InsideOut Music Special 2011

Karmakanic "In A Perfect World" (VÖ: 25.07.2011)
Leprous "Bilateral" (VÖ: 19.08.2011)
The Tangent "COMM" (VÖ: 26.09.2011)
Steve Hackett "Beyond The Shrouded Horizon" (VÖ: 26.09.2011)
Redemption "This Mortal Coil" (VÖ: 26.09.2011)
Pain of Salvation "Road Salt Two" (VÖ: 26.09.2011)
Transatlantic "More Never Is Enough" (VÖ: 24.10.2011)

InsideOut Music ist ein weiteres Label, das nur Online Promotion betreibt. Und wieder sammeln sich digitale Alben in minder guter Soundqualität auf der Rechnerfestplatte. Karmakanic's neues Album schlummert fast schon ein halbes Jahr in seiner Datei. Mittlerweile sind bereits sieben Alben des Labels zusammengekommen. Hin und wieder habe ich, nachdem ich den Windows Media Player entdeckte, die Alben angehört und bin ob mancher guten Scheibe ganz entzückt. Wenn da auch nichts ist, was ich in Händen halten kann, keine taktilen Reize, nix anzugucken, nur Dateien und Computerbilder, na ja. Ist doof. Aber besser noch, als gar kein Eindruck.

Karmakanic "In A Perfect World"

Jonas Reingold, seit 2002 mit Karmakanic im ambitionierten Progressive Rock unterwegs, hat den Sound der besseren Welt gefunden. Und der ist längst nicht mehr so jazzig und abgefahren komplex wie auf den Alben zuvor. Der Klang seiner zur Zeit ruhenden Stammcombo The Flower Kings ist immer wieder stark präsent - stilistisch, in den Kompositionen, in Ecken und Kanten, Soli und Gesängen. Und sicher ist da weitaus mehr eigenes zudem. Lalle Larsson setzt als Tastenwizzard ganz auf den symphonischen Sound, den Jonas Reingold mit seinem Rickenbacker donnernd unterstützt. Marcus Liliequist als herausragender Trommler weiß den zarten, deftigen, komplexen und liedhaften Motiven den richtigen Rhythmus zu geben, stets schön aufgemischt und differenziert, lebhaft und virtuos ist sein exzellentes Hand- und Fußwerk. Göran Edman ist Lichtjahre besser als der tranigste Flower Kings Parts, der des Starsängers (und damit ist nicht Mr. Roine himself gemeint). Selbst Krister Jonsson, ganz und gar kein Stolt-Jünger, hat den Flower Kings Virus in sich.
Die Songs sind ungemein schöngeistig aufgebaut, oftmals sehr poppig, wie etwa "Turn it up", das in anderem Arrangement, mit anderer Instrumentierung auch als Dancefloor für die Massen funktionieren würde und gewiss nicht zum Besten des Albums zählt. Alle 7 Songs, wenn auch eher länger als kürzer und damit potentiell eher prog-afin als für die Normalos unter den Pophörern, haben ihre großen liedhaften Parts mit ausufernden Gesangspassagen, schicken Chorgesängen, hübschen und melodisch honigsüßen Partien. Und dann sind da die Instrumentalapparate. Abgefahren weniger, wenn auch gewiss hier und dort recht frisch und derb holterdipolternd und mit Schmackes Gebirgsfußball absolvierend. Insgesamt bin ich etwas enttäuscht über die Überraschungsarmut, bei dem Namen und den Musikern wäre mehr drin gewesen. Indes, die aktuelle Prog-Szene, längst in alle Fangarme entwickelt, tendiert mehr zur Summe aus Eingängigkeit, komplexer Instrumentalarbeit, melancholischer Sanftmut, Jazzsprengseln und Longtrackbombast. Wie immer also und diese Combo. Und sicher, um nicht zu über- beziehungsweise untertreiben, die 7 Songs haben vielfältige und vielseitige Idee, die handwerklich exquisit, locker und dynamisch vital präsentiert wird. Der Download-Sound klingt ein wenig schmierig, was vor allem der Rhythmuslandschaft schlecht tut. Der CD-Sound ist gewiss perfetto.

