Breznev Fun Club "Il misantropo felice" (AltrOck Productions 06_2015)


Es ergab sich, dass zur gleichen Zeit, als "Il misantropo felice" von AltrOck ins Haus flatterte (danach kam so gut wie nichts mehr - Poststreik), die 5CD-Box "the ligeti project" in meinen Besitz kam und den CD-Player sowie angemessen Zeit beanspruchte, wie dies der Breznev Fun Club gleichermaßen tat. Fatal? Nein. Die Parallele beider Komponisten, György Ligeti und Rocco Lomonaco, ist Frank Zappa. Marginal oftmals nur, aber in der Tat oftmals deutlich und offensichtlich. Gewiss orientiert sich György Ligeti nicht an Frank Zappa, aber Zappa an Ligeti, und Lomonaco wohl ebenso, zudem an FZ. Interessanter Vergleich, sind doch FZ, Breznev Fun Club und György Ligeti musikalisch wenig verwandt. Doch alle drei gewiss für Avantrock-Freunde sehr interessant.
"Il misantropo felice" wurde zu verschiedenen Terminen zwischen August 2011 und August 2014 eingespielt. Komponiert wurde das achtteilige Werk indes weitaus früher, zwischen 1999 und 2000 in Frankfurt am Main. Rocco Lomonaco meint, das erste Motiv, das er komponierte, diente weiteren Kompositionen als Basis, wurde fragmentarisch weiter verwendet. Das letzte Stück Komposition, 2001 als Ergänzung geschrieben, zeigte ein anderes Bild der Orchestrierung. In den zwei Jahren des Komponierens war der Ansatz, die Idee, der Klang der Komposition vor der Aufzeichnung in Rocco Lomonacos Kopf und in seinen Noten diversen Veränderungen unterlegen, selbst in den Jahren 2009 und 2010 schrieb Lomonaco einige Parts noch einmal um.
Nun ist das Werk fertig. "Il misantropo felice" besteht aus acht einzeln anwählbaren Parts, die zusammen 49:52 Minuten füllen. Holz- und Blechbläser, elektrische Keyboards, klassische Saiteninstrumente und Rockinstrumentarium (samt Vibraphon und Marimba, Mandoline, Banjo, sowie mit akustischen und elektrischen Gitarren, akustischem und elektrischen Bass) haben ihre Positionen erfüllt. Zudem ist eine Mezzosopranistin an einigen Stellen aktiv geworden, ohne indes das Werk überaus zu bestimmen. Der Gesangsanteil ist lyrisches Sinnbild romantischer Verklärung in lautmalerischer Interpretation.
Das Breznev Fun Club Ensemble spielte ein Werk ein, das in Neuer Musik, der starken und typischen Kompositionssprache Frank Zappas und avantgardistischem Progressive Rock Fundamente setzte und zu einem höchst komplexen, oftmals sehr lebhaften, hier romantisch lyrischen, dort derart überkomplexen, radikalen Werk wurde, das in den abstraktesten Momenten ein dynamischer Fluss kaum möglich ist, und die fast eher theoretische Musik über Stock und Stein stolpert - was sie soll, was ihr Ausdruck ist - und dies sehr gut tut. Für Einsteiger in die abstrakte Welt zwischen Neuer Musik und Avantrock ist "il misantropo felice" wohl nichts, dafür umso mehr für gewachsene Spezialisten, die keine Kompromisse verzeihen und hier aus verschiedenen Aspekten Erfüllung finden.
Mir persönlich gefallen die romantisch fließenden Passagen ebenso wie die äußerst abstrakten Komplexattacken sowie die bisweilen gar witzigen, schön dynamischen Rhythmusextravaganzen, die an verschiedenen Punkten für Aufsehen (-hören) sorgen. Manches Motiv ist durchsetzt von verschiedenen Ansätzen. Da träumt ein lyrisches Thema, hüpft gleichzeitig rhythmisch von Blume zu Blume wie ein Kind am Sommermorgen (einem echten Sommer, nicht dem in 2015), und wird zudem unterbrochen (unterhoben) von kernig vitalen Komplexschüben, die dem Thema ‚verrückte', ‚schräge' Themen eingeben und damit noch interessanter und aussagekräftiger machen. Wie gesagt, für Einsteiger ist dies eher nichts.
Doch: wenn diese Kompositionen bereits so alt sind, einige Jahre auf dem Buckel haben, gibt es dann auch weitere, neuere Kompositionen aus der Feder Rocco Lomonacos? "Il misantropo felice" macht solche Neugierde, einen solchen Appetit, dass es kaum zu ertragen ist festzustellen, dass wiederum einige Jahre (das Vorgängeralbum "L'onda Vertebrata: Lost + Found Vol. 1" wurde 2010 veröffentlicht, weitere - etwa Vol. 2 - Veröffentlichungen gibt es nicht) in die Welt gehen müssen, bevor diese "morgendliche Traumarbeit, dieses kurzen aber intensiven Traumes eines Mannes am Morgen" einen Nachfolger findet.
So lange kann dieses vitale und durchaus gern als herrlich verrückt zu bezeichnende "il misantropo felice" für Entzücken sorgen.
Dies noch: der letzte Track ist nicht wirklich über 11 Minuten lang. Nach circa sechseinhalb Minuten endet das beherrschende Thema, es gibt eine kurze - notwendige - Pause und zuletzt beginnt ein romantisch balladeskes, sehr klassisches Stück Musik, das raffiniert und hinreißend komponiert und eingespielt worden ist - wie so das ganze Werk.
Wenn es meiner Meinung nach auch einige Schwachpunkte gibt, so ist der Gesangspart zu wenig ausgeprägt, etwas scheu und sacht, zudem gibt es einen Part, in dem die Stimme absinkt, was gleichzeitig mit der instrumentalen Begleitung geschieht und einen Riss ins Gefüge bringt, was mir überhaupt nicht zusagt (aber alsbald wieder behoben ist), zudem kann ich nicht genug bekommen von "il misantropo felice"!

altrock.it
VM



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