Cross "the thrill of nothingness" (Progress Records, VÖ: 10.11.2009)

Eigentlich sollte "the thrill of nothingness" bereits im Mai 2007 in den Progressive Rock Läden dieser Welt stehen. Doch Hansi Cross, Kopf der Band und des Progress Records Labels, erlitt kurz zuvor einen Hörsturz und damit einhergehend einen schrecklichen Tinnitus (jeder Tinnitus ist schrecklich, mancher nur schrecklicher), der lange Zeit anhielt, ihn hypersensibel gegen Klänge aller Art machte und die Arbeit am CD-Projekt abrupt beendete. Musik konnte Hansi Cross nur noch auf einem sehr leisen Level hören.
Zwei Jahre später konnte er in kurzen Sequenzen anfangen, das Projekt weiter zu betreiben. 30 bis 40 Minuten drei Mal in der Woche begann er, sein Gehör war zu 75 bis 80% wiederhergestellt, an den restlichen Aufnahmen zu arbeiten. Fehlende Vokalparts, die er unter Nutzung von Kopfhörern einsingen konnte, und dabei die Musik so leise stellte, dass er sie, während er sang, kaum bis gar nicht hörte, wurden in den letzten beiden Monaten der Produktion an bis zu drei Stunden am Tag erledigt.
Hörsturz und Tinnitus sind immer schreckliches Leid, doch wenn es einen Musiker trifft, der zudem Labelinhaber ist, birgt das die konkrete Gefahr des Verlustes des finanziellen Einkommens in sich, und viel mehr noch die grausige Möglichkeit, die eigene Kreativität nie wieder vollkommen ausleben zu können.
Glück im Unglück, dass seine Gesundung wenn auch über einen langen Zeitraum überwiegend positiv verlaufen ist, und seine kreative Arbeit ihr Ventil nicht verlieren musste.
Das neunte Album des Bandprojektes steht ganz in der logischen Folge von "Secrets" (2000) und "Playgrounds" (2004).
Der eingängig-sanfte Neoprog hat einige Ecken und Kanten bekommen, klingt deutlich kräftiger und wärmer, mehr nach den 70ern und zeigt Retro-Einflüsse, die vordem nicht so stark und treibend gewesen waren. Immer noch ist Cross ein Neoprog-Unternehmen, das eher sanfte, lyrisch-symphonische Songs spielt, die aber, selbst im groovebetonten, Alan Parsons Project verwandten Neunminüter "Chameleons" weitaus weniger poppig sind als im Genre üblich und in langen instrumentalen Passagen recht deftige und bisweilen gar schräge Motive auffahren, disharmonische Einbrüche und rhythmische Verschiebungen probieren, die für die kreative Inspiration der Band und vor allem ihres Kopfes sprechen.
Tomas Bodin hat für das die CD abschließende "eternity", das sich als zweiter Longtrack über 11 Minuten (12:20) ausweitet, ein Minimoog-Solo beigetragen, überwiegend jedoch sind Genesis-verwandte Keyboardsounds, wie sie auf "A Trick Of The Tail" oder "Wind & Wuthering" zum Einsatz kamen, zu hören, die den eingängigeren, stark Genesis-lastigen Vokalparts den schweren Background und in langen instrumentalen Ausflügen solistische Partien geben. Weiterer kreativ umgesetzter Einfluss: Pink Floyd (in der "Wish you were here" Phase).
Der Rhythmus, von Thomas Hjort exzellent und stets erheblich komplex getrommelt und von Lollo Andersson mit Tauruspedals und melodischem Bass groovig und fett unterstützt, ist perfetto und bringt den nächsten Unterschied zur poppigen Seite des Neoprog. Göran Johnsson (keys, perc, back-voc) und Hansi Cross (g, lead voc, back voc, key) haben ihre Parts sehr dynamisch und emotional tief ausgewogen eingespielt, und beziehen sich im melodischen wie dynamischen Spiel auf die klassische Symphonic Phase.
Toll komponiert und schöngeistig eingespielt, wird das Album, lang ersehnt, seinen Erfolg in der Szene feiern. Avantgardesüchtige und Jazzrockjünger bestaunen indes den herbstlich verwunschenen Bodden hinter dem bunt gefärbten Garten.

progressrec.com
VM



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