Leprous "Bilateral"

Das 2009er "Tall Poppy Syndrome" gefällt mir außerordentlich. Die junge Band rockt und knüppelt nach Herzenslust und nimmt keine Rücksicht auf irgendwas, hat dabei Lust auf abgefahrene und komplexträchtige Sounds und Idee zudem, einen Haufen Lieder mit vitaler Energie zu füllen. "Bilateral" beweist der Band Lernprozesse. Sie sind stilsicherer geworden, was ich schade finde, ihre Ideen werden typischer kanalisiert, sie sind mehr Prog als verrückt, weniger drastisch und deutlich songorientierter - und dabei immer noch mit genauso viel Spaß und Witz bei der Sache. Die Norweger legten bereits 2006 ihr Debüt auf, 5 Jahre später schreddern sie Progmetal-Riffs mit technischer Versiertheit, als seien sie alte Hasen. Doch noch immer ist da diese frische Jugendlichkeit, die keine ausgefallenen Schwierigkeitsgrade verhindert und trotz allem derb knüppelt. Zu entdecken ist genug, und stets machen sich so kleine extraschräge Besonderheiten auf, die atonalen Jazz oder radikale Brüche mit herber, faszinierend ungerader Note locker und krass servieren. Allein "Forced Entry", der längste und nicht beste Track des eindrucksvollen Albums, hat so ziemlich alle Facetten drauf, für die Leprous stehen: da sind zarte Lyrikeinbrüche, flüssig-forscher Rock mit alternativer und metallischer Note, abrupte Technikbruchlandschaften, schneidend scharfe, wenn auch nicht umwerfende und längst nicht umfangreiche Gitarrensoli, und diese gewisse, mitnehmende Arrangementsicherheit, die den Songs einerseits das besondere Etwas und zugleich Autobahnstromlinienförmigkeit gibt: rasen ist Pflicht, trotz all der schrägen Hindernisse, die mit Bravour genommen werden. Gehört auf CD und nicht auf Festplatte.

The Tangent "COMM"

"COMM" ist die bereits 10. Produktion der Nordengländer, mal alles zusammengezählt. Der retrospektiv progressive, jupp, Sound der Truppe holt viel 70er Zeitgeist aufs Tapet. Und obschon The Tangent ab Mitte des symphonischen Rockjahrzehnts eher als eingängig und leicht gegolten hätten - bei DER Auswahl und die Fans damals um etliches kritischer waren, konnten sie auch, was ihr Jahrzehnt, heute sind wir froh, dass die Szene noch lebt, und wenn sie momentan auch gut lebt, so ist doch abzusehen, dass in 100 Jahren alles vorbei ist (…), ist der Bandsound doch längst nicht schlicht oder auf Liedhaftigkeit getrimmt, sondern frisch vital, energisch und ganz und gar typisch britisch progressiv, mit parzelliger Einflussnahme der canterburyianischen Jazzdramatik (ohne indes viel Dramatik und auch längst nicht in der überaus geliebten Ultrakomplexität + Jazztiefe) und unter (immer noch) Zuhilfenahme des typischen Klanggutes, das die Uppsala-Band (die in der Vergangenheit hier auch mitarbeitete) gleichen Genres in den 90ern stets geprägt hat. The Tangent sind cool jazzig, in ihrem rockflotten Progsound. Macht Laune und überrascht immer wieder, dieses "COMM", in all seiner Vielseitigkeit. Selbst die poppigen Partien, und die haben heute wohl alle Bands dieser Stilbauweise, weisen immer noch soviel Charakter aus, dass die Songs zu genießen sind. In den rasanten wie in den Knüppeldammstrecken dreht die Band heftig auf, schön und gut zu spüren, wie der Spaßfaktor im instrumentalen Wahnsinn hochfährt. Mein persönliches Fazit: "COMM" ist besser als mindestens die Hälfte aller bisherigen Tangent-Alben. Und vielleicht das beste aller. Mist Downloadmist!

