Strapping Young Lad - Alien (Century Media 2005)

Gibt es die definitive, Musik (und nein, nicht Krach!) gewordene Fahrt in die Hölle? Die als brennender Zug gleichgültig dem Erdmittelpunkt entgegenprescht. Oder darüber hinaus. Mit halsbrecherischem Tempo und einem Gefälle, dass dir das Adrenalin in die Adern drückt, ohne dich jemals der Schwerkraft zu übergeben, dich fallen zu lassen. Unser Lokführer: Ein irre lachender Devin Townsend. Seine Komplizen: Gene Hoglan, der unbeirrt weiter die Kohlen ins Feuer schaufelt. Jed Simon und Byron Stroud streifen durch die Abteile und decken sie mit Benzin ein. Aber gerade so, dass sich das Feuer nur vor dir entfesselt, aber nie auf dich übergreift. Jegliches Zeitgefühl geht zusammen mit der Hoffnung auf Rettung verloren. Dann 'Two Weeks'. Devin, jetzt eine Akustikgitarre um den Hals, dreht sich plötzlich um, klopft dir auf die Schulter. War doch alles nur ein Scherz. Der Zug kommt zum Stillstand. Die Welt ist wieder in Ordnung. Oder?
Nach dreieinhalb Minuten, in denen du erleichtert, aber immer noch verschreckt wieder zur Ruhe kommst, dir den Angstschweiß aus dem Gesicht wischst, lösen sich die Bremsen plötzlich...
Beim Hören von 'Alien' erscheint es einem, als hätte man die Kontrolle verloren. Über seinen Geist, vielleicht auch über seinen Körper. Es sind nämlich die hier agierenden Kanadier, die einem für einen kurzen Moment im Leben alles irdische, alles gewohnte rauben. Nicht nur rauben, sondern auch zerstören - vorübergehend. Das Drama ist wie von anderen Townsend-Werken gewohnt atmosphärisch dicht inszeniert - beängstigend dicht. Da bleibt keine Tonspur unberührt. Aber wer ihn kennt, weiß: Irgendwie ist es doch bloß augenzwinkernde Fassade. Keine Sorge. Wer seine donnernden Songmonumente 'Shitstorm' nennt und 'I fucking hate myself' kreischt, muss doch Humor haben. Und so zeigt sich, dass die Band es ist, die in allen Situationen die Kontrolle übernimmt und souverän behält, ob bei 'Love?', fast schon eine Townsend-typische, leicht poppige Hymne, die auch gut auf eines seiner Solowerke gepasst hätte (ohne den ein oder anderen alles plättenden Urschrei natürlich) - oder bei der furiosen Eruption 'Skeksis' (natürlich nur eine von vielen). Auf eine unheimliche Art und Weise zeigt jeder Song die völlige Macht über die ausgebreiteten, überdimensionalen Klanggewebe. Mal schneller, mal gottverdammt schnell, manchmal sanfter - aber in das zügellose Chaos verrennt sich niemand, nirgendwann. Hier muss der Hörer seine ganz devote Seite zeigen. Sich mal so richtig überrennen lassen. 'I want your heart, your soul, and your mind', genau wie in 'Possessions' empfohlen...nein, befohlen.
Aber wie sehr man sich reinsteigert, bleibt letztlich doch einem selbst überlassen. Als hätte eine gigantische, außerirdische Laserkanone ein Loch in die Erde gerissen. Man kann am Rand stehen und sich das Spektakel ansehen. Oder halt mit dem berüchtigten Zug direkt hineinfahren. 55 Minuten lang. Naja, eigentlich sind es nur 42, da es sich bei 'Info Dump' um eine relativ langwierige Noisekollage handelt, auf die bestimmt auch Merzbow stolz wäre. Okay, wer kriegt das denn noch mit? 11 Minuten zum einwirken lassen.
Der Aufprall kommt nie - zum Glück. Klimax überwunden, alle aussteigen, bitte. Die bewusste Wahrnehmung darf wieder einsetzen. War doch alles nur ein Scherz. Echt jetzt!

strappingyounglad.com
Timo



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