|
Upsilon Acrux "Galapagos Momentum" (Cuneiform Records 05/2007)
|
Sozial und politisch gehen Bands wir Aleuchatistas oder Upsilon Acrux aus der Anarchie und Gegenkultur des Punks hervor. Musikalisch zeigen sie sich von ersten und folgenden Ideen des Punkrock vollständig gelöst und eine doch immer noch anarchische Antihaltung ihren Einflüssen gegenüber, die sie dennoch verinnerlicht haben. Die Mitte der 70er Jahre erwachsenden Auseinandersetzungen zwischen Rock und Punk haben längst ganz andere Grabenkämpfe ausfechten müssen. Heute stehen King Crimson neben Exploited, Zappa neben Dead Kennedys friedlich in LP- und CD-Sammlungen. Die Jungs und Mädels, die derlei gemischt hören, zeigen denn in der übernächsten Generation keine Konflikte, beides in einem auszudrücken. Punkrock hat sich seit den 70ern in den Köpfen der nachwachsenden Kids immer gern eingenistet, die politische Attitüde, das "Dagegensein" - gegen Alles und Jeden - und Selbstfindung brauchten und brauchen harte, aggressive, betäubende Unterstützung im einsamen Kampf gegen die ganze Scheiß-Welt und ihre Schergen an jeder Spießer-Hausecke, King Crimson ist dazu ebenso geeignet wie Zappa, Captain Beefheart wie die quasi anarchistische Früh-Version des Krautrock, ebenso die diversen bösen New Wave- und aggressiven Punkbands der ausgehenden 70er und beginnenden 80er Jahre. Mit der CD kamen alle (guten wie schlechten) Musikstile in den 90ern zurück und forderten ihre Fans mit frischem Blut zu neuer Hingabe auf. Nicht zuletzt daraus erwuchsen bisher ungeahnte Querverbindungen zu neuen Stilen, zudem kamen die diversen Stile hinzu, die sich erst im Underground entwickelten und dann später im Mainstream breitmachten.
New York war schon immer eine Geburtsstätte wilder, ungezähmter Underground-Stile, Jazzrock fand dort seine Abstraktion, No Wave seine Apathie, Punkjazz den wüsten Dreck, um nur einige Elemente aufzuzählen, deren erster Babyschrei aus der grauen Gosse kam, bis die veredelte Fettversion später in der Nobelkarrosse dicke Zigarren rauchte.
Upsilon Acrux und Aleuchatistas (oder The Flying Luttenbachers - sowie etliche weitere Bands) sind stetig sich entwickelnde Nachwuchsbands, die aus der Komplexität des alten Progressive Rock und Jazzrock sowie der dreckigen Wildheit des Punks eigene Kreativität ziehen.
Ihre Einflüsse lesen sich wie das Who is Who des Avantrock: Henry Cow, King Crimson, Magma, Univers Zero, Muffins, Ruins, Zappa, Don Caballero; Krautrock: Neu!, Faust, Kraftwerk; Metal: Meshuggah, Frederick Thordendals Special Defects, Morbid Angel, Necrophagist; Freejazz: John Coltrane, Ornette Coleman; Jazzrock: The Mahavishnu Orchestra; und weiterer wie This Heat, Nelson Cline. Die Band nennt ihre Songs "progressiv" in der Idee, ihre Musik jedoch "DIY Punk" oder schlicht "Freejazz".
Bereits 1997 gegründet, hat die in der Besetzung stetig wechselnde Band seit 1999 bereits einige eigene CDs veröffentlicht und war auf Samplern vertreten.
Nunmehr von Cuneiform Records unterstützt, ist das jüngste Werk "Galapagos Momentum" in der Besetzung Paul Lai (g), Jesse Appelhans (dr) - den beiden erhaltenen Gründungsmitgliedern - sowie Eric Kiersnowski (b) und Braden Miller (g) eingespielt worden. Weniger das Frontcover, mehr das von der Rückseite, offenbaren einen tiefen Einblick in die Musik der Band. Wie einst King Crimson in den frühen 80ern spielt die Band in einem dunklen Keller vor einem international aussehenden, von Langhaar bis Glatze geschmückten Auditorium, das sich dicht an die Band drängt und konzentriert und gespannt den instrumentalen Exkursionen der Band zusieht und -hört.
Die 10 Songs sind wahrhaft komplex, zeigen eine starke Affinität zu King Crimson, zu No Wave und Punkrock, sind sehr komplex aufgebaut, haben quasi wenig nachvollziehbare melodische Kompositionen und fallen eher durch Extremsplitterwerk als echten Songaufbau auf. Zwischen einer und 8 Minuten sind die einzelnen Tracks lang, jeder folgende Track scheint eine weitere Variante unmelodischer, virtuoser Ideen. Das technisch versierte Spiel erweist sich als erstaunlich spannungsarm. Es gibt wenig Möglichkeiten, die Konzentration in nachvollziehbare und hängen bleibende Motive zu versenken. Zwar klingen die Songs stets sehr interessant und abgedreht in ihrer begnadeten Komplexität, aber sobald die CD ausgelaufen ist, ist der Rausch auch schon verflogen. Wer die Magie des frühen Progressive Rock und seine großartig und wirklich "komponierten" Werke kennt - und mit pfeifen kann - wird in dieser Band keine Erfüllung finden. Das Publikum ist wohl ein ganz Anderes: Avantfreaks, deren Komplex- und Atonallevel stets auf hohem Niveau läuft, sowie die Alt- und Neufans des Free Jazz werden ihre Freude an den freakigen Monstern der Truppe haben. Unbedingt sei allen Enthusiasten ein Reinhören nahe gelegt. Eines ist für Alle zu lernen: Musik hat kein Ende.
cuneiformrecords.com
VM
Zurück
|
|