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Argos "A Seasonal Affair" (Progressive Promotion Records 2015)


Was nicht alles ist 'Argos'. Orte, Städte und Regionen, Flüsse, Könige, Riesen (‚Panoptes', der Allesseher, daher der Ausdruck der Argusaugen), Wesen aus Mythologie wie Geschichte. Hunde, Schiffbauer, Technisches, Zeitschriften, technische Zentren, ein Renault - etliches mehr. Etwa die deutsche Band, als ‚deutsche Canterbury-Band' gehandelt, die im Wesentlichen aus dem Frankfurter Teil - Thomas Klarmann (b, fl, acc-g, keys, voc) sowie Robert Gozon (keys, voc) und dem Greifswalder Teil - Ulf Jacobs (dr, perc, voc) und Rico Florczak (el-g, sounds, voc) sowie Gästen, etwa dem steten Konzertmitarbeiter Thilo Brauss (keys) besteht.
‚Die deutsche Canterbury'-Band. Mhm. Die Band selbst ist eine Fernbeziehung, in der die Songs aus hin und zurück gereichten Partikelsendungen bestehen, die Part für Part wachsen. Bis es echte Songs sind, die auf CDs gepackt und bunt angemalt der süchtigen Meute angeboten werden. Angefangen hat alles mit Thomas Klarmann, der sein Projekt in Mainz gründete. Auf einer Party lernte Thomas Robert Gozon kennen, die beiden arbeiten bis heute eng zusammen. Komponieren, diskutieren, ent- und verwerfen. Beider Einflüsse sind verwandt. Thomas Klarmann ("In the summertime") begann mit Led Zeppelin und Black Sabbath. Mit der Neugierde auf Musik und der wachsenden Plattensammlung wuchs der heute 56-Jährige in die progressive Rockmusik hinein. Klassischer Prog und Canterbury sind seine Steckenpferde, Camel eine seiner Lieblingsbands. Robert Gozon ist stark von Genesis, Yes und den großen (und unbekannten) klassischen Prog-Bands beeinflusst. Van der Graaf Generator und Peter Hammill sind ebenso unbedingte Einflüsse. Doch keiner der beiden Hauptkomponisten der Band versucht, den klassischen Vorbildern besonders nahe zu sein, dies geschieht eher unbewusst, und manchmal durch aktuelle Vertiefung in LP-Rillen ("England").
Ulf Jacobs. Zu diesem schicken Herren muss ich wohl etwas weiter ausholen. Als es dieses Ragazzi noch nicht gab und daran zu denken nicht war, arbeitete der Schlagzeuger und Goldschmied Ulf in Stralsund in einem legendären/verrufenen Jugendkulturzentrum, das mit Kindern und Jugendlichen arbeitete (es gab Meinungen, die meinten, von ‚Arbeit' könne dort nicht die Rede gewesen sein) - alles Schnee von gestern. In diesem Jugendkulturzentrum wurde ein Heft produziert, das sich in allerhand Themen vertiefte, nur nicht in Musik. Das kam später. Erst mit Lars und anderen. Dann mit Ulf. Und es gab in diesem eher Punk-, Indie- und Gothic-orientierten Heft plötzlich einen ausführlichen Artikel über Progressive Rock von Ulf Jacobs. Alle Achtung! Das alarmierte VM, der sofort Kontakt aufnahm. Die Prog-Wüste hatte ihre Connection gefunden. Ab sofort wurde das Art-und-ich (‚Artich' [oder eher unartig]), wie das Heft hieß, mit zwei (von drei) Schreiberlingen mit Rezensionen und Betrachtungen zur progressiven Rockmusik beschossen. Ulf und Volkmar lernten sich peu á peu kennen, heirateten, bekamen Kinder und - Pardon! Falsche Datei. Ulf und Volkmar lernten sich peu á peu kennen, diskutieren ihre durchaus verschiedenen Ansichten über Prog und arbeiteten ein paar Jahre am Heft zusammen. Das Heft ging - absehbar - pleite und mit zwei weiteren Enthusiasten wurde ein eigenes Projekt gestartet. Ragazzi. Als Heft. Das hielt von (ähm) etwa 1997 bis 2001 (die Erinnerung verblasst). Dann war das Heft pleite, der Layouter mit dem Studium fertig und die allgemeinen Lebenspläne weitergereift. Ulf stieg aus und ward nicht mehr gesehen. Ragazzi wurde zum Online-Mag, zum Webzine oder Internetmüll, wie man will. Ulf ließ seine Kinder nicht klein, zog sie groß und ging in andere Sphären, ins ferne Greifswald, wo man ihn heute noch antreffen kann, ab 17 Uhr morgens.
Ulf ist besonders von Genesis und Marillion inspiriert, sein Lieblingsschlagzeuger ist Phil Collins. Ebenso faszinieren ihn technische Jazzrock-Schlagzeuger wie etwa Simon Phillips oder Billy Cobham. Mit Rico betrieb er eine Weile ein Jazzrock-Projekt namens (hab ich vergessen - nein - Shiva!), ein Konzert der Band fand im Keller unseres Hauses statt. Leider gibt es keine Studioaufnahmen der Bandkonstellation. Gone with the wind.
