Tunnels "Progressivity" (Buckyball Records 2002)

Tunnels - das sind Percy Jones am Fretless Bass, Marc Wagnon an den Midi Vibes und Frank Katz am Schlagzeug. Als Gäste sind John Goodsall (Gitarre), Mark Feldman (Violine) und Sarah Pillow (Prepared Voice) mit von der Partie. Das über 70 Minuten lange "Progressivity" ist eine Tour De Forde durch Jazz Rock Fusion, ein weiterer Beweis dafür, dass dieser Stil innerhalb der Rockmusik, der heute gern zum Jazz abgetan wird, keineswegs tot ist, sondern von einer Vitalität, die andere, heute so begehrte und morgen schon tote Stile nie haben werden. Vor allem ist die Crew Jones/Katz für ihre endlose und kräfteraubende Arbeit zu bewundern. Was diese beiden Musiker an Gefühl, Kraft, Vitalität und Virtuosität aufzeigen, was sie an Inspiration und Einfühlungsvermögen verraten und welch konsequente und geistreiche Fabulierkunst sie zu Tage befördern, ist nicht in Worte zu fassen. Percy Jones, einst neben Gastgitarrist John Goodsall Kopf von Brand X, erarbeitet mit Gespür das weite Feld der Möglichkeiten am Fretless Bass, während Frank Katz stetig bemüht ist, seine aberwitzige, hyperenergetische Lust am Spiel nicht überborden zu lassen. Dritter im Bunde ist Marc Wagnon, einst in der Chaos-Avant-Truppe Dr. Nerve die Vibes aktiv und heute leider wenig Marimba, Xylophon oder Vibraphon spielend, sondern seine große Liebe, das Midi-Vibe. Der Klangraum dieses Schlaginstrumentes erweist hier eine Breite, die kaum so nachvollzogen werden kann. Ständig glaubt man, Keyboards zu hören. Doch trügt der Schein, die Midi-Vibes können eine Unmenge an verschiedenartigen Tönen hervorquellen lassen, die von Syntheziser, Gitarre oder Marimba stammen könnten. Perfekt ist der täuschende Ausdruck des elektrischen Instrumentes. Doch der natürliche, unübertreffliche Klang der Marimba wird damit leider nicht erreicht. Zudem ist es nicht Marc Wagnons Anliegen, die Midi Vibes wie Marimba klingen zu lassen, sondern er setzt deutlich darauf, die verfremdeten Töne bestimmen zu lassen. Besonders ansprechend sind die Songs von "Progressivity", wenn die Geige von Mark Feldman, die in einer unerhört leidenschaftlichen und schöngeistigen Art gespielt wird, zum Ton kommt. Unglaublich, wie schön, zart, klar und transparent Klang und Sprache des Instrumentes von Mark Feldman sich zeichnen und wie wundervoll treffend dies in den verzückten, entrückten Jazzrock des Ensembles passt. Doch auch John Goodsall weiß seine elektrische Gitarre vorzüglich zu bedienen, seine solistischen und improvisativen Schübe reißen die feste Struktur der Songs auf und rufen eine vitale, rockgeprägte Dynamik hervor, die allerliebst ist. Die Stimme von Sarah Pillow ist in zwei Songs zu hören, und "prepared" bedeutet, dass ihre Stimme ebenso verfremdet ist, wie die Töne des Midi Vibes. Zwar ist zu erkennen, dass es eine und auch, dass es ihre Stimme ist, die hier lautmalerisch singt, doch die Stimme ist zum künstlichen Instrument geworden. Die Kompositionen von "Progressivity" haben ausgezeichnete Struktur, wenn mir persönlich auch das 21-minütige "7,584,333,440 miles away", das fast psychedelisch-dance-mäßige "diabollocks" oder das etwas mallerte, unterbelichtete "High Tea at 49th and 10th" nicht zusagen. "Progressivity" ist ein ausgezeichnetes Stück Jazzrock/Fusion, das kräftig disharmoniert, wild artikuliert und doch so kultiviert daherkommt, dass es fast schon in Clubs gespielt werden könnte. Die Zukunft des Jazzrock/Fusion?

buckyballmusic.com/progressivity

VM



Zurück