Inside Out 2012

The Flower Kings "Banks of Eden" (18.06.2012)
Beardfish "The Void" (27.08.2012)
Kaipa "Vittjar" (24.08.2012)
Stealing Axion "Moments" (24.08.2012)
Neal Morse "Momentum" (07.09.2012)

Um die Flower Kings gab es im Hause Mantei schon immer Diskussionen. Konnte das Jungsdoppel bislang kaum etwas mit dem Symphonic Rock der schwedischen Institution anfangen, hören sie in ihren WGs hin und wieder die alten Alben (die sie halt auf CD haben) und beginnen, damit etwas anfangen zu können: Gitarrensoli, komplexe Songstruktur, etc. Die Familientherapeutin und ihre Tochter waren der Band noch nie abgeneigt (nicht ‚so schräg') und VM mochte den Gesang Hasse Fröbergs noch nie leiden, ist Roine Stolts Band ansonsten stets zugetan. Und jetzt? Die Damen befinden "Banks of Eden" als ‚Kitsch', da nützt auch ‚das ganze Instrumentale' nichts. Die jungen Herren steigen erst gar nicht auf das neue Album ein und der Älteste im Familienverbund? Tut sich schwer. "Retropolis" ist DAS Mantei-Familienalbum der Stolt Flowers, daran kann sich der jüngste Streich der rebooteten Band längst nicht messen. Die neuen Songstrukturen sind weitaus einfacher, straighter und eingängiger. Zwar passiert schon ordentlich was im Instrumentalgebirge, insgesamt indes fehlen Überraschungen - und das Drumming des Neuzugangs ist eher nur nett (mit Verlaub), Groove-lässig, cool abgehangen, drahtig und energisch, aber kaum vertrackt oder jazzversunken.
Der "typische" Roine Stolt - Sound hat immer noch (und wieder) Energie, die Songs rocken, machen Laune und lassen genügend Ideen purzeln. Aber die Chose ist zu sehr auf Nummer sicher gebaut. Der Fan wird bedient, es passieren keine abgefahrenen Experimente, es wird nie wild oder ausgefallen, vermutlich (wahrscheinlich!) ist die große Anzahl der Flower Kings Fans eher im symphonischen, Neoprog- und Progmetal-Lager zu finden - und in diesen Lagern geht es technisch und bombastisch hoch her, Witzig-Verrücktes findet allerdings nix statt. Wer auf Schöngeist-Breitwandsound im modernen Proggewand steht und sich nicht an zu lieblichem Gesang stößt und noch hinzu Roines Musik-DNS verfallen ist, wird keine Probleme mit der Suchtbefriedigung haben. Alle diejenigen, die mehr brauchen, müssen sich anderweitig umsehen. Wahrscheinlich ist VM mit seinem Text sowieso zu spät dran, sind die Entscheidungen für und wider längst gefallen und alle relevanten Gazetten hatten ihren Spaß, nun, so ist es eben - - - Zuletzt: ich legte mir die 2CD zu und stellte fest, dass der beste Song "Illuminati", Opener auf CD2, ist. Schicker Symphonic-Folk-Prog aus dem tiefen schwedischen Erbe - davon bitte eine ganze lange Platte voll, Roine!

