Satoko Fuji "Indication" (Libra Records 201-102, 2004)
Satoko Fuji featuring Paul Bley "Something About Water" (Libra Records 202-101, 2004)
Natsuki Tamura x Satoko Fuji "How Many" (Libra Records 102-103, 2004)
Junk Box "Fragment" (Libra Records 203-103, 2006)
Satoko Fuji Trio "Illusion Suite" (Libra Records 203-009, 2004)
Satoko Fuji Orchestra "South Wind" (Libra Records 215-104, 2004)
Satoko Fuji Quartet "Angelona" (Libra Records 204-014, 2005)

Satoko Fuji ist eine außergewöhnlich begabte Pianistin und Komponistin. Ihr Spiel ist voll Ausdruckskraft und Leidenschaft; ihr Ansatz hat die Härte von Rock, die Vitalität der Avantgarde, die Lyrik romantischer Klassik, die Schnelligkeit und witzige Melodieabstraktion improvisativen Jazz': Satoko Fuji spielt forsch, konkret, vital und kräftig; in anderen Momenten zart, zurückgenommen und mit feinem Gespür für intensive Melancholie. 1958 geboren, begann Fuji mit 4 Jahren Piano zu spielen. Bis zum Alter von 20 Jahren erhielt sie klassische Ausbildung und wechselte anschließend zum Jazz. Von 1985 bis 1987 studierte sie auf dem Berklee College of Music in Boston, USA, ging für 7 Jahre nach Japan zurück und studierte anschließend am New England Conservatory of Music, Boston weiter. Seit 1996 hat Satoko Fuji als Leader oder Co-Leader 29 CDs [!] eingespielt. Dabei kennt sie keine stilistischen Hürden, meistert Free Jazz und Avantgarde, freie Improvisation und Big Band, harten Rock, zeitgenössische klassische Musik, traditionelle japanische Folklore - und wandert zwischen allen Stilen umher.

Oftmals mit ihrem Ehemann Natsuki Tamura, aber auch solistisch oder mit diversen Musikern, so unter anderem dem Ruins-Trommler Tatsuya Yoshida und zumeist bekannten Namen aus dem improvisativen Jazz, hat Satoko Fuji beeindruckende CDs eingespielt. Auf Jazzfestivals ist die japanische Ausnahmepianistin ein gern gesehener Gast, hat auf vielen großen Jazzfestivals gespielt (und kommt 2006 auf 2-monatige Europa-Tournee [Oktober-November]). Die quicklebendige Musikerin ist zurückhaltend und still. Kann sie mit Tatsuya Yoshida in diversen Gemeinschaftsprojekten kreischen und schreien, dazu dramatisch wild auf die Tasten hauen und an den Saiten im Pianokörper zerren, so ist der Mensch Satoko Fuji eher von leiser Natur, von großem Ernst und konzentrierter Innerlichkeit.

Und doch kostet es sie keine Überwindung, in ihrer expressiven Musik voll aufzugehen. Kam eben noch ein schmaler Mensch leise auf die Bühne getreten, der (mit seinen Mitmusikern jeder) an seinem Instrument einen Augenblick in Stille verharrt, gibt dieser Mensch, Satoko Fuji, ein kurzes Zeichen und ein verblüffend kraftvolles und dynamisches, sofort erregtes und strenges Spiel hebt an. So geschehen auf dem Jazz Festival in Moers 2001, als das Satoko Fuji Quartet [Natsuki Tamura (tr), Satoko Fuji (p), Takeharu Hayakawa (b) und Tatsuya Yoshida (dr, voice)] mit immenser Energie startete und diesen hohen Level nicht einmal verließ.

