Finland "Rainy Omen" (Hubro Music 24.04.2015)


Das Beste, was über diese Musik gesagt werden kann, ist, dass sie ungewöhnlich und eigenständig ist. Einschränkend muss angefügt sein, dass der Ungewöhnlichkeitsfaktor nicht absolut ist, wie ebenso die Entfernung von Mainstream als Maßstab für Eigenständigkeit relativ ist.
Und das soll das Beste sein?
Finland beginnen den 5-Song-Reigen "Rainy Omen", diese typisch skandinavische Melancholie-Angelegenheit, recht verwoben und lyrisch, zart und romantisch. Dazu schräg und avantgardistisch, holpern die charmanten ersten Minuten anschaulich dahin. Stilistisch kommt hier einiges zusammen: beschauliche Fahrt mit der Kleinbahn von Dorf zu Dorf, Indianergetrommel, simples, aber cleveres Drücken auf Knöpfe, die lustige elektronische Klänge erzeugen, dezent Groove-betonte Lasziv-Träumereien mit simpler E-Gitarren-Begleitung auf ansprechend skandinavisch folkloristischem Motiv. "Dust Drive" als 4 Minuten kurzer Opener will noch nicht der kantig ausgefallene Alternative Folkrock sein, der sich als kratziger Minimalrausch alsbald anschließt.
Die elektrische Gitarre mag den Sound, den der sanfte Countrysänger bevorzugt; klare, einsame Töne, darüber nur Himmel und Sterne. Die Band schunkelt Kleinbahnrhythmen, Electronics schwelgen im Off, der Bass hat die beste und aufwendigste Position, die Gitarre erzählt von Einsamkeit und Einssein mit der Weite, das Arrangement kommt ansprechend wie entspannend. Die 7 Minuten des "George Lumineux" können Filmmusik für Fernfahrerfilme sein. Langer Straße gerades Band, viele Minuten pulsierende Ambient-Country-Folk-Rock - Lyrik zieht den Jahrhundertweg. Nüchtern ist anders, diese Verführung hat ihre Qualität. Wach bleiben ist indes angesagt, die Straße ist lang.
"Magnetic Sail" schwelgt über 5 Minuten in Stahlseilromantik. So klingen die Seile der Bergbahn, wenn der Wind sie bewegt. Metallische Geräusche, und darüber zieht nur die Countrygitarre ihre Slides. Der Rhythmus schleppt sich von Akkord zu Akkord und schöner baumelten Beine noch nie. Naturbetrachtung zu dieser Musik ist Therapie, doch auch Schlachtengetümmel wäre nur ein entspannter Spaß. Schlaftabletten? Nein, dies will zu Ende gehört werden, was fällt Finland danach ein?
Im Übrigen ist nicht die ganze Bevölkerung an der Einspielung beteiligt gewesen, nur 4 Jungs haben sich den Namen zu Eigen gemacht, der indes nur eine romantische Aneignung ist. Das Quartett wohnt gegenüber, und noch eins weiter. In Norwegen.
Mit dem vierten Stück sind Finland dann endlich da angekommen, wo sie zu Hause sind. Im Alternative Rock. Schnoddrig coole Gitarre schrappelt ein nonchalantes Motiv, das Schlagzeug wird wach und arbeitet aktiv und impulsiv mit, der Bassmotor ist ins Stoische gelaufen und monotonisiert den Background warm und voluminös. Electronics schwelgen über die große graue Kahlfläche. Es fehlen 5 Sekunden, dann wären die Jungs bei 14 Minuten angekommen, als sie ihre vitale Herzensangelegenheit in den letztlichen Höhepunkt treiben. Die stete Wiederholung mit minimalen Verschiebungen ist eine parallele Querstrebe zur Minimal Music, ohne dieser kompositorisch besonders nahe zu sein. Eine Leihgabe. Das Kratzen, Blubbern, Kochen und Grummeln geht in Minuten und erfährt in der stoischen Bewegung das Arbeiten der Garküche als Erlebnis für den ganzen Zuhörer. Trotz der Wucht bleibt die Angelegenheit für das Publikum, das nicht in hypnotische Trance verfällt, recht trocken und flach. Alternative Rock erfährt hier seine, siehe oben, ungewöhnliche und eigenständige Besonderheit und gleichzeitig die Erfahrung seiner Grenze: die Möglichkeit des Genres sind begrenzt, noch begrenzter sind die Rauscherfahrungen der Zuhörer. Mehr davon, und es wird fad. Finland präsentieren den kleinen wissenschaftlichen Exkurs mit dem Ergebnis. Besonders besonders wird es hier einfach nicht. Es bleibt einfach relativ normal. Hört sich an, wie es draußen aussieht. Wer dabei an Finnland oder Norwegen denkt, riesige Urwälder im Sinn hat, dem hat sich die Illumination erschlossen. Wer triste Industrie und Großstadtruinen sieht, und dies für romantisch hält, erfährt wohl ebenso seinen inneren Anstoß. Ich sehe eher grau in grau. Und obschon dies ebenso eine interessante Erfahrung sein kann, die für mich nur im Bass-Part liegt, weist das Album "Rainy Omen" eher daraufhin, das minimale Kompositionsanstrengung nicht durch Dauerfeuer über weite Minuten besser wird. Die Größe der Songs steckt hinter dem eigentlichen Musikmuster, gewiss. Und der schließlich durchbrechende Krach, wenn die Band sich im Höhepunkt der Minimalorgie selbst überholt, hat seine Momente. Aber die lange Strecke dahin will absolviert sein. Der polnische Komponist Gorecki hat in seiner "Symphony No. 3" Ähnliches bereits vollbracht. Die Erfahrung dieser Musik ist interessant, bringt aber mit sich, dass der erkennende Zuhörer im Anschluss den Deckel zumacht und nie wieder ambitioniert sein wird, ihn zu öffnen.
Weitere und letzte 8 Minuten zieht der Titeltrack als lichter Muskelkatersong dahin. Nach der langen, zuletzt heftigen Strecke muss mantrischer Gesang dienen, die fehlenden Kräfte der Band zu ersetzen. Grandios, wie die Band ihren Song dahinschleppt; müde, erschöpft, leer. Die Atmosphäre birgt Faszination. Die Gitarre schrammelt im Alternative Rock-Stil, Schlagzeug hoppelt die Kleinbahn, Bass monotonisiert, Electronics kratzen und fiepen im Off und 4 helle Jungsstimmen probieren das Mantra: "for a rainy omen".
Da ist zuletzt eine Parallele, die weiterreicht, als alles zuvor. "Rainy Omen" erinnert mit seinem mantrischen Gesang an John Coltrane's "A Love Supreme". Und diese Parallele gefällt mir nur gut.

1. Dust Drive (04:04)
2. George Lumineux (07:03)
3. Magnetic Sail (05:07)
4. No Low Voices (13:55)
5. Rainy Omen (08:05)

Pål Hausken: Drums, percussion, vocals
Morten Qvenild: Piano, electronics, programming, vocals
Jo Berger Myhre: Bass guitar, baryton guitar, electric guitar, vocals
Ivar Grydeland: Electric guitar, banjo, pedal steel guitar, lapsteel, acoustic guitar, vocals

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VM



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