Van Der Graaf Generator "World Record", "The Quiet Zone/The Pleasure Dome", "Vital - Live" (Virgin 1976/77/78, 2005)

Ein halbes Jahr nach "Still Life" kam 1976 bereits das Follow Up nach der ersten Reunion auf den Markt. Die Band zeigte sich stilistisch nicht verändert. Peter Hammill war an der elektrischen Gitarre selbstbewusster geworden und spielte lauter, härter und Soli. Die Texte, wie gehabt von Peter Hammill, sind von seinen eigenen traumatischen Erlebnissen aus der Zeit geprägt. Sein Gesang bestimmt nach wie vor die emotionalen Ausbrüche der Songs. Mal brüllt er mit diesem gebremsten, aggressiven Ton die Wörter hinaus, dann wieder haucht er sie ins Mikrophon, was mir Gänsehaut über den Rücken und die Unterarme jagt. Hugh Banton, Guy Evans und David Jackson spielen mit Hingabe und knien sich tief in die Songs. "World Record" ist das letzte Studioalbum Van Der Graaf Generators mit langen Songs, darunter gibt es mit "Meurglys III" (benannt nach der Gitarre Peter Hammills, die er seinen einzigen wahren Freund nannte) ein Stück, das fast 21 Minuten lang ist und in den letzten Minuten einen spannenden und ungewöhnlich düsteren Jazzrock-Reggae zelebriert. Keiner der anderen 4 Songs braucht sich dahinter zu verstecken. Opener "When She Comes" beginnt verspielt, fast wie in den frühen Siebzigern, bis sich eine feste Struktur findet, in der das Stück kraftvoll rockt. Auch "A Place to Survive", der zweite Longtrack auf "World Record", ist typisch Van Der Graaf Generator, heavy und emotional, vital und schwerflüssig, dunkel und kraftvoll. "Masks", mit knapp 7 Minuten einer der beiden "kurzen" Songs der Platte, ist eine versponnene Ballade, wie sie nur in den 70ern geschrieben werden konnte. Diese Art hinreißender gewaltiger Ausbrüche und einfallender Versenkungen, emotionalen Abstürze und grandiosen Aufstiege gibt es heute nicht mehr. Ausgezeichneter Track! Nach "Meurglys III" gab es auf der 2. LP-Seite noch das 6 ½-minütige "Wondering". Das klassisch inspirierte Stück hat traumhaft schöne Harmonien und erinnert an "Godbluff". Nach den 5 Songs der LP (alles auf Feinste remastert und in sattem, klarem Klang) sind 2 Bonustracks auf der CD zu hören. "When She Comes In" und "Masks" sind am 11. November 1976 live im Studio für John Peels BBC Sessions mitgeschnitten worden. Der Sound lässt etwas nach, ist aber dennoch sehr gut und vor allem viel besser, als die live gespielten Bonustracks auf einigen der remasterten Vorgängeralben. Nach "World Record" gab die Band 3 Konzerte mit dem neuen Material im The Marquee in London, im August und September tourte das Quartett durch Europa. Peter Hammill, der schon wieder an einem Soloalbum arbeitete ("Over"), war auf den Violinisten Graham Smith (String Driven Thing) gestoßen, den er sofort engagierte. VDGG gaben Konzerte in Nordamerika, die Tour fraß der Band alles Geld weg. Zu teuer war die 12-köpfige Crew auf 2 Trucks. Hugh Banton wollte nur noch aussteigen, ließ die anderen aber nicht im Stich. Im Dezember waren VDGG wieder in Europa, Hugh Banton heiratete und stieg aus.
Ein Jahr darauf gab es ein neues Album. In einigen Katalogen ist die CD heute als Doppelalbum zu finden, vielleicht weil der Name etwas irritiert. "The Quiet Zone/The Pleasure Dome" ist jedoch lediglich ein einfaches Album, dessen beide Seiten unterschiedliche Titel bekommen hatten. Geiger Graham Smith war in die Band eingestiegen, Nic Potter, der in den letzten Jahren auf Peter Hammills Soloalben zu hören gewesen war, ist dabei. Doch David Jackson konnte mit dem neuen Line-Up nichts anfangen, hielt sich für überflüssig und stieg aus, gerade 3 Tage vor einer großen Tour, so dass Peter Hammill mit seiner elektrischen Gitarre im Fokus der Harmonien stand. Das kostete Nerven und Energie. Sie waren älter geworden und die Rockmusik hatte sich verändert. Peter Hammill konnte sich zudem gut in Punkrock einfühlen. Zwar hat "The Quiet Zone/The Pleasure Dome" mit Punk (glücklicher Weise) absolut nichts zu tun, aber die Band zeigt sich verwandelt. Allein die Harmonien der Songs, nun statt von Saxophon von elektrischer Geige bestimmt und ohne Hugh Bantons Keyboardspiel, präsentierte eine neue Band. Selbst die Kompositionen klingen weniger nach VDGG. 9 Songs gibt es auf der LP. 4 auf der ersten, 5 auf der zweiten Seite. Die längsten Tracks gerade einmal 6 Minuten lang, kürzer als der kürzeste Song des Vorgängeralbums. Doch die Energie der Einspielung, die Hingabe der Musiker und die Intensität der Kompositionen hatten sich nicht verändert. Die Band war gewachsen.