Satoko Fuji ist Jazzmusikerin. Konventionelle Töne sind nicht ihr Antrieb. Wenn in einem Projekt Schlagzeug Teil der Arrangements ist, dann entweder schwer rocktypisch mit kraftvollem Rhythmusspiel und komplexer, differenzierter Spielweise, oder vollkommen abstrakt, als verwischtes, disharmonisches Klangbild. Fuji spielt Piano zumeist auf die Weise, für die das Instrument gebaut ist, sie kann ebenso jedoch in den Saitenkörper greifen, dem Corpus mit Schlägen und Hauchen Töne entlocken. Natsuki Tamura spielt auf ebensolche ungewöhnliche Weise Trompete. Er haucht hinein, bläst wie ein Sturm, lässt die Tasten schleifen, dass jammernde Töne aus dem Instrument steigen. Die Spielweise der Musiker ist tief verinnerlicht, nicht an Grenzen gebunden, die das Instrument herkömmlich bietet, sondern darüber hinausgehend auch weit über die eigentliche Nutzung mit Tönen und Tonfarben spielend, als Experiment, Improvisation; erfühlend, erspürend, probierend. Macht man sich den Hintergrund traditioneller japanischer Musik bewusst, harte tonale Ausbrüche, rhythmische Ekstase, meditative und eigenwillige Melodiesprache (als nur wenige offenbare Zeichen der Musik) schon in der klassischen japanischen Musik, ist zu verstehen, warum gerade dieses Land seinen Musikern die Scheu nimmt, radikal und frei zu musizieren, in den Augen Musikinteressierter außerhalb Nippons.

Die komplexeste Arbeit in der vielfältigen Musiksprache dürfte die Komposition an sich sein. Die Vorstellung von Musik und die Umsetzung in diese komplizierte Spielart. Und doch klingt jede CD Satoko Fujis flüssig, aus einem Guss, logisch und überwältigend vollständig, rund. Diese Frau hat immense Vorstellungskraft und das Talent, ihr Musikgefühl und ihre Phantasie in wirkliche Musik umzusetzen.

Die 9 solistisch eingespielten Tracks auf "Indication" (Mai bis September 1996 eingespielt) sind nicht Jazz, nicht zeitgenössische Klassik, es ist das Gespür Satoko Fujis aus dem Einfluss beider Stile. Sensible Harmonik und dramatische Improvisation sind in ihren Motiven erheblich ausgeprägt. Die meisten Stücke kommen mit gänzlich unaufregendem Spiel und wenigen Noten aus. Entfaltet sich eine Note, die bei weniger abstrakt denkenden und spielenden Musikern "blumig" zu nennen wäre, ist gerade hier der grundsätzliche Denkunterschied zu spüren. Denn nichts ist an den heiteren oder harmonischen, lebendig-fröhlichen Motiven ist blumig oder seicht zu nennen. Liegt das an der japanischen traditionellen Musik, die nicht im Ansatz mit europäischer oder amerikanischer Tradition zu vergleichen ist und vollkommen andere harmonische Empfindungen in die aus ihrem Einzugsgebiet stammenden Musiker gelegt hat?

Ganz anders klingen die bereits zwischen Dezember 1994 und Februar 1995 eingespielten Stücke auf "Something About Water", die Satoko Fuji ebenfalls im Alleingang eingespielt, aber zum überwiegenden Teil mit ihrem damaligen Lehrer an der Universität, dem New England Conservatory of Music, Boston, Paul Bley, komponiert hat. Wie Perlen rasen die Töne dahin, einander stoßend und antreibend, anmutig und forsch, mit humoristischer Note und doch tiefem Ernst. Das Spiel erscheint heiterer als auf "Indication", leichter und jugendlicher, ohne jedoch oberflächlich zu wirken. Fuji probiert an offensichtlicheren Einfällen, denen sie ihre eigene Note eingibt. Deftige Balladen und verspieltes kraftvoll-dynamisches Spiel klingen wie ein Spaziergang durch einen feuchtschweren Urwald, obschon es hell ist, wirkt es dunkel, der fremde Ort fordert dringende Aufmerksamkeit ein, nichts scheint bekannt und gewohnt.