Rico Florczak (‚es ist mir eine Ähre') steht auf handgemachte, ehrliche, knackige Musik. Hartes, derbes Zeug ebenso wie Progressive Rock, besondere Vorbilder nennt er nicht. Rico liebt die Vielseitigkeit. Das erste Mal erlebte ich ihn, da rumorte er mit seiner Teenie-Band in Bergen auf der Insel Rügen schrammelige AC/DC-Songs zusammen. Lang ist es her. Und lang ist sein Haar. Gut so.
Mitten im 2015er Ragazzi-Urlaub, wiedergekehrt aus den Bergen und in Vorbereitung auf das Meer, erreichte gerade am richtigen Tag eine Mitteilung das Ragazzi-Diensthandy (…). Justament an eben diesem Tage sollte in der Greifswalder Musikfabrik, einer freien Musikschule, in der Ulf und Rico arbeiten, ein Argos-Probekonzert stattfinden. Freunde und Bekannte wurden eingeladen. VM und Mother of Children fuhren hin und sahen und hörten es sich an.
Ein solches Probekonzert hatte es bereits (mindestens) zwei Mal vorher gegeben und VM war beim zweiten Mal dabei gewesen. Nun kannten sich viele Anwesende schon ganz gut, und die Musiker waren keine Unbekannten mehr, wer quatschen wollte, quatschte. Die Kommunikation verlief locker entspannt. Schließlich rief Robert (ein weiterer Lehrer) die Jungs zusammen und das zweiteilige concerto konnte beginnen.
Es wurden ältere und neue Songs gespielt, wobei ich die Tracklist nicht klaute und darum Genaueres nicht mehr weiß (Urlaub!). Mother of Children mochte besonders die lange Rille, das über 20 Minuten lange, zumindest über 19 Minuten lange Stück ("Cruel Symmetry"), das sich thematisch reichlich abwechselte. Sie meinte, der Stil gefalle ihr gut. Etwa wie die Flower Kings, nur nicht so poppig (mit Popmusik hat die Mutter der Kinder es nicht so) und also besser.
Die Band, zu fünft mit Gastkeyboarder Thilo Brauss, legte ein dynamisch lebhaftes, vitales Konzert hin, in dem alle Beteiligten zu Ehren kamen. Vor allem Robert (Tasten), Rico (Saiten) und Ulf (Felle) wussten mit lauten und hochaktiven Einsätzen zu überzeugen. Nicht weniger indes die nicht so ums Posen bemühten Thomas (dicke Saiten, Flöte) und Thilo (Tasten, Pustetasten). Die Atmosphäre war zwischen den Songs entspannt, sobald ein Track angestimmt wurde (einer gleich zweimal, die Tonart!) war es im Auditorium mucksmäuschenstill und erquickt lauschte das anwesende Volk. Wenn die Band, wie sie später meinte, Fehler machte, so waren sie nicht tragisch, kaum auffallend (außer bei Ulf) (Quatsch). Schöner Abend. Da es ‚die Band' eigentlich nicht wirklich gibt, der Abstand zwischen den Wohnorten für allgemeine und besondere Proben und Jams zu weit auseinander liegt, gibt es diese Probentage in Greifswald, die in ein Probekonzert gipfeln, was das Leben innerhalb der Band auf Schwung bringt.
Ja, und dann gibt es ein neues Album der germanischen Canterburyianer. Es umfasst 9 Tracks + zwei Bonustracks, und läuft insgesamt 62:17 Minuten lang. Gewiss gibt es einige - und starke - Reminiszenzen an Bands wie Caravan oder Hatfield and the North. Allein Argos sind weitaus weniger ‚canterburyiesk' als vielmehr retroprogressiv unterwegs. Der Jazzanteil ist im allgemeinen Vergleich zur klassischen Canterbury-Szene deutlich geringer ausgeprägt. Roberts Tastenspiel und sein Gesang erinnern an Caravan oder Van der Graaf Generators Peter Hammill, die Songstruktur und einige Gesangslinien sind ähnlich angelegt. Indes: Argos arbeiten weitaus liedhafter und symphonischer. Mit dem 5. Track "Lifeboats" gibt es eine (aktuell geprägte) starke Reminiszenz an England (die Band, 1977 "Garden Shed"). Und mit "Not in this picture" ist der ultimative Longtrack (12:33) an Bord. Da sind schöne Gitarrensoli, beeindruckende Keyboardsoli, wunderbarer Gesang, dynamisches Schlagzeugspiel, druckvoller Bass, lyrische Interplays und forciert kraftvolle Attacken zu hören. Im langen Song wie auf dem ganzen Album.
Besonders mag ich die nachdenklichen, leicht düsteren, fast ambienten Lyrik-Tracks und -Parts, die viel Tiefe und Gefühl beinhalten. Nicht weniger sind die vertrackten wie die straff rockenden Stücke hinreißend und von gut komponierter Eingängigkeit, in der die gut ausgeprägte, energisch vitale Komplexität (für geübte Ohren) leicht und gut ins Ohr geht.
Lange Zeit verbot es sich für mich, über Argos zu schreiben, weil ich Ulf und Rico lange und Thomas und Robert nun ebenso kenne. Aber die Band machte die Sache gut, gab mir viel Geld und hier ist meine Sicht der Dinge.
Nicht nur nebenbei: sehr schönes Artwork (Bernd Webler).
Empfehlung!

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VM



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