The Spanish Donkey "Raoul" (RareNoise Records 07.04.2015)


Röhrend atonaler Avantgarderock. Frei improvisiert. Wenn in den 1970ern die ‚abgefahrenen' Bands live auf der Bühne improvisierten, konnte die anarchische Intensität in den wildesten Momenten genau diese Rasanz und Brachialität erreichen. Schlagzeug poltert wild, Bass dröhnt, Gitarre schmeißt mit Glissandi um sich. Der Boden bebt, als käme die Erschütterung aus dem Erdinneren. Chaos und Zerstörung brechen auf und zerlegen, was der Zuhörer sich als Musik so vorstellt.
3 Songs sind auf der CD. Spielzeit über 70 Minuten. Liedhaft, eingängig, melodisch, harmonisch? Eher nicht.
Nach 32 Minuten des ersten Tracks ("Raoul"), in dem das Trio noch fitnessfrisch genug ist, ohne erkennbare Krafteinbuße durchzuarbeiten, dass die Lamellen im Ohr mit den Wellen gehen, folgen die 22 Minuten des zweiten ‚Liedes' ("Behavioral Sink"). In den letzten Minuten kriechen die Musiker mit Blessuren und Entzündungen über den Boden und sind nur noch in der Lage, ambientes Soundkratzen zu intonieren, das kaum weniger atonal ankommt. Zuletzt folgen 15 Minuten ("Dragon Fly Jones"), die zuerst durch langgezogenes Spiel geprägt sind. Joe Morris (g), Jamie Saft (keys, etc) und Mike Pride (dr) sind noch in der Erholungsphase. Doch selbst in der milderen Komposition mahlen und fräsen die starken Bohrer das Hörreich auf, dass keine Erholung bleibt. Erlösung? Fehlanzeige!
Geübte Avantrock-Hörer mit taubem Lebenspartner oder ganz ohne (und ohne Nachbarn) können, wenn sie den Sound laut genug stellen, ihre Welt unsichtbar machen. Es bleibt nur der Sturm der Instrumente. Und wenn das kriegerische Geschehen im Kopf angekommen ist, bleibt das Erlebnis entspannt zu bestaunen wie die Stille inmitten des Tornados. Außenstehende werden nicht in der Lage sein, den Kopf zu schütteln, sondern entsetzt die Tür zuwerfen und für Stunden erschüttert sein und sich fragen, welchen Sinn Musik ganz am Anfang einmal gehabt haben kann.
Das fragen sich die Musiker auch, indem sie mit ihrer poltrigen Lärmkaskade alle Hörgewohnheiten zerstören und damit hinterfragen. Welchen Sinn hat Musik in der heutigen Zeit? Gibt es von allem nicht längst zu viel? Leichte Muse ist als Klang des Hirntoten entlarvt. Musikindustrie und Musikmanagergehälter sind an Prozenten, nicht an Liedern interessiert, der Reigen muss klingeln. Dieses Trio fährt mit dem Bulldozer drüber und macht alles platt. Ein erstaunlicher Nebeneffekt, der schon häufig mit extremer Musik einherging und Toleranzen ausdehnte, stellt sich ein.
Free Jazz, Electronic Noise, Hardcore Metal, Punkrock, Avant Prog (und allerhand anderer Krach) sorgen ebenso für Herausforderungen wie Neue Musik - weit in der Vergangenheit tat dies einst der moderne Johann Sebastian Bach (und viele folgende Klassikkomponisten).
Wenn dieser - zuerst vor den Kopf stoßende - Klang erst einmal in der Welt ist, und auch nur von einer kleinen Splittergruppe geteilt und nachvollzogen/gehört wird, ist die Toleranz ausgedehnt. Und umso weiter muss die nächste Generation gehen. Musik ist Expansion der Toleranz und Wahrnehmung. Gewiss nur für diejenigen unter der hörenden Meute, die sich auf speziellen Sound einlassen und damit von jedem Mainstream abfallen. Da fängt einer mit 9 Jahren an, sich für Deep Purple zu interessieren und sitzt mit 49 Jahren nur noch vor extremen Klängen, alles andere wird kühl und alt.
Alles andere? Nein! So wie die Gallier Asterix und Obelix (davon zeugen mehrere bildhafte Geschichtsbände) den Römern widerstanden, so widerstehen die Süchtigen ihres Ohres allen Verlockungen. Da kann dieser Sturm gern mal blasen und die Vorstellung von Zerstörung auf die Bühne bringen, etwa wie Hollywood-Filme, nur in extrem.
Danach ist die Geschichte erzählt, der Sturm im Wasserglas legt sich, die Emotionen sind ausgefochten. Die Zähne können geputzt werden. Das Bett wartet.

rarenoiserecords.com
VM



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