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Anekdoten "Until All The Ghosts Are Gone" (Virta, 08.05.2015)


Da sind sie wieder. 8 Jahre sind seit "A Time Of Day" ins Land gegangen und haben die alten Geister mit sich genommen. Anekdoten, das Quartett ist wie stets in gleicher Besetzung wieder aktiv geworden, wie kann es anders sein, kehrt mit dem jüngsten kreativen Erguss zu alten Qualitäten zurück. Da sind die crimsonesken Attribute, mit denen 1993 "Vemod" überraschte, und gleichfalls sind die eher schrammelig psychedelischen Motive zu finden, die der Band zuletzt das Gesicht gaben.
"Until All The Ghosts Are Gone" ist von "Vemod" ebenso weit entfernt, wie "Vemod" von King Crimsons "Island". Die Schweden Anekdoten beweisen deutlich mehr Stilsicherheit und Standfestigkeit als ihr altes großes Vorbild King Crimson, das indes durch andere Zeiten gehen musste und Moden und Wellen ausgesetzt war, die seit den frühen 1990ern ausgeglüht und abgekocht waren. Heute können Pop, Punk & Prog nebeneinander existieren - und alle millionenfachen weiteren populären Musikstile ebenso. Es gibt eher grenzüberschreitende Befruchtungen als Abgrenzungen und harte Grabenkämpfe.
Anekdoten gehörten 1993 (wie etwa Änglagård und The Flower Kings sowie diverse weitere Bands) zum jungen Ensemble kreativer Musiker, die der progressiven Rockmusik neuen Schub und zuvor ungeahnte Alben gaben. Erst 1993 wurde der erst wieder erwachenden und wachsenden Szene bewusst, wie vieles in den (großen) 1970ern falsch gelaufen war, und wie die großen Bands im Pop versunken waren. Mittlerweile ist fast jede Historie aufgearbeitet. Das massenhafte Auftreten der CD verstärkte den Kick des erneuten Aufkommens progressiver Rockmusik, die in der Zwischenzeit eher unterschwellig und light dahinvegetierte. Plötzlich schwemmten aus Italien, Schweden, den USA, Frankreich und Großbritannien kleine Label seitdem längst nicht mehr erhältliche progressive Klassiker auf CD unters Volk. Die ersten Auflagen waren (vor allem von italienischen Labels) billig und öde, von schrecklichem Sound. Ganze LP-Sammlungen wurden billigst verramscht und CD-Regale gezimmert. Heute sind die CD-Regale so alt, wie damals die LP-Regale, und heute schmeißt mancher Sammler seine CDs raus und ersteht (für teures Geld) neu aufgelegte LPs. Welt, so willst Du es!
Nicklas Barker (g, mel, org, vibes, voc), Anna Sofi Dahlberg (mel, org, Rhodes), Jan Erik Liljeström (b, voc) und Peter Nordins (dr, cymb, vibes, perc) verstärkten ihr schon ansprechend großes instrumentales Ensemble um Gastbeiträge, da ist Per Wiberg (org) ebenso zu hören wie Theo Travis (fl), Marty Willson-Piper (g) und Gustav Nygren (sax).
6 Songs sind auf "Until All The Ghosts Are Gone" zu hören. Die CD läuft über 46:24 Minuten. Die ersten 5 Tracks sind mit Text ausgestattet, das die CD abschließende "Our Days Are Numbered" läuft über 8:36 Minuten rein instrumental.
Die dramatische, wiederum enorm Mellotron-lastige, wuchtige Melancholie-Symphonie Anekdotens ist weniger brutal hart als auf den ersten beiden Anekdoten-Alben, gleichzeitig sind die Alternative Rock-typischen Merkmale weit zurückgefahren worden, die zuletzt den Bandsound ausmachten. In breiter Elegie sind die zwischen 5 und 10 Minuten langen Tracks zu hören. Nicklas Barker's hohe, helle Stimme singt fast nostalgisch. Wie einst verstehen es Anekdoten perfekt, Halbtöne erstklassig gegeneinander zu stellen, große Lyrik und kernige Dramatik ineinander verweben zu lassen und der typisch skandinavischen Lethargie-Vitalität eigenen Charakter zu geben. Die Arrangements sind tränentreibend. Mellotron, Vibraphon, Bass, Schlagzeug, Tasten und dezente bis deftige Gitarrenarbeit bauen ein großartiges, eindrucksvolles Geflecht, das in allen 6 Songs äußerst ansprechend und grandios komponiert worden ist.
So still die Band auf den Fotos in die Kamera guckt, so zurückgenommen das Album insgesamt, so hinreißend und überraschend wunderbar ist die Musik in ihren vielen Facetten sowie im Ganzen. So viel großflächige Melancholie als düstere Symphonie, soviel vertrackt kerniges Überraschungsgut und düstere bis witzige, erstaunlich ruhige und sanfte Motive sind da zu hören, dass nur stets erneut zu staunen bleibt.
Ein reifes, erwachsenes Album, das in hoher Qualität schwelgt und sich seiner eigenen Größe bewusst ist. "Until All The Ghosts Are Gone", soviel kann gesagt sein, wird als Klassiker in die Szene eingehen.
Eindrucksvollster Track, und nur hier verschenken Anekdoten, die sich von späten Beatles, frühen Pink Floyd und frühen King Crimson inspiriert zeigen, Potential, ist das die CD abschließende Instrumental "Our Days Are Numbered". Verschenkt, weil der Track ohne dynamischen und inhaltlichen Verlust weitaus länger hätte ausgebaut werden können. Das Ende ist radikal und überwältigend, aber weist eben daraufhin, dass hier mittendrin abgeschnitten wurde. Was für ein Song!
"Our Days Are Numbered" ist das beste Album, das Anekdoten jemals veröffentlichten.
Mal sehen, wie die Band damit auf der Bühne umgeht.
Unbedingte Empfehlung!

anekdoten.se
justforkicks.de
VM



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