"How Many" ist ein treffender Titel für die 14 eigenwilligen Tracks des zwischen September und November 1996 im Duett Natsuki Tamura (tr) und Satoko Fuji (p) eingespielten Albums. Nichts in den Stücken ist ohne "Fehler". Alles ist auf Fehler konzipiert, darauf, aus fehlerfreien Strukturen auszubrechen und "den Fehler" als Einziges gelten zu lassen. Satoko Fuji schlägt zwischen die Tasten oder auf eine ganze Leiste, stürmt über die Tastatur, wühlt die tiefsten Töne auf, schafft ein enormes Volumen, sprengt an das andere Ende in die Spitzen der Höhen und kratzt am Hörsinn mit enervierender und ausgiebiger Strenge. Das allein schafft einen expressiven Klang. Natsuki Tamura bläst Stürme auf seiner Trompete, dass die Töne gar schon aus dem Mundstück gepresst werden, während er mit den drei Tasten in wilder Folge die Ventile öffnet oder die Tasten halb drückt und so zwischen die Töne gelangt, was Pfeifen, Quäken, Kratzen, Schleifen und Puffen hervorruft. Fehler halt. Und doch ist jeder Ton, jeder noch so harsche Klang von harmonischer und musikalischer Sprache. Das Ehepaar spielt sich frei, während offene Hörer verblüfft und befreit zurückbleiben.

"Fragment" ist ein Avant Jazz Werk, das Tamura und Fuji mit dem Perkussionisten John Hollenbeck zwischen März und Dezember 2004 einspielten. Die drei Individualisten spielen völlig frei, dass es scheint, als improvisierten sie. Gewiss ist eine Menge improvisativen Gespürs in die Aufnahmen geflossen, jedoch sind alle Stücke von Satoko Fuji komponiert worden. John Hollenbeck spielt keinen eigentlichen Rhythmus, wie ihn andere Schlagwerker in Zusammenarbeit mit Satoko Fuji und Natsuki Tamura schon mal sehr heftig und rockbetont in Fujis Sinn einbringen. Trompete, Piano und Perkussion entwerfen verkratzt-rauschende Geräuschkulissen, die in absoluter Stille erwachen, um zu grandioser Lautstärke aufzubrechen. Der 5-minütige Weg dahin ist der Klang des zunehmenden Selbstvertrauens der schrillen bis sinnlichen Töne, der abrupt ein grandioses Ende findet ("at intersection, on a rainy day"). Andere Tracks sind weniger harsch und von intimer Raffinesse. Das Spiel der Töne ist die Suche nach neuem, ungebrauchtem Klang. Dieses Trio erweist sich als meisterhaft darin, unkonventionelle Wege abstrakt und gleichsam mitreißend zu gehen (und mitten hinein klassische Plattitüdenfragmente und quasi rocktypische Notationen einzufüllen - samt böswitziger und quälerisch lustiger Akkordattacken).

Das Satoko Fuji Trio, neben Fuji (p) Mark Dresser am Bass und Jim Black am Schlagzeug, hat im Juli 2003 die 4 Stücke der "Illusion Suite" eingespielt. Der Titeltrack erstreckt sich über weite 34 Minuten und hat ein vielfältiges Gesicht. Die Jazzlyrik des Beginns weicht harschen Tönen, heftigem Rock, schräger Improvisation und atonaler Avantgarde, um jedoch an kommunikativen Punkten zwischen den expressionistischen Ausflügen zum lyrischen Thema zurückzukehren (und erneut daraus aufzubrechen). Dresser und Black sind kongeniale Partner der Pianistin, einfühlsam, ausdrucksstark, von selbstbewusstem Spiel, dem es nicht an Expressivität mangelt. Die Strukturen scheinen aus Zufall gebastelt, für Ohren, die sich am freien Klang stoßen, ohne Sinn und Gehalt. Aber das ist ungewillte Unaufmerksamkeit. Eine ganze neue tonale Welt eröffnet die CD, und ist sie ins Innerste erschlossen, hat keine erschreckende Note der Unnahbarkeit, sondern zeigt hier und dort ganz konventionelle, und leicht "anhörbare" Strukturen.

