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Graham Collier "Workpoints" (Cuneiform Records 2005)
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The Golden Age Of British Jazz. Da wurde von einer neuen Renaissance gesprochen, von der Ära der Jazz Komponisten, einer ganzen Kompanie von Jazzkomponisten, die große Jazzwerke schrieben und mit großen Ensembles spielten. Vom tiefen Gespür der Improvisation, von Synkopen und Spontaneität, von aufwändigen, soliden Strukturen mit ansteigender Spannung. Und von dem Architekten dieser Renaissance: Graham Collier.
Cuneiform Records präsentiert mit "Workpoints" gleich zwei Konzerte des Komponisten, Bandleaders und Bassisten Graham Collier. CD1 ist mit "Workpoints" übertitelt, enthalten ist ein Konzert von März 1968, aufgenommen in Southampton, England. CD2, "Live in Middleheim" benannt, wurde im August 1975 in Middleheim, Belgien, aufgezeichnet.
Über 7 Jahre liegen zwischen beiden Konzerten und das ist deutlich zu hören. Das Konzert von 1968 ist in großer Besetzung aufgenommen worden: 9 Bläser, Vibraphon, Bass, Schlagzeug, darunter Leute wie Kenny Wheeler, Harry Beckett, Henry Lowther, John Surman, Karl Jenkins, Mike Gibbs und John Marshall (letzterer am Schlagzeug), die mit eigenen Werken oder für ihre vielen Engagements bekannt wurden. Das 18-minütige "Deep Dark Blue Centre" macht den Auftakt und der Unterschied zum amerikanischen Jazz ist sofort zu spüren. Die organische Verzahnung der Band, die reichhaltige Struktur, die intime Atmosphäre, die zurückgenommene Energie und intensive Spannung sind Ausdruck europäischen, britischen Jazz, kulturell gewachsen aus der Klassik, gebettet in ernsthafte, komplexe Musiksprache. Im anschließenden "The Barley Mow" sowie dem folgenden 4-teiligen "Workpoints" geht das Ensemble wie schon im ersten Track die Themen vielfältig und differenziert an. Solisten haben weiten Raum, die fast stets über 10-minütigen Tracks zu bespielen, da sind außerordentliche Bandimprovisationen zu hören, die längst nicht free sind, sondern von heftig komplexer Struktur und einer inneren Verbundenheit, wie sie im amerikanischen Jazz in der Form nicht zu hören waren. Faszinierend ist die Musik insgesamt, mit der leidenschaftlichen Präzision in den aufgefächerten Soli, dem Engagement in den Improvisationen und der allgemeinen, steten Souveränität.
"Live in Middleheim" wurde 1975 in kleiner Gruppe gespielt. Harry Beckett und Art Themen sind die einzigen Bläser, Ed Speight (g), Roger Dean (nicht der!, p), John Webb (dr) und Graham Collier (b) entwerfen dieselbe Stimmung, dieselbe Magie wie auf CD1. Die 8 Stücke, darunter 4 Teile des 5-teiligen "Darius" (Teil 2 wurde auf Platzgründen weggelassen) sind trotz der Gitarre vollkommen im Jazz aktiv, selbst die teilweise recht rocktypisch klingende und heftig solierende Gitarre. Die Arrangements sind wieder von dieser mordsmäßigen Eleganz und verschrobenen Intimität, voll aufgeweckter Lust und ausgiebiger Sucht gespielt. Die Band arbeitet sich in einen Rausch und zieht den Hörer mit. Absolut perfekt, diese dekadent ausgezeichneten Kompositionen, dieses Ensemblespiel, die handwerkliche Meisterschaft und reiche Klangfarbenpalette.
Der Sound auf CD1 ist sehr gut, auf CD2 lässt das leider etwas nach, da klirren Nebengeräusche aus den Boxen und ist eine gewisse Mattigkeit und Dumpfheit auszumachen, jedoch ist der musikalische Genuss dadurch nicht verdorben, ohne Anstrengung ist die faszinierende Musik zu erfahren. Wer jedoch nur ausgezeichneten Klang verträgt, muss auf den Genuss von CD2 verzichten.
Große Empfehlung, auch trotz des eingeschränkten Klanges auf CD2, für diese brillante Produktion. Not to be missed…
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VM
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