gespielt! So ist das auch mit "Show", einige Ideen stammten aus der Zeit vor AC "6", was heißt, das sie älter als 5 Jahre waren, als wir sie endlich aufgenommen hatten. Einige Ideen müssen sofort aufgenommen werden oder sie kommen auf eine lange Warteliste. Das können wir nicht kalkulieren, nicht erzwingen. Wir versuchen stets, das nächste AC Album oder die kommende Show aus dem Material zu bildhauern, das uns gegeben ist, statt neue Pläne zu forcieren. Wir haben jede Menge Zeit, denke ich."
ragazzi: "Wird es in der nächsten Zukunft ein neues AC Album geben? Wie klingt AC heute? Plant ihr ein weiteres interessantes thematisches Konzeptwerk wie "Show"? Spielst du mehr oder weniger Cello?"
Peter: "Wir planen in der nahen Zukunft kein neues Studioalbum, möglicherweise überraschen wir uns eines Tages selbst… Unsere neue Live-Show hat ein interessantes thematisches Konzept, es könnte als interaktive DVD realisiert werden. Aber darunter sind auch einige Stücke, die nicht Teil eines Konzeptes sind, die nur als lose, für sich stehende Musikstücke enthalten sind. Wir werden sehen, welcher Teil stabiler ist, und wir werden sehen, wann. Möglicherweise wird unsere nächste Veröffentlichung keine CD oder DVD, wir haben da einige wirklich faszinierende Ideen, was Möglichkeiten betrifft, Musik zu veröffentlichen. Aber still! Ich sollte nicht darüber reden, bevor die Sache ausgereift ist.
Der Sound: einige Leute sagten nach den letzten Shows, dass der symphonische Sound der Band ausgereifter und klarer ist, als je zuvor. Das hat - denke ich - seine Ursache darin, dass ich in den letzten Jahren zahllose Orchestrierungen geschrieben habe. Und Cello… ich liebe es, Cello zu spielen. Das mache ich auch in anderen Bands und ich bin stets ein wenig traurig, wenn ein Arrangement letztendlich kein Cello enthält. Aber der Anspruch der Musik selbst ist wichtiger als unser Wille. Ich persönlich würde dem Instrument einen hübschen ausführlichen Platz in der Band einräumen und ich hoffe, wir werden dazu in der Lage sein."
ragazzi: "Ihr veröffentlicht 2007 eine DVD. Was wird darauf zu sehen sein, worauf können wir uns freuen?"
Peter: "Ja, du hast Recht. Unsere nächste Veröffentlichung wird eine DVD sein. Wir arbeiten an einem der jüngst aufgenommenen Konzerte, was die erste offizielle AC DVD werden soll. Das war ein Konzert im normalen Line-Up, ohne symphonisches Orchester, ohne Videoeffekte. Das Konzert orientiert sich vor allem am "Show" Album, aber es gibt auch ein paar Songs aus anderen Perioden der Band."
ragazzi: "Was machen die AC Mitglieder zwischen den Veröffentlichungen? Konzerte? Andere Projekte?"
Peter: "AC Mitglieder machen alle möglichen Sachen zwischen den Veröffentlichungen und Konzerten. Alle arbeiten im Bereich Musik und Kommunikation. Das reicht von großen Produktionen ungarischer Theater bis zur modernen Metalszene und zum Redenschreiben für führende Politiker, es gibt sehr viele Sachen, die unserer Hände und Köpfe Arbeit sind.