Wenn auch kein Reinfall, war "Mammoth" 2011 nicht die Offenbarung, für die Beardfish in den Jahren zuvor locker und lustig für neue Musik ins Studio gingen. Vielleicht zapften die Nebenprojekte zuviel Energie ab. Davon ist nichts mehr zu spüren. "The Void" ist locker, vital und energisch, entspannt und druckvoll zugleich und zeigt Beardfish mit härteren Songs als je zuvor. Progressiv verschnörkelter Seventies-Hardrock mit schick schneidend scharfen Gitarrensounds, Donnergetrommel und fettem Bass bauen das kraftvoll skurrile Gerüst um Rikard Sjöbloms erstklassige Rockröhre. Der Mann hat soviel am Mikro zu tun (und tut dies so gut), dass die Keyboards ins Off verbannt wurden, vielfach jedenfalls. Anlässlich balladesker Töne, wie etwa während des hochmelodischen Schunkelrockers "They Whisper" fährt Sjöblom raffinierte Keyboardlinien auf, die den Track ausgiebig tragen - und die lässige Band hält über 6 ausgeruhte Nachmittagsminuten den Ball flach. Cool!
Am besten sind David Zackrinsson (g), Robert Hansen (b) und Magnus Östgren (dr) samt Rikard Sjöblom (voc, keys) indes immer dann, wenn sie wie die Wildschweine rocken, Dreck aufwühlen, fetten Sound basteln, zu dem der Sängerknabe dann gar mal grunzt (was lustig ‚gemacht' klingt und im Proghardrock, der so nix mit Düstermetal gemein hat, weil Beardfish nun mal fröhliche Gesellen sind, eher die schelmische Anekdote als der Überfall untoter Horden ist) und ansonsten ausgiebig Geschichten erzählt. Immer wieder kommen mir bei Refrains die großen alten Hardrock- und Frühmetalbands in Erinnerung, die wie (Eunuchen-)Tiger brüllten und damit ganze Stadien anheizten. Drauf haben diese das auch. Aber keine Lust dazu. Beardfishs Songs sind seltsam unergründlich. Oftmals sehr simpel und eingängig, poppig und Groovebetont, leicht nachzuvollziehen und zum Fingerschnippen lieblich - und dann nehmen sie eine Wendung, die so nicht zu erkennen oder erdenken war, plötzlich tummeln sich verblüffend rasante Instrumentaluntiefen, die genauso plötzlich wieder ins seichte Gewässer fahren, um nur wieder sportlich Fahrt aufzunehmen. Und so tosen alle Songs in ihre 5 bis 16 Minuten (den halbminütigen Opener gibt Brite Andy Tillison [The Tangent] für die ‚richtige, echte' englische Prononcierung.
Symphonische Epik, knackiger Rock mit metallisch scharfkantigen Attacken und hart rockender Band, schwedische Progschnörkel, liedhafte Eingängigkeit, vertrackte Instrumentaluntiefen und Grinsen im Gesicht. Beardfish sind der beste Beweis dafür, dass auch in Schweden die Sonne scheint. Und doch: wo haben die nur dieses lässige Flair her?!?

Feste Bank. Wenn auch oft ein paar Jahre zwischen den Alben liegen: Kaipa sind mit dem ersten Ton zu erkennen und gehen so locker und entspannt ans (technische) Werk, dass die symphonischen Akzente wie Gartenblumen in der Sonne aufgehen. Bereits im 11. Jahr (wieder) aktiv, macht die neue Band weitaus länger Musik als die alte ‚klassische' und der Bandsound ist energischer, frischer und symphonischer als es der alte jemals war. Zwar bauten die klassischen Kaipa auf ein breiteres Fundament mit unterschiedlicheren Klangfarben. Aber die vertrackteren Instrumentalpartien legt die junge Band auf.
Neben Vater Hans Lundin (keys, voc) sind die (auch schon angejahrten) Per Nilsson (g, Scar Symmetry), der wunderbare Morgan Ågren (dr), Jonas Reingold (b, vom Paralleluniversum Flower Kings, Karmakanic), Patrik Lundström (voc, Ritual) und die stets junge Aleena Gibson (voc) der Stamm, den zwei Gäste unterstützen: Fredrik Lindqvist (fl, Whistles) und Elin Rubinsztein (vi). Der Gesang der jungen Dame ist nix für alte Rockerohren, zu lieblich und schöngeistig flirrt ihre Stimme in die Songs, wohingegen Rituals Patrik Lundströms Stimme weitaus mehr Charakter hat. Für die Beteiligten ist Kaipa gewiss ein gutes Einkommen, zudem Garant dafür, in den üblichen Medien erwähnt zu werden. Erlesene Avantgarde, die Morgan Ågren hier und dort mit Verve und höchster Intensität mit eigener Band und in diversen Projekten zelebriert, findet hier nicht im Ansatz statt. Kaipa machen den hochmelodischen Mix aus schwedischem Folklore-Echo und retrospektivem Symphonic Rock. Am schicksten, da werden sich alle Zuhörer (oder die meisten davon) wohl einig sein, sind die ausgedehnten Instrumentalexkursionen. Indes: was wie gesungen wird, hat Flair, wenn, wie gesagt, Aleenas Gesang eher zu Schlager oder Pop passt. Nun!
Kaipa hat Stil und so die neuen 8 Songs. Der fröhliche, angenehme Familien-Prog, fast schon tanzbar, setzt auf ‚weichen' Rock, der vor allem durch seine komplexe Instrumentalschiene bezaubert, in vielen Partien indes wie leichtgewichtiger Melodic Rock funktioniert. Zuerst gefallen mir die jazzbestäubten Passagen: Keyboards, Gitarren - da zieht ein Hauch Mittsiebziger Fusion durchs Gebälk, vor allem im 22 Minuten langen "Our Silent Ballroom Band", und noch im anspruchvollsten Arrangement sitzt diese leichte, verspielte, sommerliche Note. Nix will anecken, Hans Lundin und sein Baby Kaipa können ewig so weitermachen, ohne in wirklich schlimmen Kitsch abzudriften. Es gibt eine Menge junger (und im Laufe der Jahreszeiten alt gewordener Nachwuchs-)Bands, denen nicht zu verzeihen ist, was sie so verzapfen. Kaipa, in allem, sind eine gute Band, die trotz viel zuckersüß sanftem Schmus gut unterhalten.

