Space Debris "Kraut Lok" (Christian Jäger 2005)

"Kraut Lok" - witziger Einfall! Hat die nach Krautrock süchtige asiatische Rockszene Space Debris auf den Titel gebracht? Wie dem auch sei, auf solche Ideen antwortet der japanische Avantrocker Hoppy Kamiyama in seinem neuen Werk "A meaningful meaningless" mit "Everyday I have the Bruise" und meint statt Blues schlicht Bruise (blauer Fleck). Space Debris bilden im Innencover der Doppel-LP eine verrostete Lok(omotive) ab und entschärfen damit den Titel.
Ganz persönlich halte ich die Schublade Krautrock für überstrapaziert. Der Begriff hat halt Kultcharakter, wie die Musik, die dahinter steht. Aber egal, wie das Baby genannt wird, Hauptsache, es schreit.
Die Produktion ist rein äußerlich schon mal sehr gelungen, als LP im Klappcover hat man richtig was in der Hand, die Innencover der beiden LPs bieten zusätzliche Informationen, Fotos, Review-Auszüge. Vor allem die von verschiedenen Seiten in irgendeiner Wüste fotografierten Lokomotiven haben es mir sehr angetan (weswegen auch nicht das "nackte" Frontcover der LP hier zu sehen ist, sondern das große Bild aus dem Innencover).
10 Songs sind auf den 4 Vinylseiten zu hören, darunter schön lange Tracks, die sich ausgiebig Zeit lassen, die Themen zu variieren. Space Debris spielen ausgefallene, eigenwillige Rockimprovisationen. Tom Kunkel (key), Christian Jäger (dr) und Tommy Gorni (g) sind technisch sehr begabt, nicht nur das, ihr differenziertes und melodiereiches Spiel klingt inspiriert, die Stücke sind wahrhaft gelungen. Harmonisch-melodische Vorbilder dürften bei Deep Purple zu finden sein, im Progressive Rock und im besten Jam-Rock der 70er, den langen Livewerken von Allman Brothers beispielsweise. Space Debris sind jedoch keine Kopisten. Sie verweben Jazz, Blues und Heavyrock auf sehr intime und intensive Weise, die im Sound der Instrumente und in der Handschrift der Instrumentalisten nur ansatzweise Vergleiche findet.
Das 21-minütige "Kraut Lok" zum Beispiel beginnt als funky Bluesrock, lässig und hingebungsvoll gespielt, immer eine Spur Jazz in den Tastenimprovisationen. Während Gastgitarrist Daniel Sich sich erst zurückhält, melodiert Keyboarder Tom ausgiebig. Dabei wird er hinreißend vom vital "arbeitenden" und schön differenziert spielenden Schlagzeuger Christian begleitet, der nicht nur das rhythmische Rückgrat der Band ist, sondern mit federndem, bisweilen schwer kräftigem Spiel auf seinen einzelnen Schlaginstrumenten als weiterer Melodiker gelten muss.
"Capitalists Nightmare" auf Seite 1 ist ungemein gut gelungen, die Band spielt sich frei, lässt sich Zeit in verspielten Passagen, die keineswegs langweilig, sondern sehr melodisch sind und findet zu heftigem Ausdruck zurück. So auch in den weiteren Songs. "Purple Dream" nicht allein findet gerade im Sound der Orgel zu freiem Spiel wie Deep Purple einst auf "Made In Japan". "Bolivia" rockt gut, ein perfekter Opener, ebenso stark sind "Xenufo" und "Awakening". Bester Track meiner Meinung nach ist das 14-minütige "Second Sight", dessen Rhythmus allein schon grandios gespielt wird, während die Orgel die Harmonie weiterführt und die Gitarre schließlich aus der zarten Anfangsnote zum radikalen, dreckigen und wilden Rockmonstersolo ausholt, woraus die Band wieder mit vertieften und intensiven Parts weiterarbeitet. Perfekt!
"Kraut Lok" ist ein wahrhaft schönes Teil, äußerlich wie innerlich. Die Empfehlung geht an Hardrock-, Psychedelic- und Spacerockfans und an die ausgewachsene Gilde der Altrocker. Diese Musik wirkt Droge! Auf der Webseite der Band können, wie die Band es meint, "digital erkrankte" Menschen die Musik auch auf professionell gemachter CDR erstehen. Webseite - da muss die Band ja selbst digital erkrankt sein, oder wie bastelt sie die Webseite… (und die CDR)? Die erste LP (sowie die dazu passende digital erkrankte CDR) sind dort auch verfügbar.

spacedebrisprojekt.de
VM



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