David Borgo "Initial Conditions" [CD] + "Chance, Discovery and Design" [DVD] (Circumvention Music 2008)

Gleich zwei neue Werke legt der Saxophonist und Flötist David Borgo vor. Die DVD "Chance, Discovery and Design" ist sehr ausgefallen, besonders der visuelle Teil, der nicht mit dauerhafter Konzentration zu ertragen ist, was von den dies begleitenden, nachdenklich mäandernden Sounds nicht zu sagen ist. Dazu weiter unten mehr.
Die CD "Initial Conditions" ist im Trio mit Gunnar Biggs am Kontrabass und Duncan Moore am Schlagzeug eingespielt worden. David Borgo spielt Tenor-, Alt- und Sopransaxophon, Alt- und irische Flöte.
Stilistisch reicht der Rahmen von Bop zu Free Jazz, streift Worldmusic und Ambient. Die Songs gehen erstaunlich in die Tiefe, sind ungemein intim. Die Musiker laden ihre Herzen aus und führen den Hörer in ihr inneres Seelenleben ein. David Borgo lässt seinen Begleitern erstaunlich viel Raum, nimmt sich sehr zurück. So zeigt sein Ton gerade im intim-leisen Spiel viel Kraft und Energie. Das Rhythmusduo legt sich lebhaft ins Zeug, weiß mit eigenen solistischen Ausfällen die harmonische Struktur zu gestalten. Partiell gehen Bass/Saxophon oder das ganze Trio unisono vor, dynamisieren kraftvoll die vitalen Kompositionen. Zudem sind einige Songs auf der CD, die eine heitere, beschwingte Note haben, helle Leichtigkeit zelebrieren und darauf verweisen, dass freier Jazz nicht nur zur Atonalität neigen muss, sondern auch, ohne dabei süß oder lieblich zu werden, harmonisch und melodisch sein kann.
Wenn das Trio auch zur Stille neigt und den einzelnen Tönen viel wirkungsvollen Klangraum gibt, so sind die Stücke doch längst nicht nur von lautmalerischer Bedeutung. David Borgo zeigt sich hier im Jazz als das Gegenstück zu Supersilent in der Rockmusik. Leiser ist unberechenbarer, vitaler, berückender.
In "Illusions" gibt die irische Flöte den Ton an. Die Note ist eine Liebeserklärung an das grüne Bergland, dessen Landschaft in den melancholischen Klängen deutlich vor Augen geführt wird, was nicht nur an der folkloristischen Inspiration liegt.
Der wichtigste und schönste Track auf "Intial Conditions" ist "Meditation # 1: Girl Born on Saturday". Die Komposition ist ungemein spannungsreich, hat begnadete Intensität. Was zwischen dem mit Paukenschlägern bespielten Schlagzeug, vor allem den großen Trommeln und Becken, dem mit Geigenstrich bespielten Kontrabass und der Altflöte passiert, ist unbeschreiblich und stilistisch nicht im Jazz festzumachen. Als würde ein genialer Komponist aus der Neuen Musik in den Jazz streben. Grandioser Spannungsbogen! Die viereinhalb Minuten sind viel zu kurz für die Komposition, da gilt es, Repeat um Repeat zu drücken.

Die DVD präsentiert eine viel größere Band. David Borgo hat mit diversen Musikern, die teilweise nur in einigen Tracks mitspielen, illustre und verspielte Sounds zwischen Jazz und Avantgarde eingespielt. "electroacoustic improvisation" ist die DVD untertitelt. Mit dem CD-Programm sind die Stücke nicht ansatzweise zu vergleichen. Die Sounds, kreativ nervösen Bildern unterlegt, treiben sich auch mal in verspielten Popgefilden umher, greifen in freie elektrische Rockstrukturen über, haben allerlei Samples von Stimmen und Geräuschen in sich oder reizen minimalistische Strömungen aus. Selten gibt es "wirkliche", reale Bilder zu sehen, die Band ist nur sehr verfremdet und von Computerbildern überlagert zu sehen. Elektronisch Erschaffenes, verfremdete Bilderschnipsel, bunte Computeranimationen wie Sternenexplosionen - die abstrakte Sprache der Musik findet in den Bildern ihre Entsprechung. Die Bildsprache ist gewiss nicht uninteressant, jedes Stück gibt Neues zu entdecken, mal scheinen die Grenzen auf der Weltkarte von einem Sturm hinweggefegt, dann sind Sonnenwinde, Wüstenstürme oder Lavaherde zu beobachten. Was jedoch nicht auf Dauer funktioniert - und das ist der Unterschied der Sounds zu den Videos - ist das konzentrierte Betrachten der nervös machenden, selbst in elegisch sanften Bewegungen und Farben aufreizenden und extrem anstrengenden Bildern. Ein kleiner Fernseher in einem großen Raum, nicht im Zentrum, abseits, nur sporadisch zur Kenntnis genommen, könnte diesen Bildern und dem Aufnahmevermögen des Neugierigen gerecht werden. Stetig hineingesehen, mit der Nase am riesigen Bildschirm, läuft man Gefahr, sich selbst zu hypnotisieren und die Welt nicht mehr zu verstehen.

davidborgo.com
circumventionmusic.com
VM



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