Tangerine Dream "Electronic Meditation" "Alpha Centauri" "Zeit" "Atem" (Sanctuary Group 2002)



Die Jüngeren verstehen unter Tangerine Dream wahrscheinlich nur reine Elektronic. Die Band kommt jedoch aus dem Psychedelic Rock, gewiss ist das den heutigen Aufnahmen längst nicht mehr anzuhören. Doch die frühen Alben, vor allem die vier hier genannten, versprühen den, wohl schwer elektronischen, aber doch rocktypischen Ausdruck einer Zeit, in der populäre Musik etwas ganz anderes war als heute. Tangerine Dream benutzten nie einen treibenden Schlagzeugrhythmus, schwere Gitarrenklänge gab es nicht und Groove oder irgendeine vordergründige Art von Rhythmus herrschte nicht vor. Aber nicht nur Keyboards, Syntheziser und Orgeln bestimmten den Sound, sondern auch Gitarre, Flöte, Cello und Percussion. Edgar Froese, Kopf der Band, hatte bereits 1962 in Berlin seine erste Gruppe gegründet. Die erste Tangerine Dream stellte er 1967 zusammen. "Electronic Meditation" war das erste LP-Ereignis der Truppe Froese, Klaus Schulze (später Ash Ra Tempel, solo) und Conny Schnitzler (später Eruption) mit Gast Jimmy Jackson. Froese: "Die Platte solle ein Übergriff auf Außerkünstlerisches sein. Die akustische Darstellung eines Raumes zwischen Geburt und Tod; die Wärme im Wesenskern des Menschen; sein Verhältnis zum Leben nach dem Tod". Nach der LP löste Froese Tangerine Dream auf. Eine neue Tangerine Dream spielte 1971 "Alpha Centauri" ein, ein völlig verrücktes Teil, Froese sprach in dem Zusammenhang das erste Mal von "Kosmischer Musik". Die Platte wurde ein voller Erfolg und machte Tangerine Dream in Japan, Frankreich und den USA bekannt. Danach verkaufte die Band einen Großteil der (Rock-)Instrumente und schaffte sich einen Syntheziser an. 1972 wurde "Zeit" aufgenommen. Die 4 percussionsfreien Titel auf 4 LP-Seiten, unter Einfluss der Musik von John Cage, Edgard Varèse und Karl-Heinz Stockhausen, wurden ein avantgardistisches Klangkonglomerat, das zwischen düsterer Epik mit schaurigen Tonkollagen und langsamen elektronischen Schauern die Vorstellung "totaler Finsternis, unterbrochen von Krämpfen und sanften Bewegungen" hervorrief. Im gleichen Jahr lud Friedrich Gulda Tangerine Dream zum Musik-Festival nach Ossiach in Österreich ein, wo sie als einzige Rockgruppe neben Pink Floyd spielten. Bereits Dezember 72/Januar 73 wurde "Atem" eingespielt. Auf dem quadrophonisch produzierten Album gab es wieder Percussion. Damit wurde die Band auch in England ein Hit. Spätere LP-Produktionen veröffentlichte Virgin Records. Die erste Phase war abgeschlossen. Tangerine Dream spalteten die Rock-Freak-Gemeinde gehörig. Für die einen war ihr Sound steril verpackt, ungenießbar, nichtssagend. Die anderen begeisterten sich für die "ungeheuren, neuen" Töne. Alle vier Alben waren avantgardischer Natur, die Elektronik späterer Alben längst noch nicht ausgeprägt. In den tatsächlichen, epischen Soundkollagen spielten sich schräge Sprengsel ab: Versatzstücke atonaler Natur, die vor allem von Syntheziser und Mellotron inszeniert wurden. Mit Rock´n´Roll hat das jedoch nichts zu tun. Großen Einfluss haben Tangerine Dream auf die spätere Avant Pop Szene ausgeübt, viele Bands verschiedener Stilrichtungen nennen sie als Inspiration, doch vor allem die Techno-Szene beruft sich auf Froese´s Ur-Elektroniker. Edgar Froese entwarf mit seiner Frau Monique die Plattenhüllen, die den meditativen und doch sperrigen Charakter der Musik verdeutlichen. Die Reissues sind perfekt und ansprechend verpackt. Ein Alternativprogramm zu den bisher aufgelegten Editionen.

VM




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