Advent "Cantus Firmus" (Eigenproduktion 2006)

Viele Bands im heutigen Progressive Rock spielen Musik im Geist und Stil ihres großen Vorbildes oder ihrer großen Vorbilder. Und wenn sie sich zu dicht am Original halten, wird oftmals nur das Manko eigener Ideen offenbar und sie bekommen das Brandzeichen Plagiat. Progressive Rock ist sicherlich mehr, als nur die weitere Ausschürfung der komplexen Rockgewässer, die seit Ende der 60er in grandiosen Experimenten entdeckt wurden. Und doch gibt es immer wieder viel Interessantes und Positives zu entdecken, wenn Bands sich auf Entdeckungsreise machen und ihr Resultat vorlegen. Mal abgesehen von Frank Zappa dürfte Genesis die Band sein, der am meisten nachgeforscht worden ist, King Crimson schließt sich gleich an. Heute sind die Jünger von Genesis die "Weichen", die von King Crimson die "Harten" oder "Schrägen". Die Musik von Bands wie YES oder dem Mahavishnu Orchestra ist scheinbar viel schwerer nachzuempfinden. Noch schwieriger wird es, nimmt eine Band sich Gentle Giant zum Vorbild. Diese extraordinäre Ausnahmeerscheinung in der progressiven Rockmusik ist zwar einigen Bands als konkrete Inspiration und direkter Einfluss nachzuweisen, jedoch lässt sich die Anzahl der gelungenen Projekte an 10 Fingern abzählen. Die Qualität der Gentle Giant nachfolgenden Bands ist dabei sehr unterschiedlich.
Ein überraschend gutes Projekt ist die US-amerikanische Band Advent. Gleich im Namen ist das Vorbild zu erahnen, die Betrachtung des Coverbildes erhärtet mit seinem mittelalterlichen Motiv den Eindruck. Und gleich die ersten Sekunden lassen eine positive Ahnung aufkommen. Der Opener "GK Contramundum" ist rein vokal und hat starke, nicht zu direkte Ähnlichkeit mit den Vokalarrangements von Gentle Giant. Das sich ohne Pause anschließende, rein instrumentale "Awaiting the Call..." mit den sphärischen Keyboardarrangements hat eher gewisse Ähnlichkeiten zu Mittsiebziger Genesis, vor allem in den epischen, lang ausgedehnten Klangflächen.
Advent rocken nie hart oder bombastisch. Ihre Songs sind aus sensiblen Motiven gebaut, deren Klänge wie aus einer mittelalterlichen Schlossanlage mit Madrigal-Charakter zu stammen scheinen. Das starke mittelalterliche Folk-Flair, oftmals nur von akustischer Gitarre und atmosphärischem Keyboard geführt, ist in seinen malerisch-symphonischen Passagen zart und intim. Die Gesangslinie ist ganz von Gentle Giant inspiriert, ebenso die mehrstimmigen und melodisch sehr interessanten und komplexen Chorarrangements. Die Band wagt sich emotional weit vor, passiert aber einige der lyrischen Motive mit einer gewissen Steifheit, die sie nicht zu überwinden vermag, vermutlich sind Advent mit großer Sorgfalt vorgegangen und haben dabei einige Dynamik verloren. Das wird Gentle Giant Fans gewiss nicht negativ auffallen, weil dadurch der intime und verhaltene Ausdruck ungemein gut getroffen wird. Letztlich ist es Absicht der Band, nicht laut auf den Busch zu klopfen, sondern dezent von ihrer Qualität zu berichten, wer weiß!?!
Der Höhepunkt der CD ist gewiss das 18-minütige "Ramblin' Sailor", dessen eröffnendes Vokal-Motiv eindeutig Gentle Giant als Inspiration zu verdanken ist (während die instrumentale Ausarbeitung in Folge eher an Genesis erinnert), und das forscher und lebendiger als die restlichen Stücke gespielt wurde und auch härter rockt. Die atemberaubend überraschenden Wechsel zwischen den instrumentalen und vokalen Passagen sind grandios!
Das anschließende 'Tour Healing Hand" wandert auf ambienten Spuren im Geiste des Vorbildes, Advent schweben mit großem Eifer und erlesener Zartheit durch das Erbe Gentle Giants, etwas zu sehr verhalten für meinen Geschmack. "Firmus Finale" als letzter Track vor den beiden Bonusstücken hat wieder mehr Energie und klingt wie ein, kann es noch einer hören, toller Mix aus beiden bereits angeführten Klassikern.
Zu den Bonustracks gibt es einen Hinweis im Booklet (weiterhin enthält das schmale Booklet Texte, Besetzung der Band, Technisches und Thank Yous). Die Tracks sind älteren Aufnahmedatums, aber sehr guten Klanges, somit hier enthalten. Zudem ist nachzulesen, dass Advent 1997 bereits ihr erstes Album veröffentlicht haben. Wer weiß, vielleicht verliebt sich ein Label in Advent und legt beide Alben noch einmal auf, wie in den letzten Jahren hier und dort bereits geschehen!? Beide guten Bonustracks unterscheiden sich nicht sehr vom originalen Inhalt der CD und sind eine begrüßenswerte Erweiterung.
Kein Plagiat! Diese 70 Minuten feiner Musik sind nur dringend zu empfehlen.

adventmusic.net
justforkicks.de
VM



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