In Memoriam "The Ultimate Terrorizing Aura Of Unlogic Mind"
Anane "The Evolution Ethnic - Slebar Slebor"
Nerv "ragam"
Imanissimo "Z's Diary"
(Indonesian Progressive Society, PRS Records 2003/04/05)

Discus Bassist Kiki Caloh produziert für die Indonesian Progressive Society junge Bands der dort plötzlich aufschießenden Prog Szene. Zwar gab es, wie Iwan Hasan im Ragazzi Interview meinte und einige Bandmitglieder im Gespräch während ihrer Anwesenheit in Würzburg anlässlich des Konzertes im AKW sagten, bereits in den 80ern erste Spuren von Progressive Rock in Indonesien, doch erst der weltweite Erfolg von Discus spülte großes Interesse an progressiver Musik nach oben. Die "Indonesian Progressive Society" wurde gegründet, um die Szene zusammenzuhalten und auszubauen. Seitdem gibt es wachsende Möglichkeiten für Bands und Fans, ihrem Stil zu frönen. Sony Music Indonesien übernimmt den Vertrieb der Veröffentlichungen, so dass die CDs in den entsprechenden Läden in Indonesien überall zu finden sind.

Und so unterschiedlich Progrock weltweit ist, so ist das logischerweise auch in Indonesien. In Memoriam spielen Prog Metal mit starkem ethnischem Einschlag, sehr heavy und druckvoll und mit keiner bekannten Band zu vergleichen. Moderner Rock und Pop sind ebenso in den Songs zu finden wie symphonische Strukturen. Scheinbar ist das Album "The Ultimate Terrorizing Aura Of Unlogic Mind" eine Rockoper, der Titel lässt das vermuten, die Songs gehen entsprechend ineinander über. Die Stücke sind technisch ausgezeichnet gespielt, die Arrangements zuerst etwas ungewöhnlich, dann umso interessanter. Der Rockanteil überwiegt die ethnischen Einflüsse bei weitem, so sind die elektrische Gitarre und Keyboards ständig wie wild am Arbeiten. Die Strukturen der Tracks lösen sich stetig auf, werden neu aufgepuscht, um erneut zu versanden. Das melodische Geschehen ist sehr dynamisch. Die in Bahasa (indonesisch) gesungenen Texte, so meinte Kiki, setzen sich kritisch sich mit der Gleichberechtigung der Frauen, Arroganz, Macht und Terror auseinander.

Anane spielen auf ihrem Debüt "The Evolution Ethnic - Slebar Slebor" Folksongs auf Rock. Das klingt sehr humorvoll, ordentlich schräg und hat einen Hang zu Rock In Opposition und Jazzrock. Die 9-köpfige Band spielt neben dem Rockinstrumentarium jede Menge ethnischer Instrumente, vor allem Percussions. Melodische Hauptinstrumente sind elektrische Gitarre und Tenorsaxophon. Die Arrangements der Stücke sind sehr überschwänglich, euphorisch geradezu. Die Band versteht es, grandiosen Lärm zu spielen, von steten Trommelrhythmen und Perkussion unterlegt. Das geht heftig auf die Ohren, aber auch in die Beine und unterhält mit witzigen Motiven. Die Songs sind größtenteils über 10 Minuten lang, die Forschheit und irre Schnelligkeit der Rhythmen kann Freunde harmonischer Klänge wohl überfordern. Wenn man sich drauf einlässt, machen die Songs ungemein Spaß mit ihrer Wildheit, Rasanz und einer arrangementtechnischen Schlampigkeit, die sich extrem gut auswirkt. Die Band spielt aber nicht nur ultraschnelle Songs, sondern interpretiert auch melancholische Weisen auf ihre Art. Stets auf dem Teppich der ethnischen Rhythmen, was die Songs jedoch nicht psychedelisch klingen lässt, entwickelt sich starkes folkloristisches Flair, vor allem in "Perueren", das melodisch für europäische Ohren schwer zu fassen ist. "Ho Ho Hi Heh" geht am stärksten in Richtung Rock In Opposition, was für ein phantasiereiches, ungewöhnliches Stück Musik, das Jazzrock, Symphonik, Freerock und Folk manisch verbindet, wie ein Voodootanz klingt und voll in den Bann zieht. Zum Abschluss der CD gibt es "Ho Ho Hi Heh" noch einmal als Remix. Rock und Ethnofolk fließen in psychedelischem Techno zusammen, da braucht man keine Drogen mehr, die Musik ist die Droge!

