Abgesang nach 15 Jahren

Die Art, die letzte "andere" Band, löst sich auf


"Was dir bleibt ist ein Abgesang, Sternenregen lebenslang." So sang Die Art 1995 auf ihrem fünften Album "Das Schiff". Und im gleichnamigen Song heißt es: "Ein Schiff geht auf die Reise, kommt niemals zurück". Abschied, Trauer, Endzeit - Themen die in den Liedern von Die Art immer wiederkehrten. Ende diesen Jahres wird nun auch die Band Abschied nehmen. Abschied von den Bühnen dieses Landes, vor allem aber von einer großen und treuen Fanschar. Die Art lösen sich auf. Ende des Jahres 2001. Für immer!
Die dunklen Seiten des Daseins waren schon immer zentrales Thema in den Texten der Band. Aus der Feder von Sänger Makarios klangen sie aber nie oberflächlich oder plakativ. Er vermochte es, den Worten, und damit den Liedern, eine Seele zu geben. Alles in Frage zu stellen, war und ist sein Anliegen. Lyrisch und poetisch, kritisch und aggressiv, romantisch und melancholisch, mit vielen Doppeldeutigkeiten und Interpretationsspielraum, aber immer mit einer Aussage. Gegründet 1986 in Leipzig, war letzteres besonders in den ersten Jahren des Bestehens ein Balanceakt. Denn der argwöhnische DDR-Staatsapparat wachte auch über die Rockmusik. Und wer, wie Die Art damals, auch auf Englisch sang, war von vornherein suspekt. Wahrscheinlich war das ein Grund dafür, dass Makarios (Gesang), Christoph Heinemann (Bass), Thomas Gumprecht (Gitarre) und Dirk Scholz (Drums) schon bald zu Untergrund-Ikonen der DDR wurden. Sie erspielten sich schnell eine wachsende Fangemeinde und wurden vom Radiomoderator Lutz Schramm für seine Sendung Parocktikum auf dem Jugendsender DT64 entdeckt. "Sie sagte" avancierte dank Radioeinsatz zum Hit und gelangte auf die erste Parocktikum-LP "Die anderen Bands". So bezeichnete man die erstarkte Independent-Szene der DDR. Es herrschte Aufbruchstimmung, weniger politisch, sondern vielmehr künstlerisch motiviert. Bands wie Die Art, Feeling B, Skeptiker und Sandow waren die Vorreiter dieser Szene. Zu ihren Konzerten kamen Punks, Grufties, Leute, die die Schnauze vom aufgeblasenen DDR-Rock a la Karat oder Puhdys genauso vollhatten, wie die Musiker der "anderen Bands".
Immer auch dabei die Leute von "Horch und Guck", der Stasi. Denn was sich auf diesen Konzerten an Musik abspielte, passte so gar nicht zu den Idealen einer sozialistischen Kultur. Und auch das Publikum war der Obrigkeit suspekt. Irokesenfrisuren und zerrissene Jeans, schwarze Gewänder und Ketten mit Kreuzen - das sollten die Erbauer des Sozialismus von Morgen sein? Doch steter Tropfen höhlte den Stein. Gegen Ende der 80er Jahre schossen immer mehr solcher Bands aus dem Boden, die ein immer größeres Publikum erreichten. So ließ man die Szene weitgehend gewähren. Zu Drangsalierungen kam es trotzdem. Konzerte wurden verboten. Wenn die Band zur Erlangung ihrer Auftrittslizenz vorspielen musste, gab es Probleme wegen der Texte. Als man Die Art 1989 einen Plattenvertrag beim einzigen DDR-Label Amiga anbot und die Musiker ihre Texte zur Zensur vorlegten, kam es zum Eklat. Der Text zu "Wide Wide World" (the earth is round, the world is wide and here it's grey in grey, grey in grey is our city but I want to see the colours of the world) wurde als Aufforderung zur Republikflucht interpretiert und sollte nicht auf die Platte kommen. Die Art schlug darauf das Angebot Amigas aus. Gut zwölf Monate später, im Jahr der Wende, erschien das Debütalbum "Fear" doch bei Amiga, die sich jetzt Deutsche Schallplatten GmbH Berlin nannte. Mit auf dem Album ist "Wide Wide World". Elf Jahre später sind Die Art die letzte noch existierende "andere Band". Acht Alben haben sie veröffentlicht, die gut 100.000 Mal verkauft wurden und an die tausend Konzerte haben sie im In- und Ausland gegeben. Besonders im Osten wird die Band als Kult verehrt. Gründe gibt