After Crying "Creatura" (Periferic Records 2011)

Ganze acht Jahre ist es her, da veröffentlichten After Crying ihr letztes Studioalbum, das phänomenale "After Crying Show". 2005 sprach die Band bereits davon, ein Nachfolgeprojekt zu entwickeln. Keine CD, keine DVD, ein geheimnisvolles Projekt, das mittlerweile wahrscheinlich längst im Nirvana schlummert. Schon für "Show" war so viel Material aufgenommen worden, dass das Konzept über zwei CDs hätte laufen können. Viele Jahre später meinte Peter Pejtsik in Reflexion der damals schon gut gereiften, in die Jahre gekommenen "After Crying Show", das Werk sei doch ganz schön poppig geworden, ein Zeichen seiner Zeit, die Band sei darüber hinweg, würde heute (damals) anders klingen. Klassischer wieder, weniger poppig. Wieder senkte sich Stille über die Band. Da war noch zu hören, dass Peter Pejtsik für Peter Gabriel arbeiten würde. Erneut Stille.
Im Hause Mantei tummelte sich in den letzten Jahren viel Jungvolk, das mit dem munteren Nachwuchs die Schule besuchte, zusammen ‚abhing', Musik hörte und ganz allgemein Tage um Tage älter und neugieriger wurde. Darunter war Jasper, der mit seinen kurzen Haaren in der Meute auffiel, zudem für seine zurückhaltende Schüchternheit, die er nur ablegte, wenn er die Plattenstapel durcharbeitete. Die des Nachwuchses und schließlich die des Seniors. Über Frank Zappa stieg das Feuer der Sucht erstaunlich schnell auf. CD für CD borgte er aus. Nicht zuletzt After Crying.
Die Schule fand ein Ende. Sein Studium verschlug ihn nach Budapest. Und vor einiger Zeit, nachdem ich länger nichts von Jasper hörte, schickte er mir eine Email: "vielen Dank für den After Crying - Tipp. Das Konzert mit dem Symphonie-Orchester anlässlich der Veröffentlichung des neuen Albums hier in Budapest war großartig!"
"Creatura" heißt es. 23 Tracks sind enthalten, die sich in vier nach den Himmelsrichtungen benannten Parts über 63:28 Minuten ausbreiten. Der erste Hördurchgang meinte: der kleine Bruder der ‚After Crying Show'. Sodann wuchs der Eindruck über sich hinaus.
"West" (10:13) eröffnet. Das einführende, bombastisch orchestrale Motiv, "Preludio Furioso", kommt zu Beginn aller vier Albumteile wieder. Stets variiert und doch in Aussage und Ausdruck ziemlich gleich. So ist gut zu spüren, wie und wo die Geschichte der "Creatura" zu ihrem Beginn zurückkehrt, und erneut ansetzt (ganz nebenbei: das Stück würde als führendes Motiv in einem aufregenden Kinofilm perfekt funktionieren!). Bis auf zwei Einzeltracks wird das Konzept in ungarischer Sprache erzählt. So ist mir nicht umfänglich bekannt, wie die Story verläuft. Als ich über Google suchen wollte, ob etwas in für mich nachvollziehbarer Sprache verfügbar sei, war ich erstaunt und erschreckt über die diversen Möglichkeiten, das Album illegal runterzuladen. Wer auf den Sound steht und die Band und ihre Alben mag, lädt sich "Creatura" NICHT illegal herunter, sondern kauft die CD, sonst ist es bald mit After Crying vorbei. Und das gilt gewiss nicht nur für diese Band und dieses Album!
Soviel ist mir aufgegangen: ein Wesen namens "Creatura" trifft auf die Welt, die Erde, und verändert alles. Schon "After Crying Show" war von einem kritischen Konzept bestimmt, so kann ich es anders hier nicht denken. Die ungarische Sprache vermittelt die Geschichte denen nicht, die nicht ungarisch sprechen, doch da ist die Musik und der Gesamteindruck, der zu hören und zu "fühlen", spüren ist und die Geschichte enorm beeindruckend transportiert.
"North" als mit 24:33 Minuten längstem Part folgt. "East" (14:26) und "South" (14:16) schließen sich an. Viele einzelne Parts sind rein instrumental, haben Sprechgesang, Sprachsamples, Radiomitschnitte oder Gesprächsfetzen, etliche sind gar und ganz instrumental und können gut loslegen. Auf bombastisch großem Schlagzeugspiel, das Komplexe und Symphonic Rock perfekt kann und ohne auf Pop zu schielen Groove intoniert, der nie vordergründig ist, heftig donnert und die Songs lebhaft unterstützt, gibt es scharfkantige Gitarrensoli, rasante Violinensoli, symphonische Keyboardeskapaden und himmelsstürmende Bandinterplays. Wie auf der "After Crying Show" sind grandiose, auch poppige und eingängige Parts, Megabombastisches, knackfrischer Progressive Rock in vielfacher mitreißender Idee zu hören - in ungemein vielseitigem und facettenreichen Spiel, wie es dem Bandnamen gut steht. After Crying legen ein neues Meisterwerk vor, das mit jedem Hördurchgang größer und lebhafter wird und nur immer wieder durch die Ohren will.
Nix soviel sagen mehr. Die Band hat sich personell nicht (oder kaum?) verändert. Die neue ist die alte Band. Diverse Gastmusiker sind zum Einsatz gekommen, klassische Musiker, mit klassischem Instrumentarium. Diverse Einzeltracks sind, wie gehabt, stark klassisch symphonisch, symphonisch romantisch geprägt, machen dabei weder den klassischen Eindruck noch Rockhärte kaputt, nichts wird eingeschränkt, die Verbindung von Symphonic Rock und Klassik macht das Werk groß und großartig. Fabelhafter Gesang auf eindrucksvollen, einzigartig inspirierten Gesangslinien will nicht aus den Ohren. Und die gesprochene und gesungene ungarische Sprache klingt sehr gut und beeindruckend. Da sind so viele Facetten, aus World Music, Jazz, Klassik und Rock, das nichts bleibt, als sich der Musik nur ganz zu widmen. Etliche Alben sind gut. Dies ist einzigartig, ein Meilenstein.
Noch einmal: KAUFEN! Nicht illegal downloaden! Never! Njet! Das macht die Band kaputt. Und die ganze Szene.
Das ungemein kurzweilige Album ist nicht teuer, hingegen ungemein wertvoll.
Und bitte, After Crying, macht weiter!

aftercrying.hu
facebook.com/aftercrying
perifericrecords.com
VM



Zurück