Ice Blue Orchestra "Between Destinations"
Holger Röder "Elements - Music for Gongs and Percussions"
(Larks Tongues Music/Transformer/Downtown 2012)

Manche Bands kommen in die Jahre und werden müde. Schließlich löst sich der Verbund auf und das war's. Reiner Winters (p, synth, acc), H.H. Babe (b, Glockenspiel) und Holger Röder (cymb, dr, Gongs) kamen in die Jahre und gründeten dann das Ice Blue Orchestra. Von Müdigkeit ist ihr alterstarker Sound weit entfernt. Das Trio setzt sich im breiten Gürtel zwischen Rock, Jazz und Klassik durch, hat Idee und Handschrift, Feeling und Inspiration, kann rocken, mag laszive Eleganz, ambiente Sphären, lyrische Idylle, poppige Groovigkeit und knackig-drahtige Rockfrische.
Besonders dolle wild rockt das Trio nicht, die flotten Songs gehen gut ab, liegen irgendwo im ahnungsvollen Einflussbett von Emerson Lake & Palmer, ohne genanntem anderen Trio irgendwie besonders auf die Pelle zu rücken, mögen auch längst nicht die Sperenzchen, deren sich das andere Trio vor Urzeiten bediente. Das Ice Blue Orchestra macht seinem Namen alle Ehre. Der Sound ist elegant, klar und transparent, druckvoll - aber nicht eiskalt. Manche Themen, vor allem die nachdenklich lyrischen, dämmern entspannt dahin, manchmal etwas plätscherig, wie in "Greenland", was nicht schlecht ist und auf die sanftmütige Intention des Trios hinweist - das sich im Übrigen in seinen Aufnahmen eines erstklassiges Klanges bedient und seine Songs in hinreißender Frische und Lebendigkeit präsentiert: da nehme ich nur mal die druckvolle bassdrum in "Des Kaisers schicke Kleidung" - zwar bin ich technoidem Drumming stets mit Lust und Laune gar und ganz abgeneigt, hier indes, wo der Sound der bassdrum wummert, das ich darin ein ganzes Uhrwerk plus erdbebensicherer Architektur zu entdecken glaube, bannt mich der Klang nur in Gänze!
Zentrum des Zweitalbums, das gesamt 62:31 Minuten spielt, ist das knapp 21 Minuten lange, sechsteilige "Between Destinations". Was hier passiert, beweist die Qualität der alten [nur'n Scherz!] Recken am eindrucksvollsten und besonders. Wenn die - stets instrumentalen - Stücke ringsherum schon ansprechend sind, und manchmal ob ihrer gemütlichen Sanftmut einlullen, so ist hier alles kraftvoller, intensiver und, ja, progressiver.
Das darauf folgende "Bernina Express" ist dann auch eher Fernsehpausenhintergrundmusik, schick und gemütlich, und gewiss ziemlich zahnlos. Der Karpatenschlager im Anschluss ist ironisch wohl nur gemeint, und erinnert mich an: die CrossOver Metaller Faith No More, genauer gesagt deren "Das Schützenfest" von der 1992er EP Special Edition "I'm Easy" - in ebenso krassem Dirndl-Dumdidum fleucht die Nummer dahin.
Die beiden letzten Stücke, zusammen wieder 15 Minuten lang, klingen etwa so wie ELP zuletzt, etwas müde und in den Keyboardsounds zu lieblich, aber immerhin sehr gut gespielt.
Drei Mitglieder, drei Kräfte. Keyboarder Reiner Winters liebt sanftmütigen, harmonisch kniffligen Symphonic Rock mit poppiger Lancierung, H.H. Babe ist für das Fundament zuständig, während Schlagwerker Röder die Maschine mit Kraftfutter versorgt und erstklassiges, druckvolles Drumming präsentiert, das lässig locker wie versiert und komplex ungemein beeindruckt.
Vielleicht muss - die klangfüllende Sanftheit des Orchestras beschreibend - hier der Begriff Progressive Pop entschubladisiert und neu eingerichtet werden.

Zeitgleich veröffentlicht der eisblaue Schlagzeuger Holger Röder eine weitere CD, die 20 Tracks enthält, 78:44 Minuten lang ist. Vol. 02 als weiterem Zusatz neben "Music for Gongs and Percussion" auf dem Cover weist auf ein erstes Album gleicher oder ähnlicher Art hin. Stilistisch passen die episch lyrischen Stücke, die jeweils stets andere markante Klangfarben präsentieren, wohl zuerst ins therapeutische, musiktherapeutische Fach. Manches davon könnte als Filmmusik funktionieren, als Untermalung für Hörspiele oder für Dokumentationen. Ein Abend in passender architektonischer Umgebung könnte ein interessantes und längst sehr entspannendes Erlebnis sein. Doch eine ganze CD, fast 80 Minuten lang, voll entspannt wummernder, sanftmütig perkussiver Klänge?
Manche Düsternis liegt im Dröhnen der Gongs, die Klangentwicklung ist unglaublich, im Kleinen wie im Großen, und gewiss, es bedarf speziell interessierter Ohren, diesen verzauberten Klangkosmos erobern oder teilen zu wollen. Die Sounds sind nicht für Kommunikationsuntermalung oder ‚für nebenbei', sondern für konzentriertes Zuhören. Ganz persönlich für mich: die Sache ist sehr interessant, ich kann indes keinen Song vom anderen unterscheiden, mich längst nicht die lange Dauer auf das Klangerlebnis konzentrieren, aber manchen Zauber damit veranstalten, so zum Beispiel spätnachts, als die Dame des Hauses schon ruht, verwirrt wieder auftritt, nichts versteht und am folgenden Tag von nichts mehr weiß, oder ein Gag in der favorisierten Kneipe, wo 20 Minuten durchlaufen, ohne dass auch nur ein Gast - und das Dings ist rappelvoll - auch nur etwas davon mitbekommt, bis der CD-Player so laut gestellt ist, dass alle sich unmäßig anbrüllen, um sich zu verstehen - aber immer noch keiner was gegen das melancholische Gedonner aus den Boxen sagt…

ice-blue-orchestra.de
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VM



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