Alexandra von Bolz'n "Schnitt" (Who Cares If You Listen, 09_2012)

Lust auf Alptraum? Dieser "Schnitt" zieht sich durch genüsslich angelegte 32 pausenlose (!) Minuten, bis er dann endlich ein Ende macht. Alexandra von Bolz'n und ihre wackeren Mitstreiter basteln mit dem einen, 32 Minuten langen Hardcore-Monster "Schnitt" die Sehnsucht nach Stille und hübsch in Sonnenstrahlen badenden Wiesenblumen. Die Dame (‚not a house wife') weiß Axt und sonstiges Mordsgerät durch (a)tonale Dröhnung zu ersetzen. Ihre ‚Musik' ist indes kein Grunzgewitter ohne Inhalt, sondern setzt erstaunlich abgefahrene und schrägste Dinge nebeneinander: Metal, Electronics und Industrial Noise sind die Stilmittel, aus deren potentiellem Inventar die Ideengeberin und ihre Verdammten krasse bis elegische Sounds kreieren. Die ersten 9 Minuten fährt die Orgie, aus dem Höhepunkt startend, über noisige Electrosounds, in denen das anfängliche Metalgedröhn peu á peu untergeht, in fast melancholische Lyrik runter, aus der Industrial Dancefloor allerlei ungerade und gewiss nicht Mainstream-kompatible Sounds kreiert, die auf starkem Holterdipolter-Dancefloor-Rhythmus illustre Stolpertänze aufführen. Stets ist der nebenlaufende Noise-Pegel nett aufgedreht, mitunter geht es dann noch einige Stufen höher, um den Wechsel aus Electro zu Avantgarde Rock mit japanisch scheinendem Quietschgesang zu Schreddermetalnoise mit Hardcore-Grunz-Erbe auszuholen. Macht Laune! Wenn's auch schwerfällt - - -
14 Minuten sind absolviert, als im Noise-untermalten Metalrausch fast so etwas wie ein enthalpischer Frieden auftritt - mit Free Jazz Saxophonen, die wie psychedelische Sirenen durch die Lüfte kreisen. Woraufhin die Metaletappe in ihren nächsten Wahnsinn verfällt. Sensible Gemüter brauchen viel Humor und Phantasie, um der Attacke musikalischen Gewinn anzuzielen. Wer mit sachlichem Verstand an "Schnitt" geht, braucht Aufmerksamkeit, Konzentration und als Voraussetzung ein wenig Kenntnis aktueller Avantgarde- und Metal-Moden, dem langen Track zu begegnen.
Alexandra von Bolz'n gebürt Respekt. In der Musikvollen Welt des Abendlandes, wo sich ein jeder Stil bis an die Unterlippe voll gemacht hat und alle Reize überflutet sind, braucht es einige Kreativität und Wildheit, dem verwöhnten Hörer noch Interesse abzuluchsen und ihn zum vergnügten Zuhören zu bringen.
Die letzten 12 Minuten brechen mit so etwas wie Reimzeugs an, das klingt, als sei eine untote Nazihorde aus der tiefsten Hölle ausgebrochen, sich manisch ins erneute Leben zu katapultieren. Das ist Quatsch, dieser Art Dumpfe hätten diesem vergnüglichen Reigen den Stempel "entartet" aufgesetzt. Waren halt immer schon bekloppt (und Tschüß!). Da sitzt dann zum Zeichen des Zeichens eine Violine mit dramatischem Ton, die Neue Musik braucht nicht mehr, alle Nazis forever ins Nichts zu schießen. Die Band gerät in nebulöse Gefilde, die gar psychedelisches Gewaber entwerfen, in denen Neunziger Jahre Industrial-Totentänze ihre letzten Rhythmus-Enden verweben. Im Dancefloor-Dämmer marschiert die müde Horde durch dunkle Abgründe, die mit epischer Note erstaunlich lyrisch entworfen sind. Noch 6 Minuten. Atonal Metal und das Kreischen der Hölle samt Space-Synthesizer-Gebohre schmelzen alles ein, schleifen die untoten Sounds in die Hölle zurück, die wehren sich mit Macht und Kraft, doch ach, bald ist zu erkennen, dass ihr Ende gekommen ist. Noch einmal brettert die Skelettband Metalelektro mit Mordswucht, wenig exaltiert, nur aggressiv, dann langsamer, Alexandras Stimme ist total kaputt, besser, ihr jetzt nicht zu begegnen. Bis zur letzten Sekunde geht der Krieg und noch in der 31:49sten Sekunde brüllt das Mädchen, als rette dies ihr Leben.
Ob's gut für ADHS-Kinder ist? Als Musik-Therapie?

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VM




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