Greybeards "Longing To Fly" (Attitude / Soulfood 2016)


Verschollene Rock-Juwelen aus den Siebzigern? Mitnichten, denn nicht einer der Graubärte heißt Gandalf. Vielmehr handelt es sich bei dieser Band um Milchbärte, die zaubern können, zumindest in musikalischer Hinsicht, da ihre Werke den Geist fossil-zeitlosen und gerade deshalb brandaktuellen Rock'n'Rolls atmen und Punky Meadows rush mit Blondie, Petra, Mont-Rose und der juvenilen Alice Cooper eine dreckige Salem-Polonaise aufs Parkett legen lassen, die sich (schon mehrere Tage lang nicht mehr) gewaschen hat. Interessant finde ich die Tatsache, dass diese vier Musiker - Olle Westlund (Gesang und Gitarre), Ingemar Martensson (Gitarre), Simon Mojtahedi (Bass) und Niklas Nironen (Schlagzeug) - allesamt eine Jazz-Ausbildung genossen haben, was man den Stücken zwar vordergründig nicht unbedingt anhört, weil sie einen gefälligen Aufbau haben, aber jedes Lied nicht zuletzt durch die in harmonikaler Hinsicht unterschwellige Jazz-Ästhetik (Blue Notes) einen eigenen Charakter besitzt, was leider höchst selten im Einheitsbrei der Gleichmacherei geworden ist. (Wie äußerst sachkundige Menschen bisweilen in ihren CD-Rezensionen verlauten lassen, ist es für jeden Musiker ein großer Gewinn sich mit Jazz zu beschäftigen, völlig egal, ob er eigentlich in Pop, Klassik, Punk, Avantgarde oder Extreme Metal zuhause ist.) Die meisten Kompositionen dieses Albums haben sogar das Zeug, zu Hits zu avancieren und selbst gestandenen Classic Rockern mit solchem Schmackes die Lockenwickler aus der artifiziellen Dauerwelle zu katapultieren, dass erstere ehrfurchtsvoll kapitulieren. Ganz schön schweden-bitter für die in Ehren ergrauten Rocker bzw. sogar das Grauen für Omas Helden im Seniorenstift! So muss Musik klingen, die Herz und Hirn von Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher erreichen und nicht nur studierten Musikern Spaß machen soll.

greybeards.eu
Frank Bender



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