Steve Hackett "Beyond The Shrouded Horizon"

So einiges am aktuellen Steve Hackett Stil erinnert eher an alt gewordene Pink Floyd als an seine eigene Stammcombo. Das mit Genesis ist weit über 30 Jahre her und zuletzt klangen die selbst nicht mehr wie sie selbst, mit ihm ging der Rest des alten Sounds der klassischen Kapelle verloren. Zeitgeist. Nun, und Pink Floyd. Sie alle entstammen einer Schule, sind Kinder eines Zeitalters, eines Stils, einer Mode. Und wurden alt damit. Gewiss sind sie sich alle mehrfach über den Weg gelaufen und haben gegenseitig ihre Alben gehört und zudem die gleiche Luft geatmet. "Beyond The Shrouded Horizon" zeichnet trotz aller partiellen Rockschwere Lieblichkeit und Sanftmut aus. Freundliche Progfans werden davon ebenso angesprochen wie die Mütter ihrer Kinder. In meinem ganz persönlichen Fall wird hingegen glatt von Kitsch gesprochen und was rockt, das reicht nicht. Die Mutter meiner Kinder ist eher gnaden- als interessenlos (und wo nicht Yes oder Santana und irgendwas mit 197… draufsteht, ist sowieso eher keine Musik drin…). Die zarte Sanftmut und idyllische Melancholie des musigen Albums fließt (ihr zu) schwer und pompös dahin. Doch längst nicht weich gezeichnete Geister (die ebenso freakigen Avantrock süchtig hören) werden auf Steve Hackett abfahren, sondern New Artrocker, Alt Genesisler, Melodic Rock Hörer und - Bluesfans. Hier und dort donnert die Band mit ihrem Gitarristen an der Spitze ordentlich bluesbetont dahin, um an der nächsten Ecke von frühlingshafter Lieblichkeit abgeholt zu werden. Der Klang der Aufnahmen ist exzellent (das ist selbst auf den vom Kompressor platt gemachten MP3-Tracks zu spüren/hören). Vor allem die akustische Gitarre wurde ins perfekte Licht gesetzt. Keyboards sind nicht schwülstig, der Chorgesang in seiner Vielschicht wirkt nicht auf Pop getrimmt, selbst die teilweise schlichten Rhythmuspartien kommen besser als gut. Und doch bleibt überwiegend der Eindruck, dass die wohl komponierten und Ideereichen Songs zu lyrisch und poppig sind, zu sanft und süßlich. Trotz aller guten Attribute. - Was fürs Alter -

Redemption "This Mortal Coil"

Technikfreaks dürfen sich auf Power Metal der abgefahren vertrackten Sorte freuen, der äußerst melodisch und mit viel Emotione ausgezeichnet ist. Die Songs funktionieren gut, gehen ins Ohr und rackern sich fleißig ab, die Jungs sparen mit nichts und werfen alle Idee in ihre Songs, die ihnen eingefallen ist. Stilistisch unterscheiden sie sich kaum von anderen Bands der wieder aufwindenden Szene, die in den Neunzigern schon einmal weit über sich hinausgewachsen war. Redemption gehören zur Creme der Szene. Ihr exaktes handwerkliches Vermögen ist erstklassig, die Songs klingen in aller vertrackten Explosivität locker und dynamisch, alle Qualitäten sind virtuos und frisch ausgearbeitet. Zwar sind einige Ideen kompositorisch etwas zu typisch, und plätschert mal ein Pianopart etwas fräuleinfreundlich säuselnd dahin, steckt in manchem Part etwas (gewollte) Steifheit, die aufgesetzt wirkt und auf Szene und typisch getrimmt, doch geht das Album gut ab. Ich wünschte mir mehr stilistische Lockerheit, mehr Heftigkeit, atonale Einbrüche, rasante Kriege und Überraschungserdbeben, statt der wohl gezeichneten Architektur, in der alle Teile ihre wichtige Funktion haben und alles bis auf den letzten Klecks durchdacht ist. Haben die keine Lust, Wände einzureißen und wilde Sau zu spielen? Damit würden sie viel mehr erreichen und technische Komplexe können sie dabei tonnenweise ausschütten. Keine Frage, das Album ist sehr schön und attraktiv, aber in der wohlgepflegten Vorstadtlandschaft ihrer Songs findet kaum anderes als bürgerliches Leben statt.