Graham Smith und Peter Hammill (der neben Gitarre auch Keyboard spielte) sind die melodischen Mittelpunkte der Band. Trotz Peter Hammills Einfühlungsvermögen in Punk und des allgemeinen Niedergangs progressiver Musikkunst ist "The Quiet Zone/The Pleasure Dome" ein sehr progressives und extrem intensives Album. Peter Hammills Gesang bricht vielleicht nicht mehr so extrem hart aus, die Emotionen bestimmt er sanfter und melodischer, eher sogar verschnörkelter und ausgiebiger als zuvor. "Last Frame" als 4. Track auf der ersten Seite ist der grandioseste Track der LP. Die ersten Songs stolpern in die Platte, finden sich aber schnell und präsentieren sich ungewöhnlich. Doch Hammills Stimme beruhigt die Sinne und führt den Fan schnell in den neuen Bandsound. "Cat's Eye/Yellow Fever (Running)", zweiter genialer Song auf der Platte und einzige Komposition, die nicht von Peter Hammill allein, sondern von Hammill/Smith stammt, ist ein aufgeregtes, hektisches Stück mit stetiger Nervosität, die kurz nachlässt, um mächtiger auszubrechen. Das ist Bombast pur! 3 Bonustracks hat die CD drauf, einen unveröffentlichten Song namens "Door", ein Demo von "The Wave" und die Single B-Seite "Ship of Fools". Live präsentierte die Band sich nach zwei Monaten Pause mit dem Cellisten Charles Dickie. Und 1978 kam David Jackson für 2 Konzerte zu VDGG zurück, wobei 2 Konzerte im The Marquee in London für ein das VDGG Kapitel abschließendes Livealbum mitgeschnitten wurden.
"Vital" wurde im Juli 1978 als 2LP veröffentlicht. Die Aufnahmen vom 16. Januar des Jahres waren in der großen Besetzung Graham Smith (vi), Charles Dickie (ce, p, synth), David Jackson (saxes, fl), Nic Potter (b), Peter Hammill (voc, g, p) und Guy Evans (dr) eingespielt worden. Erstaunlicher Weise gibt es vom Vorgängeralbum mit "Last Frame" nur einen Track, von "World Records" nichts und den beiden anderen Mitsiebziger Scheiben "Still Life" und "Godbluff" jeweils einen Track, die weiteren Songs stammen von den frühen Alben beziehungsweise Peter Hammills Soloalben.
Die beiden LPs werden auf 2 CDs veröffentlicht, auf CD2 sind "Sci-Finance" und "Nadir's Big Chance" enthalten, die bisher nur in Japan veröffentlicht worden waren. "Vital" präsentiert eine geschlossene, in sich aufgehende Band, die wahnsinnig intensive Versionen ihrer Songs spielt. Live reizt Peter Hammill wieder alle Facetten seines Stimmvermögens aus, kreischt, schreit, brüllt, kratzt, flüstert, haucht, spricht auf seine ganz eigene Weise, mit diesem ihm eigenen Wechsel von Melodiegesang und dahin geschleudertem Sprechgesang. Graham Smith Violinspiel ist etwas ins Off gemixt worden, was den Songs einen Hauch von Spacerock gibt, dafür die "schräge" Melodiesprache und die Wildheit des Spiels zurücknimmt. Um die Zeit des Release von "Vital" gab die Band in England und Österreich einige Konzerte und spielte auf Festivals. Dann war Van Der Graaf Generator Geschichte.
Peter Hammill forcierte seine Solokarriere, immer wieder einmal von seinen ehemaligen VDGG Mitstreitern begleitet. Einmal noch, 1986, gab es ein Album von VDGG namens "Time Vaults", das in den ausführlichen Booklets der Remaster Serie keine Erwähnung findet. Seitdem war allein der Name Van Der Graaf Generator Galle für Peter Hammill, er brach Interviews ab, wenn der Name fiel, oder war zumindest fürchterlich schlecht gelaunt danach. Und doch hat es seit 2004 wieder verstärkt Lust gegeben, die Band zu reaktivieren. Jedoch nicht bei Peter Hammill, der sich von seinen Kumpels und seiner Familie geradezu nötigen ließ, mitzumachen, um dann plötzlich befreit darin aufzugehen.
Vielleicht findet das Thema jetzt Erlösung bei Hammill, dessen solistische Arbeit viel mehr Alben veröffentlicht hat als VDGG und dessen Name aus der Rockmusik genauso wenig wegzudenken ist, wie der seiner Band.

vandergraafgenerator.co.uk
VM



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