The Cellar and Point "Ambit" (Cuneiform Records 10/2014)


Kammermusik geht, Kammerrock nicht. Chamber Rock hört sich nicht doof an und ist als international verständlicher Begriff prägend und passend. Und gerade im Avant Prog in Mode. Wenn auf diesem schmalen Brett von Mode gesprochen werden kann. Stilistische Mittel verbrennen im Laufe der Zeit, darum spielen Henry Cow nicht mehr ebenso wie 1975. Desgleichen Univers Zero. Wenn Stilmittel auch wiederkehren, bleibt nichts gleich.
Angesichts der Besetzung Vibraphon (Joe Bergen), Violine (Christopher Otto), Cello (Kevin McFarland), elektrische Gitarre (Terrence McManus), akustische Gitarre (Christopher Botta), Bass (Rufus Philpot) und Schlagzeug (Joseph Branciforte) ist der kammermusikalische Aspekt wie der Eindruck des Überwiegens akustischer Instrumente vor den (zwei) elektrischen zum einen offenbar. Doch vielmehr sind die Arrangements auf akustischen Ausdruck orientiert. Wenn das Ensemble beginnt, in elektrische Gefilde zu wechseln, ist dies deutlich. Sofort wird der 'Rock'-Effekt stark und was eben noch Elegie und zarte Komposition, geht in rhythmischer Kantigkeit und laut scharfem Sound auf. Gut, dass die Rockelemente vorhanden sind, wenn auch nachrangig, so hat "Ambit" nicht nur akustische Ambition, sondern kernigen, vitalen Ausdruck.
Zwischen März 2011 und Juli 2012 eingespielt, musste die Band eine ganze Weile warten, bis ihr Material veröffentlicht wurde. Vermutlich stapeln sich bei Cuneiform die Musikkünstler samt ihrer Tapes vor der Haustür des Labels, andere Musiker wie Mats & Morgan durften sich auch hinten anstellen.
Zwei der 11 Kompositionen sind Adoptionen. Zum einen "Fünf Kanons 1, op. 16", das Anton Webern schrieb, sowie "Étude XV" - György Ligeti. Sicher sind die Versionen auf "Ambit" nicht in originaler Intention eingespielt, lassen aber an neumusikalischem Charakter nichts vermissen und sind den Kompositionen würdig. Auf der anderen Seite der stilistischen Skala liegt "Purple Octagon", das zwar mit lustigen Disharmonien arbeitet, aber sehr leicht, eingängig und geradezu poppig anzuhören ist. Dazwischen liegt viel Gutes. Die zwischen knapp 3 und knapp 7 Minuten langen Tracks haben keinen (oder kaum einen) Link zum Avantrock der 1970er oder Bands/Alben in dieser Nachfolge. Manchmal, gerade in "Purple Octagon" liegt ein moderner, leichter Stil, der so nur heute möglich ist. Fahrstuhlmusik für Besserhörende. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite können hinreißende Ideen in nachdenklich leichter Handschrift exquisite Kantigkeit beweisen. Der Rockanteil ist sehr gering und hat doch Schmackes. Und selbst wenn die akustische Band im Stillen arbeitet, und nie wird es harsch oder besonders schräg dabei, liegt ambienter Charakter in der Luft und purzelt in aller Schrägness die leichte Weise ans Licht, finden die bemerkenswerten Extravaganzen mitten auf der verspielten Wiese statt, brechen hier vibraphonöse Disharmonien oder bilden sich, wie aus dem Nichts, plötzlich krass schwere Donnerwetter, dezent ins Off verbannt, die laut nach Thinking Plague schreien. Wow! Dann wieder laue Stille.
Der überwiegende Anteil Chamber Rock Spezialisten und Avantrock Liebhaber wird diese Extras lieben - aber auch suchen müssen. Denn sie sind inmitten der leichten Sachen verbaut und kündigen sich nicht an. Wer Konzentration und (Lang-)Mut mitbringt, wird überrascht. Wer im Schnelldurchgang vorbeirauscht, bekommt von "Ambit" und The Cellar and Point nichts mit.

thecellarandpoint.com
cuneiformrecords.com
VM



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