Unitopia "The Garden" (InsideOut Music, VÖ: 24.10.2008)

Niemand, in der Herde, wird wohl ernsthaft darauf setzen, aus dem Irak oder ähnlichen religiösen oder politischen Diktaturen progressive Rockmusik zu bekommen. Freie Musik ist da gewiss nicht erwünscht, Musiker werden unterdrückt, der böse "westliche" Einfluss darf nicht verbreitet werden. Aber die Welt ist groß. Eines Tages werden die Menschen sich aus ihren Diktaturen befreien, anders geht es nicht.
So lange müssen wir, die verdammte Prog-Herde, eben auf die Inspiration der Bands setzen, die in der "freien" Welt leben. Und das sind nicht wenige. Unitopia nehmen sich unseres Elends auf ihre ganz eigene Weise an. Als einst, vor 1.000 Jahren, Spock's Beard mit ihrem Sunshine-Prog den Tag erleuchteten, meine Ahnen berichteten mir einst davon, waren die süchtigen Wohnzimmersesselsitzer berauscht und begeistert ob dieser lieblichen Komplexe.
Das kommt jetzt, ganz anders, wieder.
Unitopia stehen nicht für heavy oder schräg, sondern für harmonisch, melodisch, hübsch, lieblich - ohne dabei billig oder blöd zu klingen.
"The Garden" verteilt sich auf zwei Beete, äh, CDs. 14 Songs bringen es auf 91 Minuten. Ich sag's mal so: wenn das ein Reissue eines lang erwarteten Klassikers wäre, dann würden die (schon vielen) 48 alten LP-Minuten neben 53 weiteren Bonusminuten stehen. Etwa so würde ich die Gewichtung jetzt hier sehen.
Opener "One Day" ist ein zweiminütiges Stück mit schöner, starker Gesangslinie. Mark Trueack präsentiert sich mit eindrucksvoller Stimme, das Songmotiv ist liedhaft, eingängig, nachvollziehbar. Ein Entree wie in aus dem Bilderbuch, eine Einladung in Unitopias zweite Geschichtserzählung (nach "More Than A Dream" 2005).
Gleich darauf der Titeltrack, dessen fünf Parts es zusammen auf 22:35 Minuten bringen. Tolles Stück Musik. Schöne Harmonien, partiell dezent angehärtet, emotional ausgewogen bis aufgepeitscht, mit jazzigen Flügeln und symphonischen Lüften. Überraschendes, flottes Stück mit wechselnden, lebhaften Gesichtern. Die vier weiteren Songs auf CD1 gelten mir als Bonustracks, liedhaft zumeist, hübsch und sehr melodisch. Mit eindrucksvollen Gesangslinien, poppig, eingängig, gar tanzbar und - ganz ehrlich - gut anzuhören. Viel mehr jedoch nicht.
Mark Trueack (voc, perc), Sean Timms (keys, mand, voc), Matt Williams (g, Ganjo, voc), Shireen Khemlani (b, voc), Monti Ruggiero (dr, perc), Tim Irrgang (perc) und Mike Stewart (saxes, fl, cl, perc, keys) eröffnen CD2 mit 16:28 langen, Flower Kings inspirierten und ebenso zum Klassiker (siehe oben) gehörenden "Journey's Friend". Auch hier sind alle Facetten der ersten CD voll ausgeprägt: von Pop bis Metal, von Jazzrock bis Prog sind die fünf Parts sehr ausgewogen, kunstvoll arrangiert und eingespielt worden.
Ich liebe die Gesänge der Band, wunderbar die Chorarrangements. Viel mehr noch aber liebe ich die druckvollen Steigerungen, die leider viel zu wenig zu Ausdruck kommen. Aus den luftigen, komplexen Sunshine-Parts zu Beginn greifen Unitopia einmal dermaßen aus, dass (selten gewordene) Gänsehaut über Arme und Rücken kriecht und meine erstaunten Augen blöde glotzen: Wow! Gut gemacht, mehr davon!
"Journey's Friend" ist ein tolles Stück, hat instrumental Klasse (wenn es auch etwas virtuoser und frecher, wilder und böser gegangen wäre!), macht einen guten Eindruck und wird die geneigten Süchtigen befriedigen. Vor allem, wie gesagt, diese rasante Note, die aus einem Jazzmotiv quasi urplötzlich in metallische Härte sich aufschwingt. Allein dieser Wechsel - und der nach einem leisen Jazzeinbruch folgende Gesangspart (die Gänsehaut!) sind das Album wert.
Sodann folgen 5 Bonustracks: schöne, nette, fließende Stücke, nicht schlecht, nicht mehr. Alsdann eine weitere begnadete Komposition: "Don't Give Up Love". Nicht hart, nicht verrückt, nicht ausgeflippt - aber dieser Gesang! Darf ich es sagen? Mir standen Tränen in den Augen. Kitsch as Kitsch can, und wunderschön!
Auf der symphonischen Breitseite des Refrains stapelt sich der Chorgesang zum Gebet. Danke dafür, hören zu können. Welcher Sinn auch immer uns Menschen fehlt, was uns abgeht, welche Kunst wir nicht zu bemerken in der Lage sind, was wir rein physisch nicht entwickelt haben, danke für den Hörsinn. Nietzsche meinte: ein Leben ohne Musik sei ein Irrtum. Zappa meinte, Musik sei das Beste. Und ein Großteil der Leute, die das hier liest, wird ähnlicher Ansicht sein.
Also, das Übertriebene wieder runter zu fahren: "Don't Give Up Love" ist ein toller Song. Schöner Melodic Rock mit Gänsehaut-Chorgesang für Empfängliche eben solcher Gänsehaut-Chorgesänge (auf symphonischem Rockteppich). Hardcore Prog-Fritzen verstehen eh nicht, was dieser VM mit seiner Vorliebe meint, da er doch ansonsten immer auf instrumental und "schräg" pocht. Ist halt so.
Zum Schluss noch ein Bonustrack, um die Emotionen wieder auf den Teppich der Realität zu bringen.
"The Garden" hat es drauf, Prog-Süchtige gut zu unterhalten und zudem ein paar Extras zu liefern, die man in der Familie bei Spiel und Sport genießen kann. Nix Avantgarde, nix schräg, aber nix doof.
Schönes Cover! Und damit Schluss.

insideout.de
VM



Zurück