7 For 4 "Diffusion" (MGI Records 2008)

Neulich hatte ich ein schreckliches Erlebnis. Im Auto höre ich, nachdem mir mal ein Wechsler samt schwer zu bekommendem Inhalt (u.a. X-Legged Sally, Sauerei!) aus dem Wagen ‚genommen' worden war, ich wünsche dem Dieb gute Unterhaltung und ein Leben voller Pein, nur noch kopierte CDs. Fahre ich so von A nach B, fragt meine Tochter mich, was wir dort gerade hören. Keine Ahnung, dachte ich. Und sagte ich. Frühsiebziger Jazzrock mit Saxophon.
Wir nahmen schließlich alle CDs aus dem Wechsler (ist praktisch in die Konsole vorn eingebaut) und ich las: Mahavishnu Orchestra. Ich bekam einen Schock, das waren doch nicht John McLaughlin und Co.! Nein! Ich legte die CD in den billigen Player in der Küche, überlegte eine Weile, ob ich das wirklich anmachen wolle - und startete. Frühsiebziger Jazzrock mit Saxophon. Kein Mahavishnu Orchestra. Was hatte ich da kopiert? Und warum was Anderes drauf geschrieben? In der Nacht darauf hatte ich einen entsetzlichen Traum: alle Musik hörte sich wie Frühsiebziger Jazzrock mit Saxophon an, ich legte CD auf CD ein, alles klang wie diese unbekannte Band!
Gleich am folgenden Morgen musste ich einige CDs testen und stellte erleichtert fest, dass jede Band so klang, wie sie klingen musste. Erleichterung. Aber ich war angefressen. (Die gute scharfe Geflügelschere hat dem ‚Satansbraten' den Garaus gemacht!!!
Auch 7 For 4 klingen, wie sie "müssen". Wolfgang Zenk (g), Klaus Engel (dr), Markus Froschmeier (keys) und Markus Grützner (b) haben zwei Jahre in ihr drittes Werk investiert. "Diffusion" heißt das Album und wie auf dem Cover zu sehen, ist damit nicht nur der wissenschaftliche, aus dem Lateinischen stammende Begriff, der etwa ausgießen, ausströmen oder sich verbreiten heißt, gemeint, sondern auch das abgesetzte "Fusion", Jazzrock.
In der besonderen Form der technische Komplexe liebenden und virtuos spielenden Band, das das Zuhören hier eine ganz besondere Freude ist, die sich nicht Jazz und Rock, sondern Jazz und Metal als Ideal ersonnen hat und sich darin probiert, harmonische Jazzphrasierungen in metallische Rockhärte zu betten.
Die Verbindung von Jazz und Metal ist eine gewiss stilvolle, wenig geübte Grenzüberschreitung, nicht nur, weil beide Stile dem allgemeinen Verständnis nach zuerst einmal wenig miteinander gemein haben und weit voneinander agieren. Auch weil, sich dieser Idee hinzugeben, komplexe, technische und aufwendige Musik zu komponieren und spielen impliziert. Jazzmetal ist nicht einfach die Summe aus Jazz + Metal, ebenso wenig, wie Jazz + Rock schlicht Jazzrock ist. Es ist ein organisch gewachsener Stil, der lange Jahre Metalentwicklung voraussetzt, das Bands aus diesem Bereich sich überhaupt, um in der gewachsenen Vielfalt durchzusetzen, sich für Grenzüberschreitungen in diese Richtung interessieren.
Jazz als Vorbild hatten viele Bands bereits und über viele vergangene Jahre waren so einige Bands versucht, Jazz in ihre Metalvorstellungen einzubeziehen, nicht nur Watchtower und Atheist. Auch bösere - und schlichtere. Jazzmetal trägt die Ästhetik beider Stile in sich, ist aber viel mehr, als nur eine Jazzharmonie hart zu spielen.
"Diffusion" bringt wenig Jazz zu Gehör. Auch Metal ist nicht der Wegweiser. Viele balladeske und "weiche" Arrangements sind zu hören. Was 7 For 4 meiner Meinung nach als Jazzmetal-Band auszeichnet, ist die Ästhetik ihrer Musik, die aus harmonischen und melodischen Jazzmustern plus Rhythmus und Arrangement aus dem Metalbereich eine ganz eigene Spielweise machen.
Vielleicht ist heute nichts "progressiver" - im Bereich der progressiven Rockmusik - als diese Ästhetik auszutesten. 7 For 4 machen da ganze Arbeit. Sie spielen höllekomplexe Frickelpassagen, technische Mätzchen, verflixt komplizierte Skalen, die sie virtuos und dynamisch, dabei locker und mit hörbarer Spielfreude intonieren. Es macht bei aller Aufwendigkeit der Musik stets großen Spaß, sich mit "Diffusion" beschallen zu lassen. Ich empfehle als Entree dazu "Cyclotron", die viereinhalb Minuten sind nach gefühlten zwei schon am Ende. Die Band hat gewiss viel Energie und Überlegung in nur diesen einen Song, nur in winzige, knifflige Stellen dieses Songs, in Soli und Breaks investiert und gleich ganze 9 Tracks dieser schwer komplexen Art für den Silberling gesammelt. 52 technische, harte, jazzinfusionierte Minuten extravaganter, grandioser Musik sind hier entstanden, die unbedingt zu empfehlen sind.
7 For 4 können aber auch ganz anders. Längst nicht alle Songs sind extreme Komplexgewitter. Erstaunlich viel Balladeskes ist zu hören. Diese Tracks sind nicht weniger spannend als die vitalen Rocker, und nicht weniger vital. Verflixt verrückte Harmonien und fesselnde Soli machen die leisen Parts und Songs zu einem intensiven Erlebnis.
Aber was sage ich hier - das könnt ihr zur Laney Fusion Guitar Challenge in Würzburg selbst hören, wo 7 For 4 und fünf stilistisch verwandte Bands für abstrakten und harten Musikgenuss sorgen werden.
Klingt, kein Angstschweiß!, nicht wie eben dieser Frühsiebziger Jazzrock mit Saxophon (obwohl der für sich genommen nicht unangenehm ist). Kommt als originale Musik gedoubelt ins Auto. Unbedingt, sage ich nur. Unbedingt!

7for4.de
mgi-records.de
VM



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