Aki Rissanen // Jussi Lehtonen Quartet with Dave Liebman (Ozella Music, 13.02.2015)


Das eröffnende Motiv des ersten Stückes wollte beim ersten Anhören meinen, das Saxophon werde (nicht schräg, sondern) schief, neben dem gewollten Ton, gespielt. Der Eindruck kommt auf dem Album nicht wieder. Warum gerade ganz zu Beginn? Der Kosmos wollte erschlossen werden. Das dauert.
Das Quartett arbeitet äußerst lebhaft und virtuos, laut und schnell, spielt mit kantigen, dynamischen Motiven und in einer technischen Handschrift, mit einem handwerklichen Ansatz, dass nur zu staunen bleibt. Nach diesem ersten ‚schiefen' Eindruck fesselt das Album in allen 10 Songs und 59:29 Minuten bis zum Ende.
Aki Rissanen (p), Jori Huhtala (b) und Jussi Lehtonen (dr) sind die finnische Fraktion. Dave Liebman, der schon oft in finnischen Gefilden wilderte, ist die amerikanische Ergänzung. Die drei finnischen Musiker sind jung, Dave Liebman war es, als er Miles Davis 1972 bei "On the Corner" zur Seite stand. Seitdem hat der Saxophonist in diversen Jazz-Gewässern an zahllosen Alben mitgewirkt, unter eigenem Namen, in Projekten und zahlreichen Kollaborationen. Und schon 1967 spielte Dave Liebman mit Lars Werner in Finnland Jazz.
Im April 2013 starteten die Sessions, die zu diesem Album führten. Aller Anteil ist stets sehr furios und äußerst lebhaft, sogar balladeske Motive scheinen zu schäumen und beben. Und sind doch dezent laszive Songs voll Melancholie und dunkler Farbigkeit. Die Einspielung gelang sehr kernig und kraftvoll, mit sattem, festen Ansatz. Manches Stück rockt geradezu, so lebhaft und virtuos geht es zu. Gewiss ist Jussi Lehtonen ein Jazztrommler, doch in den emotional aufgefahrenen Höhepunkten wirkt sein Part, und die Band geht da vollständig mit, als spiele er technischen Progressive Rock, so energisch, (rock)technisch und virtuos ist sein Spiel.
Pianist Aki Rissanen schrieb die meisten Songs, Schlagzeuger Lehtonen steht kaum nach, zwei Tracks arbeitete die Band gemeinsam aus, ein Stück stammt aus der Feder Clare Fischers, von Dave Liebman arrangiert und Liebman selbst brachte eine Komposition, als Gegenpart zu Fischers Komposition mit.
Dave Liebman spielt Tenor- und Sopransaxophon, sehr verwegen, stürmisch und lebhaft, ohne die Instrumente zu überspielen, stets melodisch und selbst in ausgedehnteren Soli sauber und klar. Eine simple Holzflöte kam ebenfalls zum Einsatz, was kein Manko ist, sondern von ebenso großer Qualität, in der Einspielung ebenso wie im Arrangement.
Das unbetitelte Album ist in romantisch lyrischen wie forsch kantigen Songs stets sehr lebhaft und präsent. Die Produktion ist außerordentlich gut, der Klang hinreißend. Der zeitlos klassische Modern Jazz dieser Produktion kann zur besten Bar-Zeit ebenso funktionieren wie zum Fahrradputzen. Bei letzterem dauert das Putzen dann eben eine Stunde. Gut für den Drahtesel.

ozellamusic.com
VM



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