es dafür viele. Sänger Makarios sieht vor allem die Rätselhaftigkeit der Band selbst als Hauptgrund. Privat sind die Musiker nie richtig befreundet gewesen. Und doch gab es nur zwei Line-Up-Wechsel in 15 Jahren. Nach dem Debütalbum kam mit Thomas Stephan ein neuer Schlagzeuger und vor zwei Jahren trennte man sich von Bassist Christoph Heinemann. Musikalisch ließ sich Die Art nie in eine Schublade stecken. Kein Album klang wie das vorherige. Ließen die erste beiden Platten "Fear" und "Gold" noch deutliche Punk-Einflüsse erkennen, war Album Nummer drei "Gift" eine reine Wave-Produktion. "But", die vierte Veröffentlichung, war wieder deutlich härter. "Das Schiff" brachte alte, bislang unveröffentlichte Die-Art-Songs zutage, bevor die Alben "Still" und "Adnama" die dunklen Seiten in den musikalischen Focus rückten. Auch eine feste Szenezugehörigkeit war bei Die Art nie festzustellen. Was sich viele andere Bands wünschen, sieht Die Art im Nachhinein mit Wehmut als Heimatlosigkeit. Dabei fühlten sich besonders Makarios und Gitarrist Thomas Gumprecht zur Gothicszene hingezogen. Denn gerade Makarios' dunkelromantische Lyrik passte genau in diese Bewegung. Eine Lyrik die von dem Sänger so empfunden wird. Bei ihren Bandkollegen stieß das aber nicht auf Gegenliebe. So gab es nie eine klare Aussage diesbezüglich. Ein Fehler, wie Makarios heute zugibt. Aber hier wird deutlich, dass ein Riss durch die Band ging. Bereits 1993 bei den Aufnahmen zur dritten CD "Gift" gibt es bandinterne Unstimmigkeiten. Doch der Erfolg, speziell auf den vielen Tourneen der Band, kittet die Risse wieder. Vorläufig.
Drei Jahre später, man ist dabei das Album "Still" aufzunehmen, versteht sich die Band auch räumlich nicht mehr. Bassist und Schlagzeuger spielen ihre Parts darauf in einem Berliner Studio ein, Gesang und Gitarren werden in Leipzig aufgenommen. Die Aufnahmen werden hin- und hergeschickt und nachdem die Leipziger Fraktion den Endmix der Berliner verwerfen und neu mischen, ist die Machtprobe entschieden. Drei weitere Jahre später verlässt Bassist Christoph Heinemann die Band. Makarios und Thomas Gumprecht nehmen die Fäden allein in ihre Hände. Aber die Hoffnung befreit weiterzumachen, erhält bald den nächsten Dämpfer. Der neue Bassist verstärkt nur die vorhandenen Probleme. Müde vom ständigen Kampf gegen zwei Bandkollegen, die nur halbherzig bei der Sache sind, beschließen sie Die Art aufzulösen. Eine Abschiedstour, noch mal mit einem neuen Bassisten, soll einen schönen Schlusspunkt auf 15 Jahre Bandgeschichte setzen. Die beiden allerletzten Auftritte in ihrer Heimatstadt am 21. und 22. Dezember werden mitgeschnitten und als Live-CD veröffentlicht. Diese gibt es aber nur auf Vorbestellung oder auf der Band-Homepage www.die-art.de. Für die Zeit danach ist bereits ein neues Projekt in Planung. Denn sich zur Ruhe setzen, kommt für Makarios nicht in Frage. Zu viel Energie und Ideen stecken noch in dem Leipziger, der vor kurzem seinen zweiten Lyrikband mit Begleit-CD veröffentlicht hat. Und um sich nur noch selbst darzustellen und mit den "ollen Kamellen", wie er selbst es nennt, auf "Greatest Hits Tourneen" zu gehen, ist es dem Sänger noch zu früh. Diese Option hält er sich offen, sollte man in zehn Jahren kreativ ausgebrannt sein.
Die Fans von Die Art werden sich nun mit dem Ende ihrer Lieblingsband abfinden müssen. Einer Band die soviel erreicht hat, ohne die Bodenhaftung zu verlieren. Der ganz große, vor allem auch kommerzielle, Erfolg blieb ihnen zwar nicht vergönnt. Aber auf den hatten sie es sowieso nie abgesehen. Szeneübergreifend hat Die Art aber einen Status erreicht, von dem viele Bands nur träumen. Sie wird in guter Erinnerung bleiben, wenn manch anderer Name längst vergessen ist. Als Sternenregen, lebenslang.
 
Lars  



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