Uhl "Thomas" (Culture to the people, 02.06.2015)


Wat dem Ein'n sien Uhl, dat is dem Annern sien Nachtigall. Un hier is nix mit Nachtigall, hier geiht dat um Uhl.
Die 2010 in Saarbrücken gegründete, 2013 mit "Diskoboys"vorgepreschte und jetzt mit "Thomas" hinterherjagende Band macht erfrischend lebhaften, humorvollen, gar lustvollen, dabei intensiven, mörderisch unkonventionellen und entspannend hinreißenden Progkrach der delikaten Avantsorte. Martial Frenzel (dr), Johannes Schmitz (g) und Lukas Reidenbach (b) samt den Gästen Elodie (Madonna Mia, was für ein traumhafter Name) Brochier (voc, récitation) und Roman (vocal snippets) sprühen in den 10 Songs (und 36:55 Minuten CD-Spielzeit) vor Vielseitigkeit. Stilistisch. Sie meinen, dass da sowas wie Jazz, NoWave, Exotica und Metal durchaus wiederzuerkennen seien ("in den einzelnen, nie gleich klingenden und stets neu interpretierten Stücken"), auf der bandcamp-Seite sind diese tags angegeben (um im Massensumpf des Intörnetts die richtigen Sinnleute anzusprechen): alternative metal alternative downtown free free improv hardcore jazz metal noise punk - sowie Uhl und Saarbrücken. Um dieses Sammelsurium gleich wieder zu nivellieren und festgefahrene Hörvorstellungsfans locker zu machen, wird als Ergänzung angefügt (kann ich das irgendwo unterschreiben): Dogmen sind was für Nazis (im weitesten Sinne).
Hier nix Dogmen. Hier Freecore Avantprog (Dogma) - Quatsch. Hier liegt Musikke drin und die Chose macht denen Laune, die sich von allerhand ins Atonale neigenden Dis- und Harmonien sowie ausgefallen krachschrägen Melodiemustern gern unterhalten lassen und dabei mit ihrer Hörneugierde immer weiter ins Musik-All stoßen, wo sie überwiegend einsam sind, ohne Geschwister, Spielzeug und Telefon. Quatsch.
Das Album ist sehr kurzweilig, äußerst kurzweilig, macht pausenlos schieren, brodelnden Spaß und unterhält mit krachend wildem Musikzeug, das jenseits aller hübschen Musikmuster seine eigene Weite bastelt, die als Ohrsesselspielwiese für geneigte Hörsüchtige schräger Rock/Jazz/etc-Spielplätze perfetto geeignet ist. Stürzet euch drauf, wie ich es tue! (Kein Quatsch!)
Als Opener dachte sich das Trio infernale ein schwungvolles Trinkerlied namens "Narrow-Minded Jerks", zu dessen Klang nicht einmal die gepflegte Tante das Wohnzimmer verlässt (also: lauter aufdrehen, dass die, Kuckuck, Alte sich endlich verzieht ;). Der zweite Song beginnt im ersten, ganz zuletzt sind die Tracks verknüpft. Und wer jetzt denkt, Mann, die Platte ist schon so kurz und dann verschenken die noch Minuten für Quatsch! Der liegt falsch.
Während in "Narrow-Minded Jerks" plärrige Kneipenguitarre zittrige Streicheleinheiten serviert, bevor die Band im Chor den brodelnden Jubel besingt, der ihr auf der stürmischen Seele liegt, steigt gleich drauf Punk-grazile Schredderguitarre auf die Bühne. Eine Dame singt. Und wie sie dies tut, und die Band den flotten Song dazu schmettert - alle Achtung, dies ist schick sehr! Die lockere, anarchisch fröhliche Studiostimmung tritt vor das innere Auge und die (Vor-)Freude der Band, ihrem Publikum diesen zarten Leckerbissen zu servieren, ist intensiv zu spüren. Krach in lasziver Partitur!
"Thomas" hat auch Text. In dem Lied geht es um einen babyblauen Mann, der seinen (1.) Urlaub dieses Jahres schon hinter sich hat und mit kohlrußschwarzen Händen arbeitet. Oder es geht woanders drum. Ist egal. Die Musik macht's!
Die Songs sind so kurzweilig wie kurz. Die Schredderguitarren bringen den Boxenraum zum Beben, das Trommeln geht mit Schwung und allerlei technischem Aufwand einher und unterhält beide Saitenspieler exzellent. Was der Bass tut, ist weit mehr als basische Struktur. Hier wird Jazz melodiert und Rock explodiert. Satter Klang aller Saiten und ein wohlentspannt ausgelegtes Klangbett machen dem illustren Geschehen viel lustvollen Freudenraum. Hammer, was für ein scharfkantiges Gebräu! Nirgends ein Tröpflein konservativer Stilfestigkeit, nur Gedonner und Gewitter. Es bebt und brodelt exzellent, wie gesagt. Die Band meint: so ist es schön.
Und: so ist es noch viel schöner. Und weil dies so ist, haben sie gleich einen Song danach benannt. In dem die Schönheit im Ohr des Hörers liegt, der im Hörspiel der Jazzfreiheit allerlei lustig Liedsamkeit entdecken kann. Warum es früher noch nie dieses gab? Weil Uhl erst jetzt dran sind.
Die Songs 6, 8 und 9, "Kim Or Not", "Home's A Weird Place" und "My Gay Sister Is An Alcoholic" treiben es in der Spiellänge etwas weiter als die anderen Musiktracks. Hier ist die kompositorische Gehaltskomponente tiefer gegraben, ackert das Trio in (gesund) schwere Gewässer, die verzückende Erkenntnisse bringen, dem, der lauscht. Hört nicht auf!!!
Und dann ist da noch "Cette Nuit" (heute Nacht). Ich nehme an, dass Elodie Brochier das Poème récitiert. Ich habe nicht gefunden den Text und kann sagen darüber nix. Aber wie Elodie das Poème vorträgt, reicht als Aussage vollkommen. Die Menschheit wird so nicht aussterben und ihr Erbgut weitergeben. Mit Liebe. Hört es euch an.
Zuletzt dröhnt der Punkhammer noch einmal wild und herzlich. Jazzpunk könnte das genannt sein, wenn es einer Beschreibung nachjagte. Tut es nicht. Es rennt einfach wie verrückt vor Freude in der Gegend herum, springt, hüpft, lacht und schaut ins Licht der Sonne. Dann woanders hin.
Musik wie Capoeira (keine Capoeira-Musik). Capoeristas famosos! Musicas famosos!
Textimprovisation zu Ende. Jetzt seid ihr dran.
Ich liebe es. Ihr sollt dies auch tun.

Track List:

My Owl's gone (Schmitz)
Thomas (Schmitz)
Megalodon (Reidenbach)
Schön (Uhl + Roman)
Kim or not (Schmitz)
Cette Nuit (Brochier)
Home is a weird place (Schmitz)
My gay sister is an alcoholic (Reidenbach)
Penetraction Rudeness (Reidenbach)

uhl-band.com
schmitzjohannes.com
lukasreidenbach.com
martialfrenzel.de
uhlmusic.bandcamp.com
VM



Zurück