Prog-Metal hatte seine Ups and Downs, da gab es eine Zeit Mitte bis Ende der Neunziger Jahre (auch schon wieder Schnee von [vor]gestern), da probierten sich Hinz und Kunz im Genre und das technische Gebretter im Dunstkreis von Dream Theater bastelte exzellente und grottigste Alben aller Couleur. Von extremtechnischem Holterdipolter bis zum melodieseeligen Süßholzgeraspel war alles dabei. Diese Zeit lang war das Genre soweit überlastet, dass die Fülle an Veröffentlichungen nicht mehr nachzuvollziehen war - die Qualität konnte mit der Quantität längst nicht immer Schritt halten. Das Genre bekam einen schalen Beiklang, öden Namen, und ebbte nach den schwersten Wellen ab. Totzukriegen ist die erlesene Seite (wie die andere) indes nicht, aus dem Überangebot erholte der handwerklich anspruchsvolle Stil sich mit exzellentem und begeisterungsfähigem Nachwuchs.
Ich persönlich kann mich entsinnen, Anfang der Neunziger Dream Theater in Berlin live erlebt zu haben, das war grandios und entfachte im finanziell äußerst schlecht ausgestatteten Jungvater fatale Sucht. Die ist längst platt gemacht. Und doch, hin und wieder zucken die alten Nerven, wenn (die jazztriefenden) Planet X längst auch wieder Geschichte sind, so bringen gute Bands das Genre und mein Blut zum Kochen - etwa Counter-World Experience, exivious oder animals as leaders. Und jetzt Stealing Axion.
Die nördlich angesiedelten US-Amerikaner beweisen Funk und Hardcore im genetischen Kompositionsmaterial, zudem perfektestes technisches Handwerk und in aller herrlich brutalen Klanglandschaft rasant ausgeflipptes Instrumentalzeug. Gepresster Hardcore-Gesang und sanft melodischer ergänzen sich/singen unisono und erzählen die Stories der Songs mit Verve und Augenzwinkern. Die unglaubliche technische Raffinesse und konsequent gesetzte rhythmische Akkuratesse sind die ersten, unendlich produktiven Positivmoleküle, und die Anlage dreht sich von selbst auf immer lauter, bis der strenge Blick an der Tür sofort klar macht, wer hier nicht der Chef ist.
Für den Komponisten sind derart rhythmisch komplexe Tracks gewiss die ordentliche Herausforderung, und der Fan im Auditorium wird sich, wenn er nicht an die Wand gebrettert und im Sog des Sounds gefesselt ist, fragen, wie nur die stets die richtige Stelle zur richtigen Zeit spielen! (Ach, die haben doch alle Uhren!) Wenn auch die Gesangsabteilungen in den Songs kaum wenig interessant sind, macht doch vor allem das Instrumentliedgut von sich reden: das Vertrackte findet nüchternen Multiplikator im Riffgewitter, dass schon einmal schwer mitnimmt und verwirrt, so dass nicht sofort auffällt, dass der eigentliche kompositorische Anteil, in aller Raffinesse mit allen Raffinessen, kaum überbordend wahnsinnig ist. Hinzu: manche Passage glänzt durch stupendes Simpelsein, ohne blöd auszusehen: was das erlesen stakkative Riffgewitter so an Nebenerwerb produziert. Mancher Metalsingsang übererfüllt sein Soll und dann schrumpfen auch noch die Instrumentalsegmente - und doch bleibt die Chose frisch und unterhaltsam. Und ja, am besten wirken die beiden langen Parts des abschließenden Tracks "Moments", die zusammen 23 Minuten illuster bekrachen. Die Band nimmt sich zurück und lässt epischen Fluss durch den tonalen Raum ziehen, von Donnergetrommel und Mordsbass unterlegt, dass nur zu denken bleibt: mehr Jazz und bald wird Zeuhl draus'. Indes ist hier nix Zeuhl, was schade ist. Trotzdem: schicke Platte!