Pain of Salvation "Road Salt Two"

Pain of Salvation - das erweist sich mit jedem Album mehr - ist DIE BESTE Band auf InsideOut. Und sie wagen Zukunft. Die schwedische Combo um das begnadete Wunderkind, den Schreihals und Schönling Daniel Gildenlöw, legt einen Megahammer von Album vor. Gewiss, da ist nix mehr viel typisch "Prog", die Jungs rocken und lassen die emotionale Sau raus. Dabei sind heftig knackige Songs entstanden, die es wieder und wieder zu hören gilt. Macht das Laune! Ist das ein, mit Verlaub, geiler Sound!!! Die Songs sind cool, knochentrocken, haben Stil und Muskeln, sind alles andere als schlicht und billig, vielmehr Ideesatt und voller blitzsauberer Überraschungen. Der Schreihals legt sich ins Zeug, als drücke der innere Zwang ihm auf, keine Rücksicht zu nehmen, keine Achtung, sondern es explodieren zu lassen. Stilistisch stecken Orient und Okzident in den Songs, eine ordentliche Partie Led Zeppelin, der fette Rocksound der 70er, schön rumpelnd wie fetter Motorradmotor, der blubbernd und ratternd über schlechtestes Pflaster streicht. Groove zum Wohlfühlen, Soul, Funk, Jazz, Hardrock, Popselige Antipopattitüde und begnadetes Songwriting machen den Sound der neuen Platte umwerfend. Mr. Gildenlöw, der seinen Spiegel liebt und weiß, sich in Szene zu setzen, und alles Recht der Erde und des Weltalls und darüber hinaus hat, hat sich eine neue Haut übergestreift und seine Jungs überzeugt. Die Crew arbeitet so gut zusammen, dass alles frisch und locker, dynamisch und lebhaft rüberkommt. Lebhaft ist der treffendste Ausdruck. Wie die Songs flutschen und von Ecke zu Kanten rattern, macht überaus Spaß und jetzt ist Schluss. Zuhören.

Transatlantic "More Never Is Enough"

3 CDs. 6 Songs. Lied Nummer 1 = CD1. Knapp 80 Minuten lang. In Minute 67:31 verspielen sie sich alle. Wenn ihr es nicht glaubt, spult nur bis dahin. Die Band und ihre Songs sind kaum zu bewerten. Es bedarf ungemein Langmut, sich der Band zu widmen. Was, wenn einer nach 60 Minuten auf's Klo muss, der Song aber kaum übers Intro hinaus ist? Also, es ist alles dran und drin wie immer. 4 Ritter aus verschiedenen Königreichen ziehen in die Welt, die einen zu retten und die anderen mit der Lanze aufzuspießen. Mike Portnoy spielt Schlagzeug und das kann er. Roine Stolt spielt Gitarre, kann er auch. Pete Trewavas mimt den Bassmann, überzeugend. Neal Morse drückt die Tasten und sing Lieder auf der akustischen Laute, auch er kann's. Daniel Gildenlöw als Masterguest macht alles, was die transatlantischen Jungs nebenbei nicht schaffen. Alle singen. Transatlantic sind der Prog Overkill. Die wagnerianischen Ausmaße schwingen durch alle Einflüsse, die sich die Band vorgenommen hat. Und ganz locker schütteln die Recken hier und da altbekannte Hits aus, erweisen Santana, Deep Purple, The Beatles und vielen weiteren Respekt, ein paar Augenblicke lang, indem sie deren Allerweltshits anspielen. Ab und an wird es etwas schwülstig, wenn die süßliche Melodiedicke ins säuselig-kitschige dämmert. Manche lyrische Passage ist indes wundersam schick geraten und lädt zum verträumten Zuhören ein. Knackharte Hardrock-Partien fließen locker aus den Boxen und insgesamt geht der Reigen leicht und locker ins Gehör und fühlt sich da ganz wohl. Besonders komplex sind die Proggott-Anwärter in ihrem transatlantischen Ansinnen nicht, indes ausgewogen symphonisch, rocksatt, mal liedhaft, dann in hübsch ländliche Instrumentalgefilde spazierend unterwegs. Schon nett ganz. Wer auf Melodic Prog der fetzig coolen Art steht und Langmut und innere Ruhe hat, wird seinen Sonntag gut mit der Band begehen können. Schräge Experimente sind nicht vorhanden. Und thematische Rückschlüsse, nach und nach Fäden aufnehmend und einen Song, der eher ein "Werk" ist, logisch durchziehend und konsequent zu Ende führend: wer kriegt das in 80 Minuten schon nachvollzogen und überhaupt mit?!? Ein solcher Brocken braucht entspannte Zuhörer, die mit Humor ans Zuhören gehen. Und wenn's vorbei ist, dann ist es auch gut so.

reingoldmusic.com
leprous.net
thetangent.org
hackettsongs.dom
redemptionweb.com
painofsalvation.com
transatlanticweb.com
insideoutmusic.com
VM



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