Factor Burzaco "3" (AltrOck 2014)


Akustikgitarre und Mädchenstimme im ersten Song. Welche Fehleinleitung! Doch schon, wie 'komisch' sich das Ding von Song entwickelt sagt, dass hier etwas nicht stimmt. Nix Folk, nix Mädchenpop. Kein Allerweltskram. Verrückte Musik für schräge Vögel. Der Avantgarde Rock des zweites Stückes "La Vera Storia Di Tristan O." mit Hinwendung zu Neuer Musik hat dann längst alle diejenigen verjagt, die auf der Suche nach Mädchenpop waren.
Nur: die werden sich hierher wohl niemals verirren. Der Scherz des ersten Stückes ist dann wohl doch für die richtige Zielgruppe gedacht. Und die fragt sich: muss das sein?!?
Im Anschluss wird die Musiksuppe gut gewürzt grandios hoch gekocht. Das rein instrumentale "...Tristan..." ist sehr fein komponiert, hat keine flachen Strecken, keine Schwachstellen, sondern sehr ansprechend und eigenwillig komponierte Struktur, die etwa die Komponenten aufweist, wie es im Presseblatt steht. Parallelen zu Thinking Plague, Henry Cow und zeitgenössischer Musik sind stark ausgeprägt - und doch ahmen Factor Burzaco nichts nach und spielen einen sehr eigenen, RIO-progressiven und nicht leicht nachvollziehbaren, für Freaks dieser Schule höchst erfüllenden Sound, der ebenso komplexe Avantgarde wie frisch knackiger Rock sein kann. Quasi ohne Pause fügt sich "Evasión Imposible" an und wieder - dieser eingängige Mädchengesang. Was soll das? Die Dame hat eine leicht quäkige Stimme, in Stimmumfang kaum ausgeprägt, partiell überreizt mit dezentem Spurausfall. Als Kontrapunkt zum instrumentalen Ensemble bringt sie zwar facettenreiche und 'verrückte' Ideen ein, zeigt inspirativen Charakter, kann mich aber insgesamt nicht überzeugen - wenn einige ihrer Stimmbeiträge auch gut schräge Akzente setzen.
Den besten Sologesangsbeitrag, in "Arnoldturro", bringt Maricel Alvarez ein. Ihr gesprochener, kunstvoller Einsatz ist schlicht großartig. Was sie singt, worauf es beruht - testet es! (Lest auf den Babyblauen Seiten Jochen Rindfreys und Achim Breilings Texte: babyblaue-seiten.de/index.php?albumId=14082&content=review.)
Wahrhaft verrückten (Chor-)Gesang liefern "LAS" und "SOGA" - beide Stücke sind fern jeder Idee von Rockmusik. Stilistisch schwer zu fassen, empfinde ich beide Kompositionen als neumusikalische Kunst - die perfekt in den Kontext des Albums passt: extravagante, hochkomplexe und technisch ausgefeilte Komposition zwischen Rock und Neuer Musik (oder Ernster Musik, Neoklassik, zeitgenössische Musik) pendeln zu lassen und aus beiden Polen starke Argumente zu ziehen. Factor Burzaco beweisen mit ihrem dritten Album wie bereits zuvor erneut ein ausgeprägtes Gespür für spannende Komposition, ausgefallene instrumentale und vokale Idee, die nicht vorhersehbar oder leicht eingängig sind. In "En Tránsito/Asudep Mal" wächst aus der zerfahren sphärischen Harmonik der ersten drei Minuten plötzlich grooviger Jazzrock mit exzellent epischer Note - der nur perfekt passt und disharmonisch schwebende Bläserfiguren auf starkem, treibenden Rockrhythmus präsentiert. Das könnte live sehr lang und weit ausgeführt werden und die Meute im Auditorium wie die Musiker auf der Bühne in verzückte Trance versetzen.
"Inter Dicción" zeigt Carolina Restuccia von ihrer besten Gesangsseite. Verspielt, leicht intoniert, mit starken, gezogenen Schlenkern ist der Gesang hier grandios. Nicht weniger die Band, die Gentle Giant kammermusikalisch reorganisiert. Nicht weniger der Rockanteil, der satt und straff voranpirscht und die große, schwere Harmonik ungeahnt rocken lässt. Im späteren "Soga Func" wird so etwas wie die Idee von Thinking Plague zu Jazzfunk, der fett groovt, schräge Betonungen setzt, mittendrin lethargisch bricht, ganz andere Energie aufnimmt und Carolinas Stimme ein weiteres Mal herausfordert, bis sie zeigt, was sie wirklich kann: hart und laut Rocksingen. Was für eine Nummer! Purzelbaumschießen von einer Schublade zur anderen. Mehr davon!
Nach den 9 ersten Verrücktheitsstudien in Sachen Avant Prog folgt zuletzt das 14:13 Minuten lange "Silicio". Sehr eigenständig, TP-bezogen, hier und da mit zappaesker Note, wandert der Song durch seine Komposition mit Gebirgscharakter. Nichts ist vorhersehbar, nichts bleibt stetig gleich. Die exzellente Rhythmuscrew arbeitet gleichberechtigt im melodischen Arrangement mit. Marimba und Vibraphon, in allen Songs stark präsent, Bass und Schlagzeug sind die eine Basis, die andere sind die schwebend schrägen Bläser, harte Rockakzente setzt die elektrische Gitarre, während die akustische elegische Partien zieht.
Nur unbedingt!
Trotz der (meines Erachtens) kleinen Gesangsmacken ein exzellentes, großartiges Avantgarde Album. Das ist Progressive Rock der Zukunft. Kann ich nur hoffen.
Meisterwerk - - -

altrock.it
VM



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