Nerv beginnen ihre CD psychedelisch. Flöte und Gitarre weben ein episches Motiv, das zum harten Rock wird und schließlich in symphonischen Rock mündet. Auch Nerv verbinden Progressive Rock mit ethnischen Klängen, wenn auch wesentlich weniger als Anane. Erstaunlich, wie viele typische Elemente die Musiker aus der europäischen Prog Szene aufgesogen haben, vieles ist in ihren Songs wieder zu erkennen. Keyboardtöne, Harmonien, der Sound der elektrischen Gitarre, der Rhythmus. Dennoch aber ist die Musik der Band nur unwesentlich mit gängigen Progstrukturen zu vergleichen. Die Einzigartigkeit der Band liegt in den harmonischen Strukturen, den Melodiefolgen, den "eigenartigen" Themenwechseln, den vielen Überraschungen. Nichts geschieht in Hektik oder Stress, die Band lässt sich Zeit und webt zarte Motive. So haben die Songs lange Vorspiele, die sehr anmutig in das Stück führen, ohne unbedingt melodisch dazu zu passen. Nerv geben der elektrischen und akustischen Violine viel Raum, die Songs sind melancholisch und weitschweifig, entspannt und sphärisch, und brechen urplötzlich zu hartem Rock aus. Eine Vorliebe für Kansas ist herauszuhören, ohne dass die Band das zu deutlich macht. Tolles Album, das in eine ferne Welt entführt.

Auch die vierte Band setzt auf Longtracks. "Z's Diary" ist ein lyrisch zusammenhängendes Werk, das wie die anderen Bands auch ethnische Musik und Progressive Rock verbindet, dabei aber am weitesten zum Symphonic Rock tendiert. Keyboards und elektrische Gitarre (letztere mit einem Hang zu Allan Holdsworth) entwerfen die bombastischen Motive. Die harmonische Struktur erinnert an das erste Album der Ungarn Solaris, die symphonische Klänge mit harten Gitarren aufpeppten. In Memoriam und Nerv haben in ihren Songs viele Lyrics, Anane und Imanissimo arbeiten zum größten Teil instrumental.
Imanissimo ist die Band, die für europäische Ohren am leichtesten nachzuvollziehende Strukturen spielt. Massive Keyboardberge, schweres Schlagzeugspiel und harte Gitarre entwerfen "typischen" Symphonic Rock. Das klingt sehr inspiriert und ist längst nicht so schlecht gespielt und produziert, wie manche europäische oder südamerikanische Produktion. Die Band hält sich nicht zurück, macht nicht auf "sophisticated". Das ist teilweise schön hart, geht in den Jazzrock, entwirft psychedelische Momente und reizt ethnische Motive aus. Die Gitarren klingen partiell sehr nach Dream Theater, ohne dass Imanissimo ansonsten näher mit der Band vergleichbar wären.

Die 4 CDs zeigen, dass da eine neue Szene im Wachsen ist, von der viel erwartet werden kann. Discus selbst werden, nicht wie sie mir erst als Joke gesagt haben, Ende 2006 mit einem neuen Album aufwarten, sondern bereits im Herbst 2005. Hoffentlich bleibt die Szene aktiv und interessiert, das gibt dem inzestuösen Rest die notwendige Frischzellenkur.

imanissimo.com
VM



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