Da ist er wieder. Mit Melodic Rock/Modern Prog Faktor wie stets, wenn er auf Prog ist. Die Songs des neuen Albums könnten glatt von "Momentum"'s Vorgängern stammen, kommen nicht besser und schlechter an und in allem habe ich das Gefühl, einem 1978er Mix aus Foreigner, Manfred Manns Earth Band und amerikanischen Stadionrock in modernem Arrangement zu lauschen, während Neal Morse samt Mike Portnoy und Randy George (und eine ganze Stange Gastmusiker) sich im Vokalbereich aufhalten. Alles ist schick flott und dynamisch, rasant und herzhaft, altbekannt und eingängig, fröhlich und sommerlich licht. Harter, deftiger Rock für die ganze Familie.
Sobald sich die Gang ins Instrumentale aufmacht, gibt es die besonders schönen Sachen: erlesen scharfkantige Gitarrensoli, Viertelnotenbruchlandschaft wie im schönsten Gebirgskatalog - - - Urlaub fürs Ohr! "Thoughts Part 5" setzt an Part Uno an und gewinnt dem aus dem Erbgut von Gentle Giant stammenden Themenkomplex doch wieder Neues ab, das zu hören im Wohnzimmersessel entspannt unruhig sein heißt, da sind lebhafte Moleküle im Spiel!
Seine Mitarbeiter sind gute Handwerker, wobei ich Mike Portnoy den Hang zum sanften Melodic Rock kaum verzeihen will, rocken kann er - aber er ist ein Weichei, ein gutartiges (in der langen Rille macht er alles wieder gut, als er John Bonham ehrt!). Erstaunlich hingegen Neal Morse' hart rockende Arbeit, die kaum Rücksicht auf Verluste nimmt und genau das macht, was den Fan zum inneren Glühen bringt: heißt doch auch Progressive ROCK und nichts anderes. Eine Ballade wie "Smoke and Mirrors" ist mit viereinhalb Minuten schnell zu Ende und die Akustikgitarre wieder im Schrank verstaut, "Weathering Sky" ist ein cooler hart stampfender Vierminüter und "Freak" Feuerzeugpop für Transusen - geht kaum amerikanischer, bombastischer, kitschiger, pathetischer und schmalziger (doch, geht!), aber: viereinhalb Minuten und Schluss.
Zuletzt beweist Neal Morse die "World Without End" in ausgedehnten 33 ½ Minuten. Die bekannten schicken Sachen sind alle dabei, dass die geneigten Hörorgane dem vertrauten Genuss mit schwelgenden Sinnen folgen. Macht vor allem immer dann Laune, wenn NM rockt: ROCKT! Die zarten Saiten und sanften Sänften haben hier und da interessante Facetten, müssen aber überwiegend nur überstanden werden. Also: ROCKEN! Noch mal, macht Spaß ihm deswegen zuzuhören, weil Neal Morse fett und hart PROGROCKT! So etwa wie auf dem "So Many Roads" Livewerk und der erlesenen Livearbeit auf "Sola Scriptura & Beyond", dem zuzuhören und -sehen aufregend erregende Spannung ist.
"Momentum" gibt es neben dem Standardwerk (klingt das fade!) auch als CD+DVD ‚Media Book'. Auf der DVD: Making Of (54 Minuten), drei Videos (16 Minuten). Wenn ich das mal in die Hände bekomme, sehe ich es mir glatt an.

flowerkings.se
beardfishband.com
kaipa.info
stealingaxion.com
nealmorse.com
VM



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