Ich für mich persönlich kann freudig berichten, dass ich in den letzten Jahren einer der meist respektierten (und häufig engagierten) Arrangeure/Orchestratoren/Musikproduzenten in der Musikszene meines Heimatlandes geworden bin, zudem habe ich eine internationale Karriere gestartet. Die meiste Zeit nutze ich zum Komponieren, Kompositionen überarbeiten, Arrangieren oder Orchestrieren von Pop oder Filmmusik, Musicals und Begleitmusik für Theaterstücke. Regulär arbeite ich mit Richard Evans und David Rhodes (aus Peter Gabriels Band) an Weltmusikprojekten zusammen (Guo Yues "Music and Love" veröffentlicht von Real World Records) oder Filmmusik (einige Episoden aus der Atlas Serie auf Discovery Channel), ich überarbeitete die Streicher in "Lightstar", einem von Michael Brooks Songs, und nahm sie auf, ich war zudem in Peter Gabriels Auftritt bei der Winter Olympiade involviert und es gibt zahllose Tamilen (indische) Filme (Chandramukhi, Mayaa, Sivamayam), für die ich komponiert, ko-komponiert und arrangiert habe. Ich dirigiere meine Arrangements im Studio und organisiere die technischen und menschlichen Parts solcher Aufnahmen, dass heißt, ich produziere alles. Und wenn du die Musik der neuen Robin Hood Serie auf BBC oder dem Jahresendclip von "Cinemax" (HBO USA) zuhörst, kannst du meinem "Taktstock" lauschen, das wird immer mehr, immer öfter werde ich gefragt, ob ich anderer Leute Kompositionen dirigieren und produzieren kann. (Beim letztgenannten Stück kann man ACs weibliche Sängerin Judit Andrejszki als Solistin hören.) Das wird neben der Studioarbeit auch auf der Konzertbühne mehr, seitdem ich als Dirigent verschiedener Konzerte gefragt bin, so zum Beispiel für das Jubiläumskonzert des Berliner Gitarristen Ferenc Snétberger mit einem symphonischen Orchester.
Zudem haben wir eine Irish Band, die "Irish Rovers of Belfast and Budapest", zusammen mit dem AC Gitarristen Ferenc Torma (er spielt Bouzouki und Synthesizer, ich ein Soprancello, das ich auf den Knien halte) und einem Iren, Pat McMullan - und wir lieben es, das weltweite Publikum mit atemberaubenden progressiven Arrangements von irischen Songs verrückt zu machen.
Diese vielen Jobs geben mir eine Menge zu tun, ich habe einen straffen Zeitplan und ich kann dir sagen, dass ICH UNSAGBAR froh war, an neuen AC Stücken und Arrangements vor dem Konzert arbeiten zu können!"
ragazzi: "Nehmt ihr eure Konzerte auf?"
Peter: "Manchmal ja (zum Beispiel für die kommende Live DVD), manchmal nein, viele Male tun wir es nur für ein Feedback zur Reflektion unserer selbst, die Qualität dieser Aufnahmen ist ausreichend für die Dokumentation, aber nicht für den Verkauf geeignet - das betrifft auch unsere letzten Shows."
ragazzi: "Wie war die Reaktion der Fans und der Presse nach "After Crying Show" in Sicht auf die neue Musik und die philosophische Story?"
Peter: "AC Show hat keine größere Aufregung verursacht als das zweite Album (Megalazottak…) oder "6" zu ihrer Zeit. Das meiste Material von "Show" hatten wir vorher bereits live gespielt. Klar hatten die Songs in der finalen, überarbeiteten Version einen größeren Einschlag beim Publikum. Hörer beschrieben das Album zunehmend positiv, nachdem sie es etliche Male gehört hatten. Wir haben die "Message" in nicht klassischer Prog-Weise gespielt, haben uns der heutigen Sprache bedient, ein wenig Pop, ein wenig Groove, so dass es leichter verständlich war - und doch eröffnen sich nicht alle feinen Details und versteckten Meinungen, wenn man "Show" das erste Mal hört. Das resultierte in dem vorsätzlich etwas provokativen Konzept, was uns Bestätigung mit dem jährlichen "Emerton" Preis des Hungarian State Radio (als beste Gruppe des Jahres) einbrachte und uns auf das Cover des größten ungarischen Musikmagazine brachte - obwohl wir eine "progressive" Band sind."
ragazzi: "Seid ihr in Kontakt zu anderen Progressive Rock Band in Ungarn und weltweit? Ist After Crying in Ungarn wohlbekannt? So wie Omega oder ähnliche Bands? Gibt es in Ungarn eine aktive Prog-Szene, mit der ihr in Kontakt seid?"
Peter: "Es mag befremdlich klingen, aber die Ungarn kennen After Crying nicht. Oder sie kennen die Musik nicht, nur den Namen. Omega - außerhalb Ungarns als Prog-Band bekannt - war eine der "Großen Triaden" (Illes - Metro - Omega) in der Beat-Ära. Etwa wie die Rolling Stones in Großbritannien. In Ungarn sind sie für ihre frühen Alben gut bekannt, nicht wegen ihrer späteren - nicht für die, die sie zur Prog-Band machten. Sie spielen alle 6 bis 8 Jahre ein Stadionkonzert vor 70.000 bis 80.000 Leuten. Mit uns hat das nichts zu tun. Wir treffen hin und wieder die Musiker von Solaris und East während Konzerten oder bei unserem Label, Periferic Records. Ich spiele des Öfteren mit Fanni Volgyessy-Szomor von der ungarischen Band "You And I" zusammen. Die ungarische Prog-Szene ist sehr schmal. Es gibt junge Anfängerbands, die etwa Pink Floyd covern, aber sie zeigen keinen eigenen Stil.
Und AC passt nicht wirklich unter das Progressive Label. Manchmal werden wir als Rock beschrieben, mal als Jazz, dann als World Music oder als Klassik - und wenn wir Progressive genannt werden, sind wir halt Progressive. Natürlich sind wir froh und dankbar dafür, dass die weltweite Prog-Szene AC anerkennt. Die Prog-Szene ist offener für klassische musikalische Formen und Sounds als die klassischen Konzertgänger für Rock. (Obschon es wunderbar zu sehen ist, wie junge klassische Musiker froh darüber sind, mit uns spielen zu können!)
Weil ich Arrangeur in verschiedenen Stilen (Jazz, Rock, Filmmusik, Pop, Worldmusic) bin, arbeite ich ständig mit den führenden Musikern meines Landes zusammen. Das geht auch anderen Mitgliedern von AC so, die auch außerhalb des Landes mit bekannten Musikern spielen.
Was den Kontakt zu internationalen Prog-Bands betrifft - ich habe Cello auf einigen Stücken des Albums "Childhood's End" der venezuelanischen Band Tempano gespielt und bin mit ihnen bei einem Konzert in Caracas aufgetreten. Wir sprechen hin und wieder über eine Kooperation mit der Band Kotebel. Für eines meiner letzten Arbeiten (die Pre-Premiere Albumveröffentlichung des "Casanova Night Musical") fragte ich Tony Levin, ob er in einigen meiner Songs Stick spielen könnte. Aber viele Musiker nennen sich selbst nicht länger "Prog". Ein bekanntes Beispiel dafür ist Peter Gabriel."
ragazzi: "Wie sehen eure Zukunftspläne aus? Gibt es eine Chance, euch mal wieder in Deutschland live im Konzert zu sehen?"
Peter: "Wir würden es lieben, wieder in Deutschland zu spielen. Ich denke, dass unsere Musik vom deutschen Publikum geliebt werden würde. 2006 gab es einige Aktivitäten, in Österreich zu spielen und wir traten auf einem Festival auf. Wir hoffen, dass 2007 andere Festivals folgen und vielleicht können wir mit der Einladung nach Frankreich eine kleine Europatour bestreiten."

VM




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