Das geniale Werk "South Wind" (Juni 1997) ist eine Big Band Orgie, ein grenzenloses Besäufnis, ein mittelalterliches Schlemmgelage ohne jegliche Hemmung in den tiefsten, leidenschaftlichsten Farben, mit den innersten Abgründen. Das große Ensemble lotet die Untiefen der Motive hier im Jazz, dort im Heavy Rock extrem aus, es erscheint fast vulgär in seiner Lüsternheit und hingebungsvollen süffisanten Lebenstollheit. Rasant und gnadenlos, laut, harsch, wild und zerstörerisch ist die Musik. Und im nächsten Moment von fast kindlicher Naivität. Die emotionalen Bilder des Werkes sind wie ein Schlachtengemälde, wie die überdehnte Dekadenz eines pornografischen Lustschlosses, wie ein düsterer Keller voller Geheimnisse, ein Rausch der lebenslustigsten Träume. Dieser volle, fette Klang ist ein Sinnbild für Genießer, eine Völlerei der Extreme. "No More" und "I Don't Know", die beiden Tamura Kompositionen, sind der wilde und virtuose Rock, "Jet Lag", "The Seasons" und "South Wind" der abstrakte, freie Jazz. Ich wünsche mir, dieses Satoko Fuji Orchestra mit diesem Werk live zu erleben. Wenn bereits die im Studio eingespielte, konzentrierte Arbeit ein vollkommen intensiver und besonderer Genuss ist, wie erst muss ein die Band verzückendes Konzert anzuhören sein?!

Da muss selbst das dauerheftige Satoko Fuji Quartet den Vergleich scheuen. "Angelona" ist eine von mehreren Produktionen, die in der Besetzung Natsuki Tamura (tr), Satoko Fuji (p), Takeharu Hayakawa (b) und Tatsuya Yoshida (dr, Ruins) eingespielt wurden. Die 6 Stücke wurden am 11. November 2004 in Tokio aufgenommen und zeigen das Quartett von bester Seite, stilistisch spielt das Quartett dieses Mal eher Progressive Rock denn Jazz. Wirbelwind Tatsuya Yoshida ist wie stets nicht zu bremsen und fährt eine fast schon orkanartige Rhythmusschlacht, die differenzierter und komplexer kaum sein könnte, um diese Harmoniesprache noch ausdrücken zu können. Opener "An Alligator In Your Wallet" hat aus Rock die vitale Energie und aus Jazz die abstrakte Melodiesprache. Daraus wird dennoch nichts, was man Jazzrock nennen könnte. Die Sprache dieses Ensembles ist zu Eigen und abstrakt und mit dem, was Jazzrock bedeutet, wenig nur zu vergleichen (in Intensität und Tiefe und den lebhaften Unisono-Attacken). "Collage - in the night" ist vielleicht das insgesamt kommerziellste Motiv aus der Feder Satoko Fujis überhaupt, ohne jedoch konventionell zu klingen. Die Note erinnert an Carla Bley oder Mike Westbrook; Piano, Bass und Schlagzeug entfachen eine wunderschöne Stimmung, auf der neben der Trompete auch alle anderen Instrumente improvisativ solieren. "A Poor Sailor" hat Frische und Witz und könnte fast von einem vergessenen Jazzwerk aus der Mitte der 70er stammen. Zwei Motive ergänzen sich, Rhythmusverschleppungen und motivische Forcierungen bringen Dynamik und Spielwitz in das Motiv, das nach knapp 6 Minuten viel zu schnell am Ende ist. "Cicada" ist als vorletzter Track der Höhepunkt der CD. Die Intensität und rockbetonte dynamische Variabilität der Komposition ist der abstrakteste, atonalste "Song" auf der CD. Das Quartett spielt mit dem Motiv, wirft es hin und her und zerfledert es dabei stark, bis es sich schließlich der Note annimmt und einmal mehr leidenschaftlich intensives Musizieren zelebriert.

Die hier gelisteten 7 CDs sind nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Katalog Satoko Fujis. Die Aufnahmen waren in letzter Zeit schlecht verfügbar beziehungsweise ausverkauft, so dass Fuji und Tamura die Aufnahmen gemastert auf ihrem Label Libra Records neu veröffentlichen. Nicht Jazzfans und Avantliebhabern allein seien diese CDs wärmstens ans Herz gelegt. Als Schule für Avant Prog Freaks sind die Veröffentlichungen ganz besonders geeignet.

http://www2s.biglobe.ne.jp/~Libra/
VM



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