Bryan Beller "View" (Onion Boy Records 2006)

Brian Beller ist bestens durch seine langjährige Zusammenarbeit mit Mike Keneally (durch alle Projekte und Bandbesetzungen hindurch) bekannt. Keneally/Beller tourten als Duo mit den so genannten "Clinic Tours" auch schon etliche Male durch Europa und Deutschland, da konnte man die beiden entspannt in einem Plattenladen oder an ähnlichen Orten erleben, wie sie witzig-lockere Konversation mit den Leuten im Auditorium hielten und sich instrumental in komplizierte und aufregende Melodiefolgen aufmachten, was sie technisch exzellent und einfühlsam und immer mit einem Lächeln auf den Lippen zauberten.
"View" ist keine komplette Soloarbeit des Bassisten Beller. Auf der CD sind 13 Tracks enthalten, darunter lediglich 4 reine Basstracks, die Bryan Beller mit elektrischem und akustischem Bass spielte. Das sind virtuose, sensible Stücke, die trotz aufwändiger und komplexer Melodie überraschend eingängig und flüssig sind, dabei stets solistische Eskapaden fahren, niemals den geraden Weg gehen und überall kleine melodische Extras hervorzaubern. Kleine große Entdeckungen, die viel Spaß machen.
Die neun restlichen Songs sind mit Band eingespielt. Mike Keneally höchst selbst an Gitarre, Keyboard oder Orgel ist dabei, weitere Musiker aus dem Keneally-Umfeld: Rick Musalla, Nick D'Virgilio, Tricia Steel, Jeff Babko, Joe Travers, Fausto Cuevas, Toss Panos, Wes Wehmiller, Griff Peters, weitere.
Das ausgefeilteste und mich persönlich am intensivsten ergreifende Stücke ist der 5. Track "get things done", ein leidenschaftliches, virtuoses Thema von erheblicher Komplexität, allerfeinster und aufregender rhythmischer Arbeit und melodischer Vielfalt. Exzellente Einspielung!
Trotz der zumeist vorherrschenden aufwändigen und komplexen Songstruktur ist Bryan Beller kein "typischer" Prog-Musiker. Der Mann bezieht einfach zu viele Einflüsse: aus Jazz, altem und neuem Rock, lichtem, amerikanischem Folk; zudem ist er durch und durch amerikanisch geprägt, was in dem liedhaft stampfenden Vokaltrack "bite" am eingängigsten zu hören ist. Sein Gespür für ausgeklügelte und elegante Rockharmonien, die es verteufelt in sich haben, ist jedoch weitaus schärfer ausgeprägt, als sein Sinn für Liedhaftigkeit. "Eighteen Weeks" macht das offenbar. Was hier unisono zwischen Keyboard/Bass, Vibraphon/Bass und Gitarre/Keyboard/Vibraphon passiert, ist ein Glücksfall der rockmusikalischen Phantasie. Kein weltbewegendes Thema, aber eine exzellente und variable, ungeahnte Möglichkeiten ausschöpfende Ausarbeitung der Komposition, dabei von einiger Leichtigkeit, mit einem Hauch Jazzrock, gar dem Sinn für versponnen melancholische Liedhaftigkeit. Ein verträumtes Thema, dem selbst die aufkommende Schwere mit bebenden Basstönen und einiger Virtuosität nicht die Stille und Lyrik nehmen kann. Bitte mehr davon!
Die weiteren Stücke sind von ebensolcher Intensität, da ist als Beispiel "See You Next Tuesday" genannt, ein illustrer Jazzrocker mit exzellent hyperaktivem Schlagzeugspiel von Toss Panos, wilden Jazzläufen an Bellers Bass und Mike Keneallys zugleich coolem und abstraktem, wildem und hartem Bariton-Gitarrenspiel. Und stets kommt es anders als gedacht. Das Thema an sich ist nicht sonderlich extravagant, aber was das Trio an den diversen Motiv-Enden und Break-Punkten für Pointen setzt, mit dynamisch forcierten oder verschleppten Brüchen die Note ins Extravagante zieht - hinreißend!
Im Prinzip, so sagt gerade dieses Stück, kann jede Komposition, wenn die richtigen Leute sie in die Hand kriegen, aus der vergewaltigten rosaroten Radioschlichtheit gezogen und in kluger, individueller und überraschender, witziger Weise interpretiert und ausgearbeitet werden.
Der Titeltrack, ganz zum Schluss, ist melancholischer Natur, verspielt von Gitarre, Bass und Klavier angeführt, Bass und Schlagzeug bauen das bombastisch vitale Fundament. Schwere Punkte treffen die Melodieinstrumente unisono, um von dort einzeln solistischen Ausdruck zu suchen. Sphärisch, das Motiv, versponnen und eingängig. Progressiv, ja, unbedingt. Aber ohne zu tun, als ob. Völlig unangestrengt. Einfach so.
"View" ist eine exzellente CD, größtenteils instrumental, auf verschlungenen Pfaden wandelnd, ohne die ganz große Komplexmaschine anzuwerfen. Intensive, intuitive Musik mit Herz und Seele, von einem Meister erdacht, wahrhaft. Unbedingte Empfehlung!

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keneally.com
VM



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