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Talis - "Cities" (Eigenverlag 2006)
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Talis aus Deutschland sind eine Band oder ein Projekt oder was auch immer, welches im Kern aus Steffen Conrad (Hauptverantwortlich für die Tasten und gelegentlich auch am Gesang) und Michael Kohlmannslehner (Gitarre) besteht. Unterstützt werden sie von Carsten Groß (Gesang), Jimi (Bass), Michael Maas (Schlagzeug, Gesang), Miriam Scherer (Gesang), Christina Staub (Gesang), Bernd Wilms (Violine).
Hervorgangen sind Talis aus einem Bandprojekt, an dem Michael Maas und Carsten Groß beteiligt waren, die nun auch wieder bei Talis dabei sind. Nach dreijähriger Arbeit stellen Talis in 2006 ihr Debütalbum vor. Musikalisch beschreiten Talis dabei eigene Wege, von denen die Band selbst sagt, dass "die Musik stark Melodie-orientierten Prog darstellt, der jedoch versucht weder in die Klischees des Neoprogs noch des Retroprogs zu verfallen, sondern seinen eigenen Weg geht und dabei immer wieder interessante und stilistisch unterschiedliche Passagen und Songs kreiert" (sinngemässes Zitat).
Zunächst machen Talis Musik, die sich nicht so einfach festmachen lässt, da hat eine Band ihren eigenen Stil gefunden und das ist in der heutigen Zeit aus meiner Sicht schon eines der grössten Komplimente, welches man verteilen kann. Talis haben sich melodischer Rockmusik verschrieben, die sicherlich nicht übertrieben verfrickelt oder komplex daherkommt, aber vor allem mit durchdachten, farbigen Arrangements begeistern kann. Dabei kann man Talis weder in die Neo-, noch Retro-Prog-Schublade stecken, auch wenn sicherlich Einflüsse aus diesen Stilen vorhanden sind. An NeoProg lässt dieses typische Klanggewand aus präsenten Keyboards und rockigen, aber nicht rotzigen Gitarren denken. Die Melodienseligkeit und die Gesangseinlagen entspringen dem Melodic Rock, ohne aber in den Kitsch des AOR abzutauchen. Die Melodien wirken teilweise eher verträumt und melancholisch, aber es gibt natürlich auch hymnisch-erhabene Parts. Letztlich erinnern die durchdachten Arrangements an die Epen der 70er Jahre, ohne Retro-Sounds zu reproduzieren. Im Gegenteil, man baut gelegentlich sehr moderne, fast elektro-poppig klingende Parts ein (siehe beispielsweise die fast techno-artige Percussion in "Fade"). Und natürlich darf auch ein kleines Klassik-Zitat nicht fehlen ;-)
Ausladende Helden-Soli gibt es eher selten, zumindest landen sie nicht so im Vordergrund, sondern werden mit Gefühl in die Songs integriert. Talis pflegen sozusagen fragilen und verspielten Melodic Rock. Klingt komisch, ist es vielleicht auch, macht aber unbändig Spass. Gitarre und Keyboards schälen sich immer wieder mit prägnanten Einlagen sozusagen aus "Klangwolken" heraus, schnappen sich kurz die Aufmerksamkeit und ziehen sich dann wieder ins melodische Gerüst der Songs zurück. Ein Manko hier: Gelegentlich dürfte die Gitarre etwas mehr "rotzen", um den Rock-Charakter der Musik deutlicher zu unterstreichen. Die Keyboards produzieren eine Menge an interessanten Klängen, Soli, Flächen und Zwischenspielen, womit man mal wieder sehen kann, dass es schon eine grosse Palette vollkommen unpeinlicher Tasten-Sounds gibt. Man muss sie eben nur geschickt anwenden.
Die Violine sorgt in den beiden Songs, in denen sie vorkommnt, für eine schöne zusätzliche Klangfarbe und Gänsehaut beim Rezensenten (gerade am Anfang von "Time"). Die hätte ruhig öfter zum Einsatz kommen dürfen. Etwas blaß bleiben für meinen Geschmack Schlagzeug und Bass. Bis auf gelegentliche Ausbrüche hätte hier etwas mehr "Schmackes", gerade beim Bass, gut getan und die Drums klingen gelegentlich sehr elektronisch, fast programmiert. Das tut dem Genuss des Albums aber nur einen kleinen Abbruch. Was man eventuell als weiteren kleinen Minuspunkt anführen könnte, ist eine gewisse Sterilität, die sich hin und wieder breit macht. Ich meine damit, dass man gelegentlich den Eindruck hat, dass die Musik durch und durch geplant und arrangiert ist und so das Spontane ein bisschen zu kurz kommt. Wer weiss vielleicht hat die Band etwas zu lange an den endgültigen Versionen gefeilt? Aber andererseits: Wer wird nun den Eindruck einer gewissen Perfektion als Vorwurf erheben? Das ist auch irgendwie unfair...
Sehr ungewöhnlich hingegen sind viele Gesangsarrangements geraten. Dies fügt vielen Songs, sei es durch ungewöhnliche Intonation, Gesangslinien "gegen den Strich" oder durch gelungene Chorpassagen (gerade der mitreissende Beginn von "Breaking Glass" ist hier ein gutes Beispiel), noch das gewisse Etwas hinzu. Aber es soll nicht verschwiegen werden, dass sich möglicherweise der eine oder andere Hörer an den Gesangseinlagen, die vordergründig manchmal "falsch" klingen, reiben könnte. Viele unterschiedliche Sänger führen ja oftmals zu einem zerrissenen Eindruck, dies ist hier anders. Talis schaffen es über die Musik eine gewisse Geschlossenheit zu erzeugen und nutzen die unterschiedlichen Sänger dann geschickt als bewusstes Aufbrechen der Klang-Schemata.
Nun, wer sehr melodische, interessant gestaltete Rockmusik mag, der sollte diesem sehr gelungenen Debüt in jedem Fall ein Ohr leihen. Vergleiche sind aufgrund der Eigenständigkeit von Talis eher schwierig, aber um einen Eindruck zu geben: ScapeLand Wish meets Kino meets Poor Genetic Material meets Yes (West) oder so ;-) Meinen musikalischen Nerv haben die Jungs und Mädels in jedem Fall getroffen und mit "Breaking Glass" und "Time" zwei Hymnen geschaffen, die sich in meinen Gehörgängen förmlich festgebrannt haben...
Das Album ist in Eigenregie entstanden und über die Homepage der Band erhältlich. Dort gibt es auch Hörproben.
Thomas Kohlruß
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