Marco Fernandes, Hans Fjellestad, Haco, Jakob Riis "Haco Hans Jakob Marcos" (Accretions Records 2006)

Das illustre Quartett hat diese Aufnahmen bereits im Mai 2003 gemacht, in Tijuana, Mexiko. Marco Fernandes spielt Schlagzeug und Perkussion, Hans Fjellestad Synthesizer, Haco ist an Electronics und Spielzeug aktiv und bringt Töne mit ihrer Stimme ein, Jakob Riis bedient den Laptop.
Die 4 Musiker beackern das weite Feld der improvisativen freien Musik. Es gibt keine stilistischen Vorgaben, keine Grenzen, es sei denn, die der eigenen Inspiration. Kein Ton der 5 ausgedehnten Tracks der CD ist 'gewöhnlich', kein Instrument gibt 'herkömmliche' Töne wieder. Die Spielweise, die Intimität der Einspielung, die Intensität der Sounds und der Musiksprache - nichts ist 'normal'. Die vier Avantgardisten haben ihre eigene Art, Instrumente zu bedienen, Töne und Stimmungen zu finden, forcieren und verebben zu lassen, um neuem, aus soeben empfundenen und gespielten Improvisationen entstandenem Klang Ausdruck zu verleihen. Äußerst interessant ist dabei nicht nur der letzliche Mix der Aufnahmen und das Arrangement der Instrumente, sondern auch, welches Instrument gerade im Vordergrund arbeitet, während andere im Off hantieren oder unterstreichende Sounds einbringen. Dabei ist kein Musiker stets mehr im Vordergrund; wie die Stimmungen und schwellenden Sounds wechseln, so arbeiten sich auch verschiedene Instrumente mit ihrem typischen Ausdruck vor. Hin und wieder kann es passieren, dass das Quartett gemeinsam an der (a)tonalen Front steht und ein komplexes Gewirr hektischer Töne erzeugt. Das sind die emotionalen Höhepunkte, die als Krönung des introvertierten Spiels erreicht werden, wenn die Spannung der intensiven Soundtracks in freien Höhen explodiert. Alle 4 Musiker zeigen ein großes Gespür für vitale, intime und eindrückliche Klänge, zudem gehen sie sensibel aufeinander ein und loten Klangweiten aus, die in der Form noch nicht zu hören waren. Und doch gibt es gewisse Parallelen.
In den Tracks "crawl", "speak" und "glow" erinnert das Quartett an die ersten drei LP-Seiten von "Ummagumma", dem exzellenten Psychedelic-Avantgarde-Werk Pink Floyds. Da sind gar einige konkrete Parallelen auszumachen, wenn "Ummagumma" an sich auch deutlich konventioneller ist. Die Stimmung und das Flair sind verwandt wie einige technische Licks.
Die 5 Tracks sind jedoch allen populären Stilen gleich fern. Weder wird hier Jazz oder Rock gespielt, noch Elektronik. Zwar leben die Töne aus diesem Pool, sind in ihrer Menge aber etwas ganz Neues, eben freie improvisative Musik.
Am faszinierendsten in allen Stücken ist die 'Leere', aus der sich die Instrumente Töne ziehen. Es scheint, als rausche der Hintergrund. In der weiteren Entwicklung entpuppt sich das als Klang des Laptops, der dem Fehlen jegliches Tones in den Millisekunden zwischen den Tönen das Rauschen entgegensetzt und die Stille greifbar macht.
Sich dem Werk zu nähern, braucht man keine großen Hürden zu nehmen. Laut und dramatisch wird das Quartett selten, zumeist wird ein sphärisch-stilles Flair entworfen, das eine ganz eigene Harmonik hat, die ansprechend und auf ihre Art unterhaltsam ist. Wie bei allen Werken von Accretions gilt: nur wer wagt gewinnt. Aber das gilt, wie jeder weiß, hier wie überall.

accretions.com
VM



Zurück