Michael Torke "Rapture; An American Abroad; Jasper" (Naxos 2002)

"Die rituellen Möglichkeiten der Musik können auf das erzählerische Element verzichten und uns Puls und Duft meditativer Ekstase vermitteln", schreibt Michael Torke in seiner Einführung zu dieser CD und bestätigt damit die bewusstseinsverändernden Möglichkeiten von Musik, die sich selbst dann ereignen können, wenn man sich nicht wie z.B. im Sufismus aktiv zu ihr bewegt, sondern innerlich auf die Reise geht, geleitet von ihren Klängen, die auf diese Weise Bewegungen in jede Richtung von Raum und Zeit sowie darüber hinaus ermöglichen, gerade wenn das erzählerische Element - sei es verbal oder nichtverbal - nicht im Vordergrund steht, denn mit dem Grad der musikalischen Abstraktion erhöhen sich auch die Freiheitsgrade für das (Unter-)Bewusstsein im Sinne einer Befreiung ähnlich dem luziden Träumen.
Zum (Tag-)Träumen "verleitet" auch das erste Stück "An American Abroad"; nach einem fulminanten Beginn vermitteln wechselnde Themen und Melodien dem in die Musik versunkenen Hörer den Eindruck einer Reise, sei es nun ins Ausland oder ins eigene Innere. Das Stück lässt mit über 20 Minuten Dauer aber auch Zeit zum Verweilen und drängt nicht ständig "raumgreifend" weiter.
Das nur etwa halb so lange zweite Stück "Jasper" hätte auf Grund der kontinuierlichen Wandlungen der Grundmelodie in Anlehnung an Heraklit auch "Panta rhei" heißen können, da der Fluss des Themas nicht unterbrochen wird; dabei wird im Unterschied zu Smetanas "Moldau" nicht dem Lauf des Wassers gefolgt, sondern das Fließen stets von derselben Stelle aus erlebt.
Das in vielerlei Hinsicht interessanteste Stück ist das folgende Perkussionskonzert "Rapture", welches in drei Sätze (Drums and Woods; Mallets; Metals) gegliedert und durch ein Gedicht des spirituell interessierten irischen Dichters William Butler Yeats inspiriert ist; dieses nimmt Torke zum Anlass, die Transmutation der menschlichen Energieebenen mit musikalischen Mitteln schließlich in einen Zustand der Transzendenz münden zu lassen. Dieser Zustand soll aber nicht mittels Kontemplation, sondern durch Ekstase erreicht werden, wie dies bei vielen antiken Mysterienkulten der Fall war.
Torkes hehres Ansinnen gelingt nicht zuletzt durch das unter der Dirigentin Marin Alsop exzellent aufspielende Royal Scottish National Orchestra sowie der großen spielerischen Brillanz und Sensibilität des zum Zeitpunkt der Aufnahme erst 25-jährigen Solisten Colin Currie, von dem man noch viel hören wird.
Der erste Satz beginnt lebhaft mit ostinatohaften Melodien auf Trommeln und Holzblocks, teils im Dialog, teils unisono mit dem Orchester, ähnlich wie dies auch bei Terry Bozzios grandioser CD "Chamber Works" der Fall ist. Durch das rhythmisch repetitive Element können sich tranceartige Zustände einstellen, was auch durch das konstante Tempo begünstigt wird.
Der zweite, von der Marimba getragene Satz, ist deutlich zurückgenommener, aber deshalb nicht weniger intensiv und bringt einen Zustand der Verklärung zum Ausdruck. Im dritten, wieder deutlich lebhafteren Satz, werden die Ostinati des ersten Satzes auf Kuhglocken, Becken und Glissandogongs übertragen - die niedere Natur, symbolisiert durch das Holz, hat sich in Metall gegossene Formen verwandelt. Versteht man die Alchimie als Metapher für spirituelle Wandlung, wird diese Interpretation noch plausibler. Der Kreis schließt sich vollends, wenn man sich vor Augen führt, dass sich so geachtete Männer wie Basilius Valentinus oder Jakob Böhme ernsthaft mit dieser Disziplin auseinandersetzten. So beschrieb ersterer die Alchimie als "Erforschung jener natürlichen Geheimnisse, durch die Gott die ewigen Dinge in Dunkel gehüllt hat" und letzterer betrachtete den ominösen Stein der Weisen als Geist Christi, der die menschliche Seele durchdringt. Diese CD ist damit ein Musterbeispiel für Musik als Vehikel für gesteigerte Sinn-lichkeit.